Aktenzeichen: 2 Ss 211/95 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Pflichtverteidigerbestellung, Revision, Wiedereinsetzungsantrag
Stichworte: Vorsatz bei Betrug durch Unterlassen, unterlassene Gesamtstrafenbildung, Pflichtverteidigerbestellung, Wiedereinsetzungsantrag
Normen: StGB 263, StPO 140
Beschluss: Strafsache gegen M.B. wegen Betruges
(hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers und Entscheidung über die Revision).
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Kamen vom 11. Mai 1994 sowie auf die Anträge des Angeklagten vom 6. Februar 1995 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionsbegründung und auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22.03.1995
a) bezüglich des Wiedereinsetzungsantrags und der Revision durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht ,
b) bezüglich des Antrags auf Pflichtverteidigerbestellung durch den Richter am Oberlandesgericht
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft bezüglich der Revision gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1 .Dem Angeklagten wird auf seine Kosten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.
2. Damit entfällt der Verwerfungsbeschluß des Amtsgerichts Kamen vom 24. August 1994.
3. Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Kamen zurückverwiesen.
4. Damit ist der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren überholt und gegenstandslos.
Gründe:
Der Strafrichter des Amtsgerichts Kamen hat den mehrfach vorbestraften Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen bezog der Angeklagte seit Ende 1991 Arbeitslosengeld. Am 21. April 1992 nahm er bei einem Unternehmen in Ascheberg eine im angefochtenen Urteil als "dauerhaft" bezeichnete Erwerbstätigkeit auf. Davon unterrichtete er unwiderlegt zwar unmittelbar nach Arbeitsaufnahme das zuständige Arbeitsamt Hamm durch Absendung einer Karte, die allerdings bei diesem Amt nicht eingegangen ist. Dieses zahlte weiterhin 14-tägig Arbeitslosengeld an den Angeklagten bis zum 17. Juli 1992. Die bis dahin seit dem 21. April 1992 gezahlte Gesamtsumme betrug 3.336,40 DM. Den Betrugsvorwurf bezüglich dieser Gesamtsumme hat der Tatrichter damit begründet, dass der Angeklagte "spätestens mit Empfang der weiteren ausgezahlten Arbeitslosenunterstützung festgestellt" habe, dass die Mitteilung nicht an das Arbeitsamt gelangt ist.
Der Angeklagte hat gegen das Urteil rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt. Er ist am 22. Juni mit einer handschriftlich vorbereiteten Revisionsbegründung beim Amtsgericht Kamen erschienen, um dort das als Revision gekennzeichnete Rechtsmittel zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen. Dazu ist es aus nicht in seinem Verantwortungsbereich liegenden Gründen nicht gekommen. Der Tatrichter hat daraufhin die Revision durch Beschluss vom 24. August 1994 als unzulässig verworfen. Den dagegen gerichteten Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts hat der Senat durch Beschluss vom 20. Dezember 1994 zwar verworfen, zugleich aber auf die Abhilfemöglichkeit im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hingewiesen. Zu Protokoll des gem. § 299 Abs. 1 StPO zuständigen Rechtspflegers des Amtsgerichts Bielefeld hat der Angeklagte die Revision ordnungsgemäß begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, dem Wiedereinsetzungsantrag zu entsprechen, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen und dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren zu bestellen.
Dem Wiedereinsetzungsantrag ist aus den im Senatsbeschluss vom 20. Dezember 1994 vorgezeichneten Gründen in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zu entsprechen. Die Wiedereinsetzung hat zur Folge, dass damit der Beschluss des Amtsgerichts Kamen vom 24. August 1994 entfällt, durch den das Amtsgericht die Revision auf Kosten des Angeklagten als unzulässig verworfen hat. Nach § 473 Abs. 7 StPO sind dem Angeklagten die Kosten der Wiedereinsetzung aufzulegen. Auswirkungen wird allerdings diese Kostenentscheidung kaum haben. Gebühren sind für die Wiedereinsetzung nicht vorgesehen. Abgesehen davon, dass gerichtliche Auslagen dafür bisher nicht ersichtlich sind, wäre von deren Erhebung gem. § 8 GKG abzusehen.
Auf die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen braucht nicht eingegangen zu werden, weil die Revision mit der Sachrüge einen jedenfalls vorläufigen Erfolg hat und dem Angeklagten für die neue Verhandlung in der Tatsacheninstanz wegen der laufenden Strafvollstreckung ein Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO zu bestellen sein wird. Abgesehen davon, dass allein die fehlerhaft unterlassene Gesamtstrafenbildung eine neue tatrichterliche Verhandlung erfordert hätte (vgl. BGHSt 12, 1), kommt ein weitergehender sachlich-rechtlicher Mangel hinzu, der zwar - nur - den Schuldumfang betrifft, unter den gegebenen Umständen jedoch Anlass dazu gibt, das angefochtene Urteil insgesamt aufzuheben.
Nach den Urteilsgründen ist davon auszugehen, dass der Tatrichter die in der Zeit vom 21. April bis 17. Juli 1992 insgesamt vom Arbeitsamt ausgezahlten 3.336,40 DM dem Betrugsvorwurf zugrundegelegt hat. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter insoweit von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist. Zwar ist dem Arbeitsamt zweifellos in dieser Gesamthöhe ein Schaden entstanden; ein den Betrugstatbestand erfüllendes vorsätzliches Unterlassen des Angeklagten kommt jedoch erst ab dem Zeitpunkt in Betracht, von dem ab für ihn klar war, dass die von ihm unwiderlegt abgesandte Mitteilung über die Arbeitsaufnahme nicht zur Kenntnis des trotz dieser Mitteilung weiterhin Arbeitslosengeld an ihn zahlenden Arbeitsamtes gelangt sein konnte. Ob dies bereits beim ersten Zahlungseingang beim Angeklagten nach dem 21. April 1992 oder erst in einem späteren Zeitpunkt der Fall gewesen ist, obliegt der tatrichterlichen Klärung und Feststellung. Die Antwort hängt u.a. von den im angefochtenen Urteil nicht näher mitgeteilten Zahlungsmodalitäten ab. Allein der Hinweis der weiterhin 14-tägigen Auszahlung reicht insoweit nicht. Sollte etwa das Arbeitslosengeld auf ein Konto des Angeklagten überwiesen worden sein, wäre von Bedeutung, wann der Angeklagte durch Kontoauszüge oder auf sonstige Weise Kenntnis von den Zahlungseingängen erlangt hat.
Bei einer solchen Sach- und Verfahrenslage kann zwar regelmäßig der Schuldspruch bestehen bleiben und dem nur den Schuldumfang betreffenden Feststellungsmangel durch Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs Rechnung getragen werden (vgl. z.B. die Nachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 41. Aufl. Rdnr. 7 zu § 353; a.A. BayObLGSt 1972, 264, 267 = NJW 1973, 633, 634). Letztlich kommt es aber auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles an (Pikart in KK-StPO, 3. Aufl. Rdnr. 13 zu § 353 m.w.N.). Vorliegend spricht für die Aufhebung des Schuldspruchs, dass die dafür erforderlichen Beweiserhebungen mit denen zum Schuldumfang weitgehend identisch sind und zudem den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entnehmen ist, wie sich der Angeklagte zu seinen Vorstellungen über die Gründe der Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes eingelassen hat, obwohl eine solche Einlassung nahelag.
Über die Bestellung eines Pflichtverteidigers entscheidet nach § 141 Abs. 4 StPO der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist, im Verhinderungsfall dessen Vertreter. Unabhängig davon, dass sich die Vorschrift des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO nach wohl einhelliger Meinung nur auf Hauptverhandlungen in der Tatsacheninstanz bezieht (vgl. Laufhütte in KK-StPO, 23. Aufl. Rdnr. 12 zu § 140 m.w.N.), erübrigt sich vorliegend die Bestellung eines Pflichtverteidigers für das Revisionsverfahren wegen der vom Senat beschlossenen Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Dieses wird die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO wegen der noch laufenden Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Lünen, Zweigstelle Werne, vom 16. März 1993 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zu beachten haben.
Im Falle einer erneuten Verurteilung des Angeklagten im vorliegenden Verfahren wird es ferner zu berücksichtigen haben, dass die Tatzeit des dem Angeklagten vorgeworfenen Betruges vor dem Urteil vom 16. März 1993 liegt und eine nach § 55 StGB erforderliche Gesamtstrafenbildung grundsätzlich nicht dem nachträglichen Beschlußverfahren nach § 460 StPO überlassen werden darf. Deswegen sollten die Akten 12 Js 1030/91 StA Dortmund vom Amtsgericht beigezogen werden, damit sie in der neuen Hauptverhandlung zur Verfügung stehen.
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