Aktenzeichen: 3 Ss Owi 15/97 OLG Hamm
Leitsatz: Nur derjenige verstößt gegen das Gebot "Halt vor der Kreuzung" (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S.7 StVO), der in den eigentlichen, durch die Lichtzeichenanlage geschützten Kreuzungsbereich einfährt, während in den Fällen, in denen der Betroffene zwar die Haltelinie überfährt, aber vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anhält, lediglich ein Verstoß gegen § 41 Abs. 3 Nr. 2 (Zeichen 294) vorliegt. Zu diesem geschützten Kreuzungsbereich gehört jedoch in den Fällen, in denen den sich kreuzenden Fahrbahnen eine Fußgängerfurt vorgelagert ist, auch diese Fußgängerfurt mit dem Fußgängerüberweg, so dass der Rotlichtverstoß bereits beim Einfahren in die Fußgängerfurt vollendet ist.
Senat: 3
Gegenstand: OWi-Verfahren
Stichworte: Rotlichtverstoß, Fahrverbot, Gefährdung von Fußgängern, Gefährdung des Querverkehrs, Halten vor Kreuzungsbereich, qualifizierter Rotlichtverstoß
Normen: StVO 37, StVG 25
Beschluss: Bußgeldsache gegen J.P. wegen fahrlässigen Rotlichtverstoßes.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 06.11.1996 gegen das Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 04.11.1996 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.02.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Gütersloh hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, § 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 250,- DM verurteilt und ihm auf die Dauer von einem Monat untersagt, im öffentlichen Straßenverkehr Kraftfahrzeuge zu führen.
Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
Am 14.04.1996 gegen 10.58 Uhr befuhr der Betroffene mit dem Pkw Mitsubishi, amtliches Kennzeichen GT-AT 519, die L 782 in Gütersloh. Er beabsichtigte, an der Kreuzung mit der B 61 über die rechte der beiden Linksabbiegerspuren in die B 61 in Richtung Bielefeld abzubiegen. Er näherte sich der Kreuzung in zügiger Fahrt, als er bemerkte, dass das Lichtzeichen der für ihn geltenden Ampel auf Rot wechselte. Er fuhr über die Haltelinie und die anschließende Fußgängerfurt zumindest bis zur zweiten Induktionsschleife der Rotlichtüberwachungsanlage Traffiphot-III in dieser Fahrbahn, die 12,8 m hinter der Haltelinie unmittelbar vor der Geradeausspur für den Querverkehr liegt. Möglicherweise brachte der Betroffene sein Fahrzeug dort zum Stillstand. Zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie zeigte die Ampel bereits etwas über zwei Sekunden Rotlicht. Bei hinreichender Aufmerksamkeit und angepaßter Geschwindigkeit hätte der Betroffene rechtzeitig vor der Haltelinie anhalten können, Nachfolgeverkehr, der die Möglichkeit eines gefahrlosen Anhaltens in Frage gestellt hätte, war nicht vorhanden.
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen beruhen auf dessen Angaben. Zum Tatvorwurf hat er sich dahingehend eingelassen, er sei zügig an die Kreuzung herangefahren und habe im letzten Moment gesehen, dass es Rot geworden sei. Er habe den ersten Blitz der Rotlichtüberwachungsanlage registriert und sei mit seinem Fahrzeug stehengeblieben noch vor der Fahrbahn für den Querverkehr. Es habe dann nochmals stark geblitzt. Er habe dann zunächst den Querverkehr abgewartet und sei später weitergefahren."
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der rechtzeitig eingelegten und begründeten Rechtsbeschwerde, mit der er - nicht näher ausgeführt - die Verletzung formellen Rechts sowie mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt. Hierzu führt er aus, dass aufgrund des Umstandes, dass es zu einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch sein Verhalten nicht gekommen sei, bereits zweifelhaft sei, ob er überhaupt einen Ordnungswidrigkeitentatbestand erfüllt habe. Zumindest müsse deshalb jedoch von der Verhängung des Fahrverbotes Abstand genommen werden. Eine Gefährdung des Querverkehrs habe nicht vorgelegen, da er sein Fahrzeug noch vor dessen Erreichen angehalten habe. Auch eine Gefährdung von Fußgängern sei nicht feststellbar. Zum einen habe der Betroffene die gesamte Fußgängerfurt hervorragend überschauen können, zum anderen stehe auch nicht fest, ob die Fußgängerfurt auf Grün geschaltet war, so dass Fußgänger die Furt möglicherweise gar nicht betreten konnten und durften.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde, die ihrer Ansicht nach auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt ist, gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat in der Sache keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht einen sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoß des Betroffenen gemäß §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, § 24 StVG i.V.m. laufende Nr. 34.2. BKatV festgestellt. Der qualifizierte Rotlichtverstoß des Betroffenen war hier nämlich bereits mit der Einfahrt in die Fußgängerfurt, die ebenfalls zu dem durch die von ihm mißachtete Lichtzeichenanlage geschätzten Kreuzungsbereich gehörte, vollendet. Auf die Frage, ob die Fußgänger im Bereich dieser Fußgängerfurt zum Zeitpunkt des Einfahrens in diese Fußgängerfurt durch den Betroffenen ebenfalls Rotlicht hatten, kommt es bereits im Hinblick darauf nicht an, dass an Fußgängerüberwegen, die sich - wie hier - über mehrere Fahrstreifen erstrecken, jedenfalls mit Nachzüglern zu rechnen ist und bereits deshalb die erforderliche abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer - hier der Fußgänger - nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes gemäß den §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG. Allerdings verstößt nach heute einhelliger Ansicht, die auch der Senat in ständiger Rechtsprechung vertritt, nur derjenige gegen das Gebot "Halt vor der Kreuzung" (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S.7 StVO), der in den eigentlichen, durch die Lichtzeichenanlage geschützten Kreuzungsbereich einfährt, während in den Fällen, in denen der Betroffene zwar die Haltelinie überfährt, aber vor dem eigentlichen Kreuzungsbereich anhält, lediglich ein Verstoß gegen § 41 Abs. 3 Nr. 2 (Zeichen 294) vorliegt (Senat, Beschluss vom 27.05.1993 - 3 Ss Owi 503/93 OLG Hamm = VRS 85, 464, 465; OLG Frankfurt VRS 59, 385, 386; OLG Köln, VRS 60, 63, 64; BayObLG, VRS 60, 381; OLG Hamm, VRS 84, 51, 52; OLG Oldenburg, NZV 1993, 446, 447; OLG Köln, NZV 1994, 330; BayObLG, ZfS 1994, 467; OLG Karlsruhe, NZV 1995, 289, 290; OLG Celle, ZfS 1994, 306, 307; OLG Köln, NZV 1995, 327, 328; OLG Frankfurt, NZV 1995, 36). Zu diesem geschützten Kreuzungsbereich gehört jedoch in den Fällen, in denen den sich kreuzenden Fahrbahnen - wie hier - eine Fußgängerfurt vorgelagert ist, auch diese Fußgängerfurt mit dem Fußgängerüberweg, so dass der Rotlichtverstoß bereits beim Einfahren in die Fußgängerfurt vollendet ist (BayObLG VRS 67/150, OLG Oldenburg, NZV 1993, 446, 447; OLG Köln, NZV 1994, 330; OLG Karlsruhe, NZV 1995, 289, 290; OLG Celle, ZfS 1994, 306; Löhle/Berr, DAR 1995, 312; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 37 StVO Rdnr. 58, 61). Der vom OLG Celle (ZfS 1994, 306) - allerdings für den Fall des Fahrstreifenwechsels im Kreuzungsbereich - vertretenen Ansicht, dass ein Rotlichtverstoß bei Durchfahren der Fußgängerfurt dann nicht vorliege, wenn Fußgänger und Radfahrer aufgrund der für sie geltenden Lichtzeichen die Furt nicht queren dürfen, vermag sich der Senat jedenfalls für den hier vorliegenden Fall des nicht mit einem Wechsel auf einen durch Grünlicht freigegebenen Fahrstreifen verbundenen Rotlichtverstoßes nicht anzuschließen. Die Annahme eines Rotlichtverstoßes setzt nämlich nach der oben dargestellten, einhelligen Ansicht der Oberlandesgerichte allein voraus, dass der Betroffene bei Rotlicht in den geschützten Kreuzungsbereich einfährt. Die weitere Frage, ob trotz des Rotlichtverstoßes eine abstrakte Gefährdung des Querverkehrs ausgeschlossen werden kann, ist demgegenüber nur für die Annahme eines groben Pflichtverstoßes i.S.d. § 25 Abs. 1 S.1 StVG und damit für die Bestimmung der Rechtsfolgen des Rotlichtverstoßes i.S.d. Annahme eines mit der Verhängung eines Fahrverbotes bewährten qualifizierten Rotlichtverstoßes von Bedeutung (Senat, Beschluss vom 16.07.1996, 3 Ss Owi 834/96; DAR 1996, 469; BayObLG DAR 1996, 103; OLG Köln, NZV 1994, 330, 331; OLG Zweibrücken, ZfS 1994, 147, 148; OLG Frankfurt, NZV 1995, 36). Aber auch einen solchen groben Pflichtverstoß, der die Regelfolge der laufenden Nr. 34.2 BKatV auslöst, hat das Amtsgericht hier zutreffend bejaht. Angesichts der von ihm hier rechtsfehlerfrei und von der Rechtsbeschwerde auch nicht angegriffen festgestellten Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes des Betroffenen würde ein solcher grober Pflichtverstoß nur dann ausscheiden, wenn bereits eine abstrakte Gefährdung des Querverkehrs, insbesondere auch der Fußgänger und Radfahrer als möglicher Benutzer der Fußgängerfurt, hier hätte ausgeschlossen werden können, etwa weil der Querverkehr bereits durch Rotlicht gesperrt war und auch nicht mit Nachzüglern zu rechnen war (Senat, Beschluss vom 16.0 l 9 - 3 Ss Owi 834/96; DAR 1996, 469; BayObLG DAR 1996, 103). Zwar enthält das angefochtene Urteil keine Feststellungen zur Ampelschaltung in der Fußgängerfurt. Gleichwohl kann hier eine abstrakte Gefährdung von Fußgängern und Radfahrern bereits deshalb nicht ausgeschlossen werden, weil in der Fußgängerfurt einer - wie hier - mehrspurigen Fahrbahn jedenfalls stets mit Nachzüglern zu rechnen ist. Fußgängerlichtzeichen haben nur die Farbfolge Grün-Rot-Grün (§ 37 Abs. 2 Nr. 5 StVO), so dass jedenfalls dann, wenn die Fußgänger mehrere Fahrstreifen überqueren müssen, ständig mit Fußgängern zu rechnen ist, die während des Querens der Fahrbahn vom Rotlicht überrascht werden. Dementsprechend bestimmt bereits § 37 Abs. 2 Nr. 5 S.3 StVO, dass in diesen Fällen die Fußgänger ihren Weg zügig - trotz des nunmehr für sie geltenden Rotlichts - fortzusetzen haben (vgl. insoweit auch Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 37 StVO Rdnr. 58 m.w.N.). Insbesondere ist auch Gehbehinderten das Betreten breiter Fahrbahnen ohne Mittelinsel nicht nur zu Beginn der Grünphase der Fußgängerlichtzeichenanlage, sondern auch dann erlaubt, wenn diese Grünphase bereits einige Zeit angedauert hat (ebda.). Hier ist zu beachten, dass sich Fahrzeugführer bereits gemäß § 3 Abs. 2 a StVO insbesondere gegenüber Kindern sowie gegenüber hilfsbedürftigen und älteren Menschen stets so zu verhalten haben, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Insgesamt muss daher gerade auch unter Zugrundelegung der Wertentscheidung des Verordnungsgebers, wie sie in den einschlägigen oben zitierten Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung zum Ausdruck kommt, davon ausgegangen werden, dass insbesondere Fußgänger aber auch Radfahrer Fußgängerfurten berechtigterweise stets auch dann benutzen dürfen, wenn während der Überquerung der Furt die für sie geltende Lichtzeichenanlage auf Rotlicht umgesprungen ist und dass gerade auch in diesem Fall besondere Rücksichtnahmepflichten der Fahrzeugführer bestehen. Damit scheidet die Rotphase der Fußgängerlichtzeichenanlage als ein zum Ausschluß einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geeignetes Kriterium aus. Vielmehr muss nach dieser Wertung davon ausgegangen werden, dass bei einem Rotlichtverstoß unter Verletzung des Schutzbereichs solcher Fußgängerfurten eine abstrakte Gefährdung von Fußgängern durch den Betroffenen jedenfalls in der Regel nicht ausgeschlossen werden kann. Auch im vorliegenden Fall ist keine andere Bewertung gerechtfertigt. Im übrigen wird in dieser Situation ohnehin i.d.R. auch nicht der Nachweis gefordert, dass der (Fahrzeug-) Querverkehr "grün gehabt hat. Da das amtsgerichtliche Urteil zum Rechtsfolgenausspruch auch des weiteren keine Rechtsfehler aufweist - der Senat macht insoweit im Hinblick auf den entsprechenden Antrag der Generalstaatsanwaltschaft von der Möglichkeit der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2, 3 StPO Gebrauch - war die Rechtsbeschwerde mit der sich aus § 46 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.
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