Aktenzeichen: 2 Ss 1255/91 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Wahl des Rechtsmittels, Beschränkung des Rechtsmittels bei Teilfreispruch, Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort und Trunkenkeitsfahrt, eigene Entscheidung des Revisionsgerichts
Normen: StPO 318, StPO 264, StGB 142, StGB 316
Beschluss: Strafsache gegen T.A. wegen Trunkenheit im Verkehr.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 31. Mai 1991 gegen das Urteil des Strafrichters beim Amtsgericht Dortmund vom 24. Mai 1991 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 29.01.1992, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht, als Vorsitzender,
Richterin am Oberlandesgericht,
Richter am Landgericht
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. H.,
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist und die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt worden sind.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.
Gründe:
I.)
Der Strafrichter beim Amtsgericht Dortmund verurteilte den Angeklagten am 24. Mai 1991 wegen fahrlässiger Trunkenheit "am Steuer" zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. "Im übrigen" wurde der Angeklagte freigesprochen. Seine Fahrerlaubnis wurde entzogen, sein Führerschein wurde eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr und drei Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Dem Angeklagten wurden die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen auferlegt, soweit er verurteilt worden war; "im Übrigen" wurden die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Gegen diese Entscheidung des Strafrichters richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund, mit der sie die Aufhebung des Teilfreispruchs sowie der diesem entsprechenden Kosten- und Auslagenentscheidung erstrebt. Das Rechtsmittel wird von der Generalstaatsanwaltschaft vertreten.
Die mit der Sachrüge begründete Revision hat Erfolg.
1.) Dem Angeklagten wurde durch die zugelassene Anklage der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 6. Februar 1991 zur Last gelegt, durch zwei selbständige Handlungen (§ 53 StGB) eine fahrlässige Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1, 2 StGB) und ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB ,begangen zu haben. Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen folgendes festgestellt:
Der Angeklagte trank in der Nacht vom 17. auf den 18. November 1990 erhebliche, im einzelnen nicht mehr feststellbare Mengen alkoholischer Getränke. Um 2.40 Uhr fuhr er mit einem Pkw auf öffentlichen Straßen in Dortmund. Eine ihm um 3.24 Uhr entnommene Blutprobe enthielt eine Alkoholkonzentration von 1,3 o/oo. Der Angeklagte hätte erkennen können und müssen, dass er nach dem "reichlichen Alkoholgenuß nicht mehr zur sicheren Führung seines Fahrzeugs in der Lage war.
Hinsichtlich des dem Angeklagten vorgeworfenen unerlaubten Entfernens vom Unfallort hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte beim Rangieren in einer Parklücke gegen ein anderes Fahrzeug fuhr, wobei die Stoßstange dieses Fahrzeugs beschädigt wurde, und dass er die Unfallstelle ohne anzuhalten verließ. Das Amtsgericht hat aber die Einlassung des Angeklagten, er habe den Anstoß nicht bemerkt, nicht zu widerlegen vermocht. Mangels festzustellenden Vorsatzes hat es den Angeklagten nicht des unerlaubten Entfernens vom Unfallort überführen können und ihn "insoweit" freigesprochen.
2.) Die Revisionsführerin hat ihr Rechtsmittel auf den Freispruch vom Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort konkretisiert und die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Sie ist der Auffassung, dass das Amtsgericht den Angeklagten wegen des gesamten geschichtlichen Vorgangs, der mit ihrer Anklage vom 6. Februar 1991 zur gerichtlichen Untersuchung unterbreitet worden sei, verurteilt habe. Gegenstand der Verurteilung wegen einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr sei die gesamte Fahrt des Angeklagten unter Alkoholeinfluß auf der Straße Johannisborn bis zum Anhaltevorgang auf dem Westfalendamm gewesen.
Die auf die Sachrüge vorzunehmende rechtliche Nachprüfung führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist und die Verfahrenskosten sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse auferlegt worden sind.
a) Die am 2. August 1991 beim Amtsgericht eingegangene Revisionsbegründung ist fristgerecht (§ 345 Abs. 1 StPO) angebracht worden, da das angefochtene Urteil der Revisionsführerin zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugestellt worden war.
Die mit Verfügung der Revisionsführerin vom 13. September 1991 (Bl. 75 d. GA) erfolgte Aktenvorlage an das Berufungsgericht (§ 321 StPO) hat nichts an der Zulässigkeit der (Sprung-) Revision (§ 335 Abs. 1 StPO) geändert, weil das am 31. Mai 1991 eingelegte "Rechtsmittel" mit der am 2. August 1991 beim Amtsgericht eingegangenen Revisionsbegründung vom 22. Juli 1991 eindeutig und endgültig als (Sprung-) Revision bestimmt worden war; an diese vor Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1 StPO vorgenommene Wahl war und ist der Rechtsmittelführer gebunden (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 1991 - 2 Ss 34/91 - in VRS Bd. 81, 35).
b) Die Revisionsführerin hat das Rechtsmittel wirksam auf die Überprüfung des Teilfreispruchs und der sich daraus ergebenden Kosten- und Auslagenentscheidung beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO). Das beschränkte Rechtsmittel bezieht sich auf Beschwerdepunkte, die nach dem inneren Zusammenhang des angefochtenen Urteils losgelöst von seinem nicht angegriffenen Teil selbständig beurteilt werden können, ohne eine Prüfung der Entscheidung im Übrigen erforderlich zu machen (vgl. Kleinknecht/Meyer/Meyer-Goßner, 40. Aufl., § 318, Rdnr. 6 m. w. N.). Bei der - beschränkten - Revision der Staatsanwaltschaft geht es lediglich um die Frage, ob wegen der Nichterweislichkeit des dem Angeklagten vorgeworfenen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ein Teilfreispruch ergehen Die Prüfung dieser Frage kann ohne Prüfung des Urteils im Übrigen erfolgen; die Beantwortung dieser Frage hat keine Auswirkungen auf den nicht angefochtenen Teil des Urteils. Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den Fällen, in denen eine Rechtsmittelbeschränkung regelmäßig unwirksam ist, weil zwei in Tatmehrheit stehende Straftaten ihrerseits in Tateinheit mit demselben leichteren Delikt stehen (vgl. Kleinknecht/Meyer/tleyer-Goßner, a.a.O., § 318, Rdnr. 11; KG in VRS 60, 107). Die Revisionsführerin erstrebt mit ihrem beschränkten Rechtsmittel nicht eine Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 Abs. 1 StGB), sondern lediglich die Beseitigung des insoweit erkannten Teilfreispruchs. Es handelt sich somit nicht um eine - unzulässige - Rechtsmittelbeschränkung auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort in dem Sinne, dass ein unbilliges, den Angeklagten begünstigendes Ergebnis durch einen Strafklageverbrauch als Folge der Rechtsmittelbeschränkung zu befürchten wäre. Im übrigen sind die Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils hinreichend vollständig und frei von Widersprüchen, so dass der Senat die aufgrund der Sachrüge vorzunehmende Nachprüfung im Rahmen der Anfechtung vornehmen kann.
2.) Zu Unrecht hat das Amtsgericht den Angeklagten "im Übrigen" freigesprochen.
Für einen Teilfreispruch war kein Raum, da sich der Schuldspruch des angefochtenen Urteils auf den gesamten historischen Geschehensablauf (§ 264 StPO), der Gegenstand der zugelassenen Anklage war, bezog und der vom Angeklagten verursachte Unfall sowie die Weiterfahrt nach dem Unfall von der Trunkenheitsfahrt, die den Schuldspruch wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr begründete, umfaßt wurde". Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte mit seinem Pkw unter Alkoholeinfluß die Unfallstelle verlassen hat. Es ist nur deshalb nicht zur Schuldfeststellung wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gelangt, weil es die Einlassung des Angeklagten, er habe den Anstoß seines Fahrzeugs gegen das fremde Fahrzeug nicht bemerkt, nicht widerlegen konnte. Dies bedeutet aber andererseits, dass die Zäsurwirkung eines erneuten Willensentschlusses unmittelbar nach dem Unfall entfiel. Damit ist in der Weiterfahrt des Angeklagten keine selbständige Trunkenheitsfahrt zu erblicken; die Fahrt nach dem vom Amtsgericht festgestellten Unfall wird somit von der zuvor verwirklichten Trunkenheitsfahrt umfaßt; sie stellt sich als ein nicht abtrennbarer Teil der festgestellten Trunkenheitsfahrt dar. Wegen ein und derselben Handlung darf aber nicht zugleich verurteilt und freigesprochen werden (OLG Stuttgart in VRS 67, 356 f.; KG in VRS 60, 107 ff.; OLG Hamm in VRS 50, 419 f.; Kleinknecht/Meyer/MeyerGoßner, a.a.O., § 260, Rdnr. 13). Der Schuldspruch des Amtsgerichts erfaßt auch den Teil des dem Angeklagten vorgeworfenen historischen Geschehens, der mit dem Verlassen des Unfallortes umschrieben wurde.
In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass die Revisionsführerin - entgegen den Ausführungen der Revisionsbegründung - dem Angeklagten in der zugelassenen Anklage hinsichtlich des Geschehens nach dem Unfall lediglich ein Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort zur Last gelegt hat und nicht - was folgerichtig gewesen wäre - tateinheitliche Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort und einer - weiteren - Trunkenheit im Verkehr. Es handelt sich hierbei lediglich um eine unvollständige rechtliche Würdigung der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses, die unbeachtlich ist, da Gegenstand der Urteilsfindung nicht die rechtliche Würdigung der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses, sondern die dem Angeklagten vorgeworfene Tat ist (§ 264 StPO). Entscheidend ist vielmehr, dass das vom Amtsgericht festgestellte Vergehen der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr sich auch auf das Verlassen des Unfallorts bezieht. Denn nach dem Entfallen des Tatbestandes des unerlaubten Entfernens vom Unfallort sind die beiden vom Amtsgericht festgestellten Abschnitte der Trunkenheitsfahrt zu einer Fahrt, auch im materiellen Sinn, zusammengewachsen (vgl. OLG Hamm, a.a.O., 420). Daran ändert die mit dem Anstoß gegen das fremde Fahrzeug objektiv eingetretene Unterbrechung nichts, weil die Fortsetzung der Fahrt nicht auf einem neuen, auf das Entfernen vom Unfallort bezogenen Willensentschluß des Angeklagten beruhte (vgl. BGHSt 22, 67 = VRS 34, 361; BGH in VRS 49,.185).
3.) Der Senat konnte in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO abschließend entscheiden, da der Teilfreispruch lediglich aus rechtlichen Gründen keinen Bestand hat (OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Karlsruhe in NJW 1973, 1989, 1990).
Die Kostenentscheidung beruht auf der Vorschrift des § 465 StPO. Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg, so dass der Angeklagte die Kosten des Rechtsmittels zu tragen hat.
zur Startseite "Rechtsprechung"
zum SuchformularDie Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".