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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss Owi 1540/96 OLG Hamm

Leitsatz: Wegen der erheblichen Auswirkungen im Rechtsfolgenausspruch muss die Feststellung, dass das Rotlicht mehr als eine Sekunde angedauert hat, vom Tatrichter nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis hergeleitet werden. Bei einer Schätzung der Rotlichtzeit durch den den Rotlichtverstoß zufällig beobachtenden Polizeibeamten muss angegeben werden, auf welcher Grundlage die Schätzung beruht.

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Normen: 267 StPO, StVO 37

Stichworte: Anforderung an Urteilsgründe, Aufhebung, Haltelinie, gezielte Rotlichtüberwachung, qualifizierter Rotlichtverstoß, Verfahrensrügen, Zeitschätzung

Beschluss: Bußgeldsache gegen V.P.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 25. Juli 1996 hat. der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.01.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
Durch das angefochtene Urteil wurde gegen den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 37 Abs. 2 Ziffer 1 S.7, Ziffer 2, 49 Abs. 3 Ziffer 2 StVO, § 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 250,- DM sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Nach dem von dem Amtsgericht festgestellten Sachverhalt befuhr der Betroffene am 19.08.1995 gegen 21.55 Uhr mit seinem PKW BMW in Bielefeld die Voltmannstraße, eine innerörtliche vierspurige Straße mit zwei Fahrstreifen für jede Richtung. An einer Parkeinbuchtung vor der Einmündung der Straße Rottmannshof überprüfte um diese Zeit der Polizeibeamte Wo. ein ausländisches Fahrzeug, während sein Kollege, Polizeimeister We.., das Umfeld sicherte.

Etwa zu dem Zeitpunkt, zu dem die Fahrzeugüberprüfung beendet war, passierte der Betroffene mit seinem Fahrzeug die Kontrollstelle, und zwar sehr langsam, mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h, da er davon ausging, selbst kontrolliert zu werden. Durch die beobachtete Polizeikontrolle war der Betroffene derart abgelenkt, dass er die in seiner Fahrtrichtung etwa 40 m hinter der Parkbucht befindliche und Rotlicht anzeigende Lichtzeichenanlage, die sowohl rechts und links der Fahrbahn und sehr wahrscheinlich noch über der Fahrbahn angebracht war, übersah. Als der Betroffene diese Lichtzeichenanlage, die Fußgängern eine gefahrlose Überquerung der Voltmannstraße ermöglichen soll, passierte, zeigte diese bereits seit mehr als einer Sekunde, voraussichtlich sogar bereits seit 3 bis 5 Sekunden, Rotlicht. Die beiden Polizeibeamten hatten den Rotlichtverstoß gesehen. Sie folgten dem Betroffenen und hielten ihn kurze Zeit danach an.

Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, eine Lichtzeichenanlage am Tattage nicht gesehen zu haben, was darauf beruhen könne, dass er kurzzeitig durch eine Taschenlampe der Polizeibeamten geblendet worden sei und sich die Lichtzeichenanlage bereits unmittelbar hinter der Kontrollstelle (etwa 5 m) und nur über der Fahrbahn befunden habe. Für den Fall, dass die Lichtzeichenanlage tatsächlich in Betrieb gewesen war, hat er bestritten, dass diese zum Zeitpunkt seines Passierens überhaupt Rotlicht gezeigt habe, zumindest aber, dass diese bereits seit mehr als einer Sekunde Rotlicht angezeigt habe.

Das Amtsgericht hat diese Einlassung als widerlegt angesehen und zur Begründung ausgeführt:
"Die Polizeibeamten Wo. und We. haben übereinstimmend bekundet, dass sich die Lichtzeichenanlage etwa 40 bis 50 Meter hinter ihrer Kontrollstelle befunden habe. Während der Betroffene die Strecke zurückgelegt hat, haben sie, da sie ihre Überprüfung soeben beendet hatten, dem PKW des Betroffenen hinterhergeblickt. Bei der Nachschau sahen sie, dass der Betroffene die Rotlicht zeigende Ampelanlage mißachtete. Während der Zeuge We. sich auf mehrfache Nachfrage konkret nur noch daran erinnern konnte, dass die Ampel im Moment des Passierens durch den Betroffenen Rot zeigte, hat der Zeuge Wo. bekundet, die Ampel habe bereits seit mehreren Sekunden, jedenfalls mehr als 3 Sekunden, Rot gezeigt. Ferner gab der Zeuge We. an, dass die Ampel seiner Auffassung nach auch nicht gerade erst auf Rot gewechselt können sei. Diese Aussagen, die miteinander übereinstimmen und jede für sich widerspruchsfrei sind, sind glaubhaft. Insbesondere ist es überzeugend, dass der Zeuge We., der gerade für die Sicherung seines Kollegen verantwortlich war, sein Augenmerk besonders auf einen, mit einer für eine zweispurige Straße auffällig langsamen Geschwindigkeit von ca. 30 km/h, vorbeifahrenden PKW richtete. Zudem ist es glaubhaft, wenn auch der Zeuge Wo., der seine Kontrolle soeben beendet hatte, dem langsam fahrenden Fahrzeug nachschaute. Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass der Betroffene bei einer Fahrstrecke von mehr als 5 Metern beobachtet wurde und die Zeugen dabei in Verlängerung ihrer Blickrichtung die Lichtzeichenanlage wahrnehmen konnten. Zwar haben der Betroffene und der Zeuge E. bekundet, die Lichtzeichenanlage befinde sich nur 4 bis 5 Meter hinter der Park/Haltebucht. Die Polizeibeamten haben jedoch von 40 bis 50 Metern gesprochen. Hierfür spricht insbesondere, dass sich zwischen der Bucht und der Lichtzeichenanlage noch ein Stück Gehweg und der Einmündungsbereich der Straße Rottmannshof befinden.

Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass die Lichtzeichenanlage in Betrieb war und bereits seit mehr als einer Sekunde Rot zeigte. Die Zeugen Wo. und We. haben übereinstimmend bekundet, die Ampel habe Rotlicht gezeigt. Herr Wo. hat zudem von jedenfalls mehr als 3 Sekunden Rotlicht gesprochen. Der Zeuge We. hat erklärt, die Rotphase habe bereits länger bestanden müssen. Er selbst sei mit seinem Kollegen bereits unmittelbar nach Erkennen des Rotlichtverstoßes rasch in den Polizeiwagen gestiegen und habe die Verfolgung aufgenommen. Als er mit seinem .Kollegen die Lichtzeichenanlage erreicht hatte, war sie bereits wieder auf Grün umgesprungen, man habe keine Sonderzeichen einsetzen müssen. Soweit der Zeuge E. bei seiner Vernehmung auf Nachfrage erklärt hat, er habe kein Lichtzeichen gesehen bzw. Rotlicht sei nicht gezeigt worden, konnte dem nicht gefolgt werden, da wie bereits erwähnt, die Zeugen Wo. und We. etwas anderes ausgesagt haben. Der Zeuge E. hat zu Beginn seiner Vernehmung davon gesprochen, eine Ampel nicht gesehen zu haben. Insoweit war seine Aussage daher widersprüchlich."

Unter Berücksichtigung der festgestellten Länge der Strecke zwischen der Park-/Haltebucht und der Lichtzeichenanlage von mindestens 40 m ist der Amtsrichter davon ausgegangen, dass der Betroffene die Lichtzeichenanlage ohne weiteres erkennen und beachten können und hat er die Möglichkeit einer Blendung des Betroffenen durch eine von den Polizeibeamten benutzten Taschenlampe ausgeschlossen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser sowohl die Verletzung formellen als auch materiellen Rechts rügt.

Die frist- und formgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde hat auf die erhobene Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Bielefeld. Infolgedessen konnte es dahingestellt bleiben, ob auch die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen hier durchgreifen.

Die Urteilsgründe tragen nicht den Schuldausspruch wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes bei einer Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde entsprechend Nr. 34.2 der BKatV (qualifizierter Rotlichtverstoß). An die Urteilsgründe in Bußgeldsachen sind zwar keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird (Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 71 Randziffer 42). Wegen der erheblichen Auswirkungen im Rechtsfolgenausspruch - die Bußgeldkatalogverordnung sieht in Nr. 34 für den einfachen Rotlichtverstoß lediglich eine Regelgeldbuße von 100,- DM, für den qualifizierten Rotlichtverstoß nach Nr. 34.2 aber eine solche von 250,- DM sowie die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes vor - muss die Feststellung, dass das Rotlicht mehr als eine Sekunde angedauert hat, von dem Tatrichter nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis hergeleitet werden (vgl. OLG Köln, VRS Band 89, S. 470 (471).

Das Amtsgericht stützt seine Überzeugung von einer Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde auf die Aussagen der Zeugen Wo. und We. Beide Zeugen haben jedoch eine exakte Messung der Rotlichtzeit nicht vorgenommen. Sie haben nach den getroffenen Feststellungen auch keine gezielte Rotlichtüberwachung vorgenommen, sondern die Mißachtung des Rotlichts durch den Betroffenen zufällig beobachtet, als sie dessen Fahrzeug nach dem Passieren der Haltebucht hinterhersahen. Die in den Urteilsgründen mitgeteilte Angabe des Zeugen Wo., zum Zeitpunkt des Überfahrens der Lichtzeichenanlage durch den Betroffenen habe diese mehr als drei Sekunden Rotlicht gezeigt, stellt daher nur eine Schätzung dar. Zeitschätzungen sind jedoch wegen der Ungenauigkeit des menschlichen Zeitgefühls in der Regel mit einem erheblichen Fehlerrisiko behaftet. Infolgedessen bedarf es in einem solchen Fall Ausführungen dazu, auf welcher Grundlage die Schätzung des Zeugen beruht, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung zu ermöglichen, ob die von dem Tatrichter angenommene Rotlichtzeit auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht. Das angefochtene Urteil enthält aber keine Ausführungen dazu, wie der Zeuge Wo. zu der Feststellung gelangt ist, die Lichtzeichenanlage habe bereits mehr als drei Sekunden Rotlicht gezeigt, als der Betroffene sie passiert habe.

Auch aus der mitgeteilten Aussage des Zeugen We. lässt sich ein Rotlichtverstoß bei einer Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde nicht nachvollziehbar herleiten. Dieser konnte sich konkret nur daran erinnern, dass die Lichtzeichenanlage Rotlicht zeigte, als der Betroffene diese passierte. Er hat zwar außerdem bekundet, seiner Auffassung nach könne die Lichtzeichenanlage nicht erst zu diesem Zeitpunkt auf Rotlicht umgesprungen sein und zur Begründung ausgeführt, unmittelbar nach dem Erkennen des Rotlichtverstoßes seien er und der Zeuge Wo. rasch in ihren Polizeiwagen gestiegen und hätten die Verfolgung des Betroffenen aufgenommen. Als sie die Lichtzeichenanlage erreicht gehabt hätten, hätte diese bereits wieder Grünlicht gezeigt. Diese Angaben würden aber nur dann eine tragfähige Grundlage für eine zuverlässige Berechnung der Dauer der Rotlichtzeit darstellen, wenn gleichzeitig Feststellungen dazu getroffen worden wären, wie lange die gesamte Rotlicht- und Gelblichtphase der hier in Rede stehenden Lichtzeichenanlage zum Tatzeitpunkt dauerte, sowie welchen konkreten Zeitraum die beiden Polizeibeamten benötigten, um in ihr Fahrzeug zu steigen, dieses ggf. erst anzulassen und damit den Weg bis zu der Lichtzeichenanlage zurückzulegen, und außerdem festgestellt worden wäre, wie weit die beiden Polizeibeamten exakt noch von der Lichtzeichenanlage entfernt waren, als diese wieder auf Grünlicht umsprang. Entsprechende Feststellungen hat der Amtsrichter aber nicht getroffen.

Zu beanstanden ist schließlich darüber hinaus, dass der Amtsrichter bei der Feststellung der Dauer der Rotlichtzeit darauf abgestellt hat, wann der Betroffene die Lichtzeichenanlage passiert hat. Denn nach inzwischen einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung ist für die Berechnung der Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde der Zeitpunkt maßgeblich, in dem das betreffende Fahrzeug die Haltelinie passiert (vgl. Beschluss des Senats vom 19. Dezember 1995 - 3 Ss Owi 378/95; BayObLG NZV 1994/200; OLG Frankfurt NZV 1995, 36; OLG Köln VRS Band 89, S. 471).

Eine Rotlichtzeit von mehr als einer Sekunde ist daher hier nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt worden, so dass das Urteil nebst den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben war. Da nicht auszuschließen ist, dass hinsichtlich der Dauer der Rotlichtzeit eine weitere Aufklärung möglich ist, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen.


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