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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 142/95 OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Anforderungen an Beweiswürdigung, Beweiswürdigung lückenhaft, Sprungrevision, Wahl des Rechtsmittels, irrige Annahme eines Anspruchs

Normen: StPO 335, StGB 253, StGB 249


Beschluss: Strafsache gegen
1. B.H.
2. D.H.
3. B.H.i
wegen gemeinschaftlichen Raubes u. a.

Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - erweitertes Schöffengericht I - Hagen vom 21. Oktober 1994 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.03 1995 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Schöffengerichtsabteilung des Amtsgerichts Hagen zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revisionen zu entscheiden hat.

Gründe:
Das Amtsgericht - erweitertes Schöffengericht I - Hagen hat die Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen Raubes tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung tateinheitlich mit Hausfriedensbruch" zu Freiheitsstrafen verurteilt und deren Vollstreckung hinsichtlich der Angeklagten D. und B. H. zur Bewährung ausgesetzt.

Zum Tatgeschehen hat das erweiterte Schöffengericht u. a. festgestellt:
"Da der Angeklagte B.H. im Herbst 1993 über keine eigene Wohnung verfügte, nahm ihn der Zeuge W.F.im Oktober oder November 1993 in seine Wohnung in der Harkortstraße 23 in Herdecke auf. Hierbei vereinbarten der Angeklagte H. und der Zeuge F. dass für die Zeit des gemeinsamen Wohnens die Kosten für die Wohnung, insbesondere die Miete, zwischen ihnen zu teilen sind. Dieser Verpflichtung zur hälftigen Kostentragung kam der Angeklagte H. in der Folgezeit lediglich einmal auf Drängen des Zeugen F. nach, da der Zeuge F. im Dezember 1993 Schwierigkeiten damit hatte, die Miete aufzubringen. Die für die Mietzahlung benötigten 650,- DM ließ sich der Angeklagte H. im Dezember 1993 von seinem Großvater geben und übergab den Bargeldbetrag dem Zeugen F., der damit die Miete bezahlte. Im Januar 1994 zog der Angeklagte H. auf Verlangen des Zeugen F. aus der Wohnung des Zeugen aus, da dem Zeugen von der Wohnungsbaugenossenschaft mitgeteilt worden war, dass diese ein Verbleiben des Angeklagten H. in der Wohnung nicht dulden werde. Nach dem Auszug forderte der Angeklagte H. wiederholt die dem Zeugen im Dezember gegebenen 650,- DM zurück, sein Verlangen wurde jedoch von dem Zeugen F. jeweils mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, dass zwischen ihnen eine Kostenteilung für die Zeit des Zusammenwohnens vereinbart gewesen war.
In den Nachmittags- und Abendstunden des 2. Februar 1994 sprachen die Angeklagten gemeinsam dem Alkohol zu und beschlossen schließlich, den Zeugen Werner F. in seiner Wohnung in der Harkortstraße 23 in Herdecke aufzusuchen, um ihn zu veranlassen, den Betrag in Höhe von 650,- DM an den Angeklagten H. zu zahlen. In Durchführung dieser Absicht trafen sie gegen 22.30 Uhr vor dem Haus Harkortstraße 23 in Herdecke ein. ... (Die Angeklagten H. und Detlef H. verschafften sich) gewaltsam Zutritt zur Wohnung des Zeugen F., indem sie die Wohnungstür ganz aufdrückten und so in den Flur der Wohnung gelangten. Sofort schlugen hier die Angeklagten H. und Detlef H. auf den Zeugen F. ein und verlangten die Zahlung von 650,- DM. An diesen Schlägen beteiligte sich kurze Zeit später auch die Angeklagte Birgit H., die nun ebenfalls in den Flur des Zeugen F. gelangt war. ... Schließlich ließen die Angeklagten (nach weiteren tätlichen Übergriffen) von dem Zeugen F. ab, und der Angeklagte H. holte aus dem Wohnzimmer der Wohnung eine Stereoanlage im Werte von etwa 50,- DM sowie einen Keramikhund im Werte von etwa 30,- DM, während die Angeklagten H. den Zeugen F. weiter bewachten. Anschließend verließen die Angeklagten mit ihrer Beute die Wohnung des Zeugen.
Durch die Mißhandlungen erlitten die Zeugen W. und C. F. nicht unerhebliche Verletzungen." (UA 6/7)

Mit Schriftsätzen vom 24. Oktober 1994 haben die Angeklagten "die Anfechtung des Urteils vom 21.10.1994 erklärt und mit Schriftsätzen vom 6. Dezember 1994 die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt, nachdem ihren Verteidigern entsprechend der richterlichen Zustellungsanordnung das Urteil am selben Tage zugestellt worden war. Diese teilten mit Schriftsätzen vom 16. Februar 1995 dem Amtsgericht Hagen mit, sie wählten das Rechtsmittel der Berufung.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, "die Revision" gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
Die Rechtsmittel der Angeklagten sind als Revisionen zu behandeln, über die der Senat zu entscheiden hat. Ein amtsgerichtliches Urteil, gegen das Berufung zulässig ist (vgl. § 312 StPO), kann statt mit Berufung mit Revision angefochten werden (§ 335 Abs. 1 StPO). Wegen der einschneidenden Wirkungen eines Verzichts auf die Berufung wird dem Anfechtungsberechtigten eine am Lauf der Fristen für Rechtsmitteleinlegung und Revisionsbegründung ausgerichtete Bedenkzeit eingeräumt, innerhalb derer er sich für die eine oder andere Form der Anfechtung entscheiden muß. Daher ist es zulässig, das Urteil innerhalb der Einlegungsfrist (§§ 314, 341 StPO) zunächst - wie hier - in unbestimmter Form anzufechten (BGHSt 2, 63; 5, 338, 339). Die Wahl zwischen Berufung und Revision muß jedoch spätestens innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO nachgeholt werden (BGHSt 17, 44, 49; 33, 183, 187). Das ist in vorliegender Sache innerhalb der bis einschließlich 6. Januar 1995 laufenden Revisionsbegründungsfrist durch die am 8. Dezember 1994 beim Amtsgericht Hagen eingegangenen Schriftsätze vom 6. Dezember 1994 geschehen, mit denen ausdrücklich die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt, mithin die Anfechtung des Urteils vom 21. Oktober 1994 jeweils mit dem Rechtsmittel der Revision erklärt worden ist. Die Schriftsätze vom 16. Februar 1995, mit denen dann das Rechtsmittel der Berufung gewählt worden ist, sind erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gefertigt und beim Amtsgericht Hagen eingegangen. Schon wegen des Fristablaufs sind sie für die Bestimmung des Rechtsmittels unbeachtlich. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die (spätere) Wahl der Berufung nicht auch deshalb ausgeschlossen gewesen wäre, weil die Urteilsanfechtung eindeutig und endgültig als Sprungrevision bestimmt gewesen ist (vgl. OLG Hamm VRS 81, 35 ff.).

2. Die zulässigen Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachbeschwerde einen jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand, weil sie lückenhaft ist.

a) Zwar ist es ausschließlich Sache des Tatrichters, das Ergebnis der Beweisaufnahme im Urteil festzustellen und zu würdigen. Er braucht die Umstände der Überzeugungsbildung nicht lückenlos in den Urteilsgründen darzulegen. Er hat aber den festgestellten Sachverhalt, soweit er bestimmte Schlüsse zugunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten nahelegt, in Verbindung mit den sonst festgestellten Tatsachen erschöpfend zu würdigen; diese erschöpfende Würdigung hat er in den Urteilsgründen darzulegen (BGH NJW 1980, 2433) .
Eine Beweiswürdigung ist nicht nur dann fehlerhaft, wenn sie in sich widerspruchsvoll oder unklar ist, gegen Denkgesetze verstößt oder gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse oder Erfahrungssätze unbeachtet lässt, sondern auch, wenn sie sich nur lückenhaft mit den Feststellungen auseinandersetzt, aus denen Schlüsse zugunsten des Angeklagten gezogen werden können (BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1984, 209, 212).

b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, soweit die Angeklagten des gemeinschaftlichen Raubes schuldig erklärt worden sind. Das erweiterte Schöffengericht hat Umstände außer Betracht gelassen, die geeignet sind, die von ihm gezogenen Schlußfolgerungen in Frage zu stellen.
aa) Nach Auffassung des Gerichts haben die Angeklagten dadurch, dass sie den Zeugen Werner F. durch Gewalt gegen seine Person zur Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von DM 650,- veranlassen wollten, zunächst eine versuchte räuberische Erpressung begangen, die "im Verlaufe der einheitlichen Tathandlung in einen vollendeten Raub, nämlich die Wegnahme der Stereoanlage und des Keramikhundes unter Gewaltanwendung gegenüber dem Zeugen, (umschlug), so dass die einheitliche Handlung der Angeklagten rechtlich als gemeinschaftlicher Raub zu bewerten ist, da dieser innerhalb des einheitlichen Tatgeschehens zur Vollendung gelangte" (UA 12).

bb) Diese Würdigung lässt außer Betracht, dass der Tatbestand der Erpressung gemäß § 253 StGB voraussetzt, dass der Täter die Absicht hat, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Glaubt er irrig an das Bestehen eines Rechtsanspruchs auf Herausgabe, so hat er nicht das Bewußtsein, dem anderen einen Vermögensnachteil zuzufügen. Daran ändert es nichts, wenn er weiß, dass er nicht berechtigt ist, die vermeintliche Forderung auf diesem Wege einzutreiben. Die irrige Annahme der Forderung bewirkt einen Tatbestandsirrtum (BGH NJW 1986, 1623). Es kommt dann insoweit nur eine Bestrafung wegen Nötigung gemäß § 240 StGB in Betracht.
Soweit die Angeklagten durch ihr Handeln versucht haben, den Zeugen F. mit Nötigungsmitteln zur Zahlung von DM 650,- zu veranlassen, ist nach den bisherigen Feststellungen - jedenfalls hinsichtlich der Angeklagten Detlef und Birgit H. - nicht auszuschließen (vgl. zur Anwendung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten": Kleinknecht/ Meyer-Goßner, 41. Aufl. (1993), § 261 StPO Rdnr. 29), dass diese davon ausgegangen sind, der Mitangeklagte H. habe gegen F. einen Anspruch auf Zahlung der verlangten Geldsumme. Entsprechendes gilt bisher auch hinsichtlich des Angeklagten H., weil die (unstreitige) Tatsache, dass F. wiederholt die Rückzahlung der DM 650,- abgelehnt hat, nicht zwingend der (irrigen?) Annahme entgegensieht, einen Anspruch auf Darlehensrückgewährung zu haben (vgl. Einlassung des Angeklagten H. UA 8).
Auf diesem Hintergrund hat auch die Verurteilung wegen gemeinschaftlichen Raubes keinen Bestand. Mag angesichts der bestreitenden Angaben der Angeklagten fernliegen, dass sie durch den Einsatz der Nötigungsmittel dem Mitangeklagten H. haben ermöglichen wollen, Stereoanlage und Keramikhund als Druckmittel zur Durchsetzung der Geldforderung an sich zu nehmen, so kann der Senat diese Möglichkeit in Anbetracht der zum subjektiven Tatbestand lückenhaften Feststellungen - jedenfalls hinsichtlich der Mitangeklagten Detlef und Birgit H. - nicht ausschließen. Es kommt hinzu, dass der Tatrichter in seine Erwägungen hätte einbeziehen müssen, ob und inwieweit die Angeklagten geglaubt haben, der Mitangeklagte H. sei nach dem wiederholt erfolglosen Zahlungsverlangen berechtigt gewesen, anderweitig Anspruch auf Erfüllung zu haben (vgl. BGHSt 17, 87, 90 f).

3. Es mußte auch die - an sich rechtsfehlerfreie - Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Hausfriedensbruchs, mithin das angefochtene Urteil insgesamt, mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben werden. Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Schöffengerichtsabteilung des Amtsgerichts Hagen zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Dem nunmehr entscheidenden Tatrichter war auch die Kostenentscheidung bezüglich der Revisionen vorzubehalten, da der Erfolg der Rechtsmittel im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.


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