Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ws 101/00 OLG Hamm

Leitsatz: Über den vom Vertreter der Staatsanwaltschaft im Rahmen seines Schlussvortrags gemäß § 258 Abs. 1 StPO gestellten Antrag auf Erlas eines Haftbefehls hat das Gericht bei der Urteilsfällung, und damit in vollständiger Besetzung zu entscheiden.

Senat: 4

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Untersuchungshaft, U-Haft, Außervollzugsetzung, Haftverschonung, rechtsfehlerhafte Haftanordnung, Besetzung, Haftbefehl mit Urteil erster Instanz, Erlaß durch Richter allein ohne Schöffen

Normen: GVG 30 Abs. 1; StPO 258, StPO 268 b

Beschluss: Strafsache gegen K.P.
wegen Betrugs
(hier: Ablehnung der Aussetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 6. März 2000 gegen den Beschluß der 4. Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 23. Februar 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.03.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung an die 4. Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:
I. Der Angeklagte befindet sich in vorliegender Sache (wieder) in Untersuchungshaft seit dem 29. Oktober 1999. An diesem Tag ist er vom erweiterten Schöffengericht des Amtsgerichts Paderborn wegen Betrugs in neun Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, und wegen Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Zugleich hat das Gericht den vom Schöffenrichter erlassenen Haftbefehl vom selben Tag verkündet, mit dem die Untersuchungshaft wegen der Taten, die Gegenstand der Verurteilung sind, sowie der Haftgründe der Fluchtgefahr und der Verdunkelungsgefahr angeordnet worden ist. Gegen die Entscheidung in der Hauptsache haben die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte Berufung eingelegt. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 12. Januar 2000 sind die Akten dem Vorsitzenden der Strafkammer des Landgerichts Paderborn "zur gefälligen Terminsbestimmung" übersandt worden.

Mit Schriftsatz vom 3. Februar 2000 hat der Verteidiger beantragt, den Haftbefehl des Amtsgerichts Paderborn vom 29. Oktober 1999 außer Vollzug zu setzen. In der Begründung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, vertritt er den Standpunkt, daß Haftgründe fehlten, weswegen der Haftbefehl "zumindest" außer Vollzug zu setzen sei (BD. VII Bl. 867 d.A.).Mit dem angefochtenen Beschluß vom 23. Februar 2000 hat der Vorsitzende der 4. Strafkammer des Landgerichts Paderborn den Antrag zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 6. März 2000, der die Strafkammer nicht abgeholfen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Die gemäß §§ 117 Abs.2, 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig und hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Die Entscheidung über die Aussetzung des Vollzugs der Untersuchungshaft kann keinen Bestand haben, weil die zugrundeliegende Haftanordnung rechtsfehlerhaft ist.

1. Der Erlaß des Haftbefehls des Amtsgerichts Paderborn vom 29. Oktober 1999 entspricht nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 2 Satz 2 GG. Über den vom Vertreter der Staatsanwaltschaft am Tag der Urteilsfällung im Rahmen seines Schlußvortrags gemäß § 258 Abs. 1 StPO - im Hinblick auf die geforderte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren - gestellten Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls wegen Fluchtgefahr hatte das erweiterte Schöffengericht bei der Urteilsfällung, und damit in vollständiger Besetzung zu entscheiden.
Das ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 30 Abs.1 GVG, wonach die Schöffen auch an den im Laufe einer Hauptverhandlung zu erlassenden Entscheidungen teilnehmen, die in keiner Beziehung zu der Urteilsfällung stehen und die auch ohne mündliche Verhandlung erlassen werden können. Überdies handelt es sich bei der von der Staatsanwaltschaft beantragten Haftentscheidung um denselben Prüfungsgegenstand, wie bei der von Amts wegen zu treffenden Entscheidung gemäß § 268 b StPO. Diese sieht das Gesetz bei der Urteilsfällung vor, wenn sich der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt in amtlicher Verwahrung befindet und deshalb die Fortdauer der Untersuchungshaft in Frage steht. Nach einhelliger Meinung entscheidet darüber das Gericht in der Besetzung, in der es auch das Urteil fällt (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl. (1999), § 268 b StPO Rdnr. 2;LR-Siolek, 25. Aufl. (1999), § 30 GVG Rdnr. 1, 22; Pfeiffer, 2. Aufl. (1999), § 268 b StPO Rdnr. 2). Es macht rechtlich keinen Unterschied, ob mit der Urteilsverkündung über die Fortdauer der Untersuchungshaft oder über deren Beginn zu befinden ist (vgl. KK-Engelhardt, 4. Aufl. (1999), § 268 b StPO Rdnr.4).

2. Das mit der Haftprüfung gemäß § 117 StPO befaßte Berufungsgericht (§ 126 Abs. 2 Satz 1 StPO) hätte sich - auch im Hinblick auf die Begründung der Antragsschrift vom 3. Februar 2000 nicht darauf beschränken dürfen, über die (nachrangige) Frage der Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu entscheiden.

Der Senat hat von einer Kostenentscheidung abgesehen, weil er über den Haftprüfungsantrag in der Sache nicht entscheiden hat.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".