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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 847/97 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Ein Richter am LG kann niemals zum ständigen Vorsitzenden einer ordentlichen Strafkammer bestellt werden.
2. Die Bestellung von mehreren nebeneinander und gleichzeitig tätig werdenden Vertretern des Vorsitzenden einer Strafkammer ist unzulässig, weil dadurch Güte und Einheitlichkeit der Rechtsprechung des Spruchkörpers nicht gwährleistet werden können.
3. Es widerspricht dem Grundsatz des gesetzlichen Richters, wenn ein Geschäftsverteilungsplan keine verbindliche Entscheidung über die Person des Richters einer Strafkammer trifft und danach die Möglichkeit verbleibt, jederzeit einen anderen Vorsitzenden Richter während des laufenden Geschäftsjahres mit dem Vorsitz zu betrauen.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Besetzungsrüge, Geschäftsverteilung, Präsidium, Öffentlichkeit, Richter am LG als Vorsitzender

Normen: StPO 338 Nr. 1, 338 Nr. 6, GVG 21 f a, GVG 76

Fundstelle: StV 1998, 6

Beschluss: Strafsache gegen M.K.,
wegen Betruges.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 6 a Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 4. März 1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. September 1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen..

Gründe:
Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 5. Juli 1996 wegen Betruges in sechs Fällen und wegen Unterschlagung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Die hiergegen von dem Angeklagten eingelegte und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil als unbegründet verworfen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sowohl formellen als auch materiellen Rechts rügt.
Mit der erhobenen Verfahrensrüge macht er u.a. einen Verstoß gegen § 338 Nr. 6 StPO geltend mit der Begründung, dass zum Zeitpunkt des Plädoyers der Verteidigung sowie des Schlußvortrages der Staatsanwaltschaft und auch bei der Verlesung der Urteilsformel die Vorschriften über die Öffentlichkeit nicht beachtet worden seien. Insoweit ist ausgeführt, nach einer Unterbrechung um 16.30 Uhr sei der Haupteingang des Landgerichts Bielefeld verschlossen gewesen. Geöffnet gewesen sei lediglich ein Nebenausgang, durch den ein Betreten des Gebäudes jedoch nicht möglich sei.
Des weiteren rügt der Angeklagte einen Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO. Hierzu trägt er vor, die 6 a Strafkammer des Landgerichts Bielefeld sei mit Richter am Landgericht K. gerichtsverfassungsrechtlich nicht zulässig besetzt gewesen. Zwar habe es der Bundesgerichtshof für zulässig erachtet, dass Hilfsstrafkammern durch einen Richter am Landgericht geführt würden. Bei der 6 a Strafkammer des Landgerichts Bielefeld handele es sich indes nicht um eine Hilfsstrafkammer, sondern um einen ständigen Spruchkörper. Die 6 a Strafkammer sei nicht gebildet worden, um eine besondere Belastung einer anderen Strafkammer zeitlich befristet auszugleichen. Sinn und Zweck der Einrichtung dieser Strafkammer sei vielmehr die auf Dauer ausgerichtete Aufteilung der Tätigkeit der bisherigen 6. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld auf die neu gebildeten Strafkammern 6 a und 6 b. Die Besetzung der 6 a Strafkammer mit einem Richter am Landgericht als Vorsitzendem verstoße damit gegen die Regelung des § 21 f Abs. 1 GVG. Zu der vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Bielefeld hat die Revision ausgeführt, es sei nochmals darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Institution der Hilfsstrafkammer im Hinblick auf den Verfassungsgrundsatz des gesetzlichen Richters in zeitlicher Hinsicht Grenzen unterliege, die im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden seien. Weder gehe aus den entsprechenden Beschlüssen des Präsidiums hervor, dass die Bildung der (Hilfs-)Strafkammer 6 a und 6 b überhaupt zeitlich befristet gewesen sei noch sei ersichtlich, dass das Präsidium berechtigterweise davon habe ausgehen können, dass die Hilfsstrafkammer spätestens im nächsten Geschäftsjahr wieder aufgelöst werden würde.

Bezüglich dieser erhobenen Rüge ist folgendes festgestellt worden:

In der Berufungshauptverhandlung vom 4. März 1997 ist die 6 a Strafkammer des Landgerichts Bielefeld besetzt gewesen mit Richter am Landgericht K. als Vorsitzendem und zwei Schöffen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Bielefeld für das Jahr 1996 war ursprünglich Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. R. zum Vorsitzenden der 6. Strafkammer bestellt worden. Unter dem 20. September 1996 hat das Präsidium den 17. Änderungsbeschluß zur Geschäftsverteilung des Landgerichts Bielefeld für das Jahr 1996 gefaßt. Dieser lautet unter Punkt 4. wie folgt:
Vorsitzender Richter am Landgericht G. tritt mit Ablauf des 30. September 1996 in den Ruhestand und scheidet damit bei dem Landgericht Bielefeld aus. Zum gleichen Zeitpunkt wechselt Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. R. aus der 6. Strafkammer in die 3. Kammer für Handelssachen (12. Zivilstrafkammer) und übernimmt dort den Vorsitz. Die 6. Strafkammer wird als 6 a und 6 b fortgeführt, wobei die 6 a Strafkammer aus dem Zuständigkeitsbereich der bisherigen 6. Strafkammer von den Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts und des erweiterten Schöffengerichts (einschließlich etwaiger Wiederaufnahmeverfahren) alle anhängigen und neu eingehenden Verfahren übernimmt, bei denen der Name des/der Angeklagten mit den Buchstaben A - K beginnt und die 6 b Strafkammer entsprechend alle der genannten anhängigen und neu eingehenden Verfahren, bei denen der Name des/der Angeklagten mit den Buchstaben L - Z beginnt. Bei den Berufungen gegen Urteile des Strafrichters (einschließlich etwaiger Wiederaufnahmeverfahren) fallen in den Zuständigkeitsbereich der 6 a Strafkammer alle Verfahren, bei denen der Name des/der Angeklagten mit A - L beginnt, in den Zuständigkeitsbereich der 6 b Strafkammer alle Verfahren, bei denen der Name des/der Angeklagten mit M - Z beginnt. Der Vorsitz der 6 a Strafkammer wird von Richter am Landgericht K., der Vorsitz der 6 b Strafkammer von Richter am Landgericht Ko., jeweils mit 0,25 ihrer Arbeitskraft übernommen. Vertreter von Richter am Landgericht K. ist Richter am Landgericht Ko., Vertreter von Richter am Landgericht Ko. Richter am Landgericht K.. Ersatzvertreter sind die Vorsitzenden der 5., 7. und 11. Strafkammer. Diese Regelung gilt auch für den Fall, dass ein weiterer Richter hinzuzuziehen ist.

Vorsitzender Richter am Landgericht G. trat zum 1. Oktober 1996 in den Ruhestand. Seine Stelle wurde in dem Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen Nr. 16 vom 15. August 1996 ausgeschrieben. Um diese Stelle bewarben sich insgesamt 7 Richter sowohl des Landgerichts Bielefeld als auch des Landgerichts Detmold. Der Besetzungsbericht ist vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm am 26. November 1996 an das Justizministerium gesandt worden. Am 17. Februar 1997 hat der Präsidialrat getagt. Mit Schreiben vom 21. Februar 1997 ist den abgelehnten Mitbewerbern mitgeteilt worden, dass beabsichtigt sei, die Stelle einem Mitbewerber zu übertragen. Unter dem 5. März 1997 hat einer der Mitbewerber Gegenvorstellungen erhoben. Diese sind unter dem 12. März 1997 beschieden worden. Der abgelehnte Mitbewerber hat daraufhin förmlich Widerspruch eingelegt. Nachdem dieser Widerspruch am 14. Mai 1997 zurückgenommen worden ist, ist am 28. Mai 1997 Richter am Landgericht H., Landgericht Bielefeld, die Urkunde über die Ernennung zum Vorsitzenden Richter am Landgericht ausgehändigt worden.

Gemäß dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Bielefeld für das Jahr 1997 vom 19. Dezember 1996 ist die 6 a Strafkammer des Landgerichts Bielefeld auch weiterhin geschäftsplanmäßig mit dem Richter am Landgericht K. als Vorsitzenden besetzt gewesen.

Auf Anfrage der Staatsanwaltschaft Bielefeld hat der Präsident des Landgerichts Bielefeld mit Schreiben vom 3. Juni 1997 mitgeteilt, dass die Besetzung der 6 a Strafkammer mit Richter am Landgericht K. als Vorsitzendem darauf zurückzuführen sei, dass Vorsitzender Richter am Landgericht G. zum 1. Oktober 1996 in den Ruhestand getreten sei und seine Stelle zunächst verwaltet werden mußte. Entsprechendes gelte für die Stelle von Vorsitzendem Richter am Landgericht Dr. L., der seit dem 1. Februar 1996 an das Landgericht Cottbus abgeordnet sei. Die Verwaltung der entsprechenden Vorsitzendenstellen habe daher einem Richter im Eingangsamt übertragen werden müssen.

Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. L. war bis zu seiner Abordnung laut Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1996 Vorsitzender der 6. Zivilkammer. Richter am Landgericht G. ist zum Stellvertretenden Vorsitzenden bestellt worden. Mit dem 8. Änderungsbeschluß zur Geschäftsverteilung des Landgerichts Bielefeld für das Jahr 1996 vom 25. April 1996 ist Richter am Landgericht Geue vertretungsweise der Vorsitz in der 6. Zivilkammer des Landgerichts für die Zeit der Abordnung von Vorsitzendem Richter am Landgericht Dr. L. an das Landgericht Cottbus übertragen worden. Nachdem Richter am Landgericht Ge. im Laufe des Jahres 1996 zum Vorsitzenden Richter am Landgericht ernannt worden ist, ist ihm mit Geschäftsverteilungsbeschluß für das Jahr 1997 der Vorsitz in der 6. Zivilkammer übertragen worden.

In der vom Senat erbetenen Stellungnahme hat der Präsident des Landgerichts Bielefeld am 12. August 1997 ausgeführt, Vorsitzender Richter am Landgericht H. sei derzeit noch als Stellvertretender Vorsitzender in der 9. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld tätig, in der das Balsam-Verfahren verhandelt werde. Wann dieses Verfahren beendet werde, lasse sich noch nicht abschätzen. Die ihm übertragene Vorsitzendenstelle müsse daher weiterhin verwaltet werden. Ergänzend hat der Präsident des Landgerichts Bielefeld darauf hingewiesen, dass auch Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. L dem Landgericht noch nicht zur Verfügung stehe, da er an das Landgericht Cottbus abgeordnet sei; auch diese Stelle werde seit dem 1. Februar 1996 verwaltet.

Mit dem 18. Änderungsbeschluß zur Geschäftsverteilung des Landgerichts Bielefeld für das Jahr 1997 hat das Präsidium des Landgerichts am 19. September 1997 unter Punkt 5 folgende Entscheidung getroffen:

"Am 26. Mai 1997 ist Vorsitzender Richter am Landgericht H. zum Vorsitzenden ernannt worden. Im Hinblick auf seinen Einsatz in dem Strafverfahren gegen Balsam u.a. in der 9. Strafkammer ist er derzeit an der Wahrnehmung des Vorsitzes in einer Strafkammer gehindert. Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. L. ist weiterhin an das Landgericht Cottbus abgeordnet. Er kann daher den Vorsitz in der 6a/b Strafkammer bis auf weiteres nicht wahrnehmen. Seine Vertretung bleibt bis zu der endgültigen Entscheidung über die Dauer seiner Abordnung wie bisher geregelt, d.h. für die Verfahren, die in den Zuständigkeitsbereich der bisherigen 6 a Strafkammer fallen, ist Richter am Landgericht K., für die Verfahren, die in den Zuständigkeitsbereich der bisherigen 6 b Strafkammer fallen, Richter am Landgericht Ko. bestimmt. Hinsichtlich der Ersatzvertretung gilt ebenfalls die bisherige Regelung."

Die Revision des Angeklagten führt nicht bereits mit der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 6 StPO zum Erfolg, da sie nicht den an den Sachvortrag des Revisionsführers gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen entspricht. Wird ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens geltend gemacht, so erfordert § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die Angabe auch derjenigen - dem Revisionsführer zugänglichen Umstände, nach denen das Gericht den Verstoß zu vertreten hat, da eine nach dem Sachvortrag der Revision hier objektiv gegebene Beschränkung der Öffentlichkeit nur dann einen Revisionsgrund bildet, wenn sie auf ein vorwerfbares Verhalten des Gerichts zurückzuführen ist (BGHSt 21, 72; 22, 297; BGH NStZ 1995, 143; NStZ 1991, 122; BayObLG VRS 87, 139).

Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Es ist nicht vorgetragen, dass dem Vorsitzenden der Ausschluß der Öffentlichkeit "zuzurechnen" sei. War diese Tatsache aber ausschließlich auf ein Verschulden nachgeordneter Beamter (Protokollführer, Gerichtswachtmeister) zurückzuführen, begründet dies den Verfahrensverstoß nicht (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 338 RN 49 ff).
Dagegen hat die Revision des Angeklagten auf die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO einen jedenfalls vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache.

Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO ist in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO genügenden Weise erhoben worden. Zwar enthält der Vortrag des Beschwerdeführers keine Ausführungen darüber, weshalb für die 6 a Strafkammer ein Vorsitzender nicht bestellt worden ist. Dies macht die Rüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts indes nicht unzulässig. Die Revision hat nämlich vorgetragen, dass für die Strafkammer über das Geschäftsjahr 1996 hinaus kein Vorsitzender bestellt worden sei und aus diesem Grunde § 21 f GVG verletzt sei. Das reicht aus, um die Zulässigkeit der Besetzungsrüge zu bejahen. Der Beschwerdeführer hat damit die Tatsachen vorgetragen, die ihm, insbesondere aus dem Geschäftsverteilungsplan, zugänglich waren. Wenn auch eine Verfahrensrüge gemäß § 344 Abs. 2 S.2 StPO alle den Mangel enthaltenden Tatsachen so vollständig und genau angeben muss, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, so bedeutet das jedoch nicht, dass von dem Revisionsführer im Rahmen seiner Begründungspflicht verlangt werden kann, Tatsachen anzugeben, die ihm nicht allgemein oder als Verfahrensbeteiligtem zugänglich sind, sondern die sich - wie hier - aus präsidiumsinternen Vorgängen ergeben (BGHSt 28, 290).

Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO ist auch begründet. Die kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld war in der Hauptverhandlung am 4. März 1997 mit Richter am Landgericht K. nicht vorschriftsmäßig besetzt.

1. Gemäß § 76 Abs. 2 GVG ist die kleine Strafkammer in der Hauptverhandlung mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt. Nach § 21 f Abs. 1 GVG führen den Vorsitz in den Spruchkörpern bei den Landgerichten - außer dem Präsidenten, der hier außer Betracht bleiben kann - die Vorsitzenden Richter (vgl. § 19 a Abs. 1 DRiG). Entgegen dieser Bestimmung ist hier nach der Geschäftsverteilung des Landgerichts als ordentlicher Vorsitzender der 6 a Strafkammer, also nicht als dessen Vertreter, ein Richter am Landgericht bestimmt worden. Danach fehlte es dem Spruchkörper an der ordnungsgemäßen Besetzung i.S.d. § 338 Nr. 1 StPO (OLG Hamburg, NStZ 1984, 570; OLG Frankfurt, MDR 1978, 162; Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 f Rdnr. 2). Denn der Grundsatz des § 21 f Abs. 1 GVG gilt, wenn man von dem Fall des Vorsitzes in einer vorübergehend eingerichteten Hilfsstrafkammer absieht, der hier nicht vorliegt, weil die 6 a Strafkammer nicht wegen vorübergehender Überlastung einer ständigen Strafkammer für eine von vornherein begrenzte Zeit errichtet worden ist, nach allgemeiner Auffassung für den Bereich der Strafrechtspflege ausnahmslos. Ein Richter am Landgericht kann niemals zum ständigen Vorsitzenden einer ordentlichen Strafkammer bestellt werden (Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 f Rdnr. 2).

2. Die Besetzung der 6 a Strafkammer mit Richter am Landgericht K. ist auch nicht gemäß § 21 f Abs. 2 GVG, der den Fall der vorübergehenden Verhinderung des Vorsitzenden regelt, gerechtfertigt.
a) Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift scheidet bei der gegebenen Sachlage aus, weil Richter am Landgericht K. nach der Geschäftsverteilung als ordentlicher Vorsitzender der kleinen Strafkammer, nicht aber als dessen Vertreter bestimmt war.
b) Aber auch eine möglicherweise in Betracht kommende entsprechende Anwendung dieser Bestimmung führt nicht zu einem anderen Ergebnis, weil auch in diesem Fall eine vorschriftsmäßige Besetzung nicht vorliegt.
Dabei kann dahinstehen, ob es vorliegend zulässig gewesen wäre, bis zur Ernennung eines Vorsitzenden Richters am Landgericht nach dem Ausscheiden von Vorsitzendem Richter am Landgericht G. in dem Geschäftsverteilungsbeschluß etwa einen Vorsitzenden Richter am Landgericht als Anonymus (N.N.) als Vorsitzenden und Richter am Landgericht K. als dessen regelmäßigen Vertreter auszuweisen.
Zwar kann nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum eine vorübergehende Verhinderung i.S.d. § 21 f Abs. 2 GVG auch bei einer Vakanz im Amt des Vorsitzenden angenommen werden, also etwa in den Fällen, in denen der ordentliche Vorsitzende aus dem Amt ausgeschieden und ein Nachfolger noch nicht ernannt ist oder sein Amt noch nicht angetreten hat, vorausgesetzt, die freie Vorsitzendenstelle wird unverzüglich wieder besetzt und die Vakanz ist nur vorübergehender Art. Es handelt sich in diesem Fall um eine vorübergehende Verhinderung des künftigen Vorsitzenden. Es ist dann zulässig, die vorübergehende Verhinderung des neuen Vorsitzenden im Geschäftsverteilungsplan mit "N.N." auszuweisen (BVerfG NJW L965, 1223; NJW 1983, 1541; BVerwG NJW 1986, 1366; BGH NJW 1985, 2337; BGHSt 14, 13; 34, 379 ff, 382; OLG Celle, StV 1993, 66; Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 f Rdnr. 15).

Der Senat braucht die Frage, ob im Ergebnis eine acht Monate dauernde Nichtbesetzung der Planstelle eines Vorsitzenden Richters - nach ca. 8 Monaten ist der offenbar auch für den Vorsitz vorgesehene Richter am Landgericht H. zum Vorsitzenden Richter am Landgericht ernannt worden - noch als vorübergehende Verhinderung angesehen werden kann, nicht zu entscheiden, weil auch bei Bejahung dieser Frage eine den Anforderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes entsprechende Besetzung der 6 a Strafkammer nicht gegeben ist.

aa) Gemäß § 21 f Abs. 2 GVG führt bei Verhinderung des Vorsitzenden das vom Präsidium bestimmte Mitglied des Spruchkörpers den Vorsitz. Vorliegend ist schon nicht ein Richter am Landgericht als Vertreter des vorübergehend verhinderten Vorsitzenden bestellt, sondern es sind vielmehr zwei Richter am Landgericht bestimmt worden. Mit Beschluss des Präsidiums des Landgerichts Bielefeld vom 20. September 1996 ist die 6. Strafkammer als Strafkammer 6 a und 6 b fortgeführt worden, wobei Richter am Landgericht K. die Strafkammer 6 a und Richter am Landgericht Ko. die Strafkammer 6 b übernommen hat. Diese Regelung widerspricht § 21 f GVG.
Nach dieser Vorschrift führen, wie bereits ausgeführt, den Vorsitz in den Spruchkörpern bei den Landgerichten die Vorsitzenden Richter. Sinn und Zweck dieser gesetzlichen Regelung geht dahin, Güte und Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Kammer zu gewährleisten. Der Vorsitzende muss einen richtungsweisenden Einfluß ausüben auf den Geschäftsgang und die Rechtsprechung des Spruchkörpers (BGHSt 21, 131, 133; Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 42. Aufl., §21 f Rdnr. 2; Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 f Rdnr. 4).

§ 21 f Abs. 2 GVG regelt die Vertretung des Vorsitzenden. Bei der Besetzung der Spruchkörper hat das Präsidium jeweils ein Mitglied des Spruchkörpers zum Vertreter zu bestellen. Dieser hat die Aufgabe, im Falle der vorübergehenden Verhinderung des Vorsitzenden dessen Funktion, nämlich einen richtungsweisenden Einfluß auf die Tätigkeit des Spruchkörpers auszuüben, zu übernehmen. Die Geschäftsverteilungsbeschlüsse des Landgerichts Bielefeld widersprechen dieser gesetzlichen Regelung. Bei der Bestellung von zwei "ständigen Vertretern" des Vorsitzenden kann die oben beschriebene Aufgabe des Vorsitzenden von diesen nicht wahrgenommen werden. Ein richtungsgebender Einfluß auf die Rechtsprechung des Spruchkörpers (6. Strafkammer) ist nicht mehr möglich.
Zwar kann das Präsidium für den Fall der Verhinderung des regelmäßigen Vertreters einen oder mehrere weitere Vertreter des Vorsitzenden bestellen (Kissel, GVG, 2. Aufl., § 21 f Rdnr. 9). Nicht zulässig ist hingegen die Bestellung von mehreren nebeneinander und gleichzeitig tätig werdenden Vertretern. Dies wäre nur möglich bei gleichzeitiger Neuerrichtung eines Spruchkörpers, für die allerdings nicht das Präsidium, sondern ausschließlich der Präsident des Landgerichts zuständig wäre (§ 60 GVG).

bb) Darüber hinaus verstoßen der Geschäftsverteilungsbeschluß des Landgerichts Bielefeld vom 20. September 1996 und der Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1997 aber jedenfalls gegen Art. 101 Abs. 1 S.2 GG, § 16 GVG, da diese keinen Hinweis darauf enthalten, welcher der gemäß § 21 f Abs. 1 GVG als Vorsitzender in Betracht kommenden Richter tatsächlich als Vorsitzender vorgesehen war, so dass eine Bestimmung des gesetzlichen Richters fehlt.

Unter dem "gesetzlichen Richter" i.S.d. Art. 101 Abs. 1 S.2 GG ist diejenige Gerichtsbesetzung zu verstehen, in der das erkennende Gericht nach der durch ausdrückliche gesetzliche Bestimmungen i.V.m. dem Geschäftsverteilungsplan im voraus generell festgelegten Regelung in der Sache zu verhandeln und zu entscheiden hat. Das Gebot der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und der Bestimmbarkeit des gesetzlichen Richters gilt nicht nur für das Gericht als organisatorische Einheit oder das erkennende Gericht als Spruchkörper, sondern auch für die im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richter. Die Geschäftsverteilungspläne der Kollegialgerichte, die der Bestimmung des gesetzlichen Richters dienen, müssen daher von vornherein so eindeutig wie möglich festlegen, welche Spruchkörper und welche Richter zur Entscheidung des Einzelfalls berufen sind. Ein Strafverfahren muss nach allgemein abstrakten Maßstäben - gewissermaßen "blindlings - an den in bestimmter Weise herangezogenen und besetzten Spruchkörper gelangen. Der Geschäftsverteilungsplan darf keine vermeidbare Freiheit bei der Heranziehung der einzelnen Richter und damit keine unnötige Unbestimmtheit hinsichtlich des gesetzlichen Richters lassen (BVerfG NJW 1965, 1223; BGHSt 28, 290; KK-Pikart, StPO, 3. Aufl., § 338 Rdnr. 18).

Gegen diese zwingenden, zur Ermittlung des "gesetzlichen", im voraus bestimmten Richters geschaffenen Vorschriften verstoßen die Geschäftsverteilungsbeschlüsse des Landgerichts. Sie enthalten keinen Hinweis darauf, welcher Richter gemäß § 21 f GVG als Vorsitzender vorgesehen war. Danach ist eine verbindliche Entscheidung über die vollständige Besetzung der 6. Strafkammer entgegen § 21 e Abs. 1 und Abs. 3 GVG nicht getroffen worden, und damit ist - wenn auch unbeabsichtigt - die Möglichkeit geblieben, jederzeit einen der Vorsitzenden Richter einschließlich des Präsidenten während des laufenden Geschäftsjahres mit dem Vorsitz zu betrauen. Das aber widerspricht dem Gerichtsverfassungsgesetz.

Zwar ist der Geschäftsverteilungsbeschluß vom 20. September 1996 aus Anlass des Ausscheidens des Vorsitzenden Richters am Landgericht G. gefaßt worden. Insoweit könnte der Schluss gezogen werden, Vorsitzender der 6. Strafkammer solle der demnächst als Nachfolger für den ausgeschiedenen Vorsitzenden Richter am Landgericht Gärtner von der Justizverwaltung zu ernennende Vorsitzende sein. Für eine kurze Übergangszeit ist es zulässig, einen von der Justizverwaltung erst zu ernennenden Vorsitzenden Richter am Landgericht im voraus für das neue Geschäftsjahr zum ordentlichen Vorsitzenden zu bestellen (BVerfG NJW 1965, 1223). Eine solche Regelung ist in dem Präsidiumsbeschluß vom 20. September 1996 aber ausdrücklich nicht enthalten. Sie ergibt sich auch nicht im Wege der Auslegung.
Bereits in dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1997 fehlt jeglicher Hinweis darauf, dass die Vertretung in der 6. Strafkammer weiterhin für den zukünftigen, noch nicht ernannten Vorsitzenden nach dem Ausscheiden von Vorsitzendem Richter am Landgericht G. erfolgt. Nachdem Richter am Landgericht H. am 26. Mai 1997 von der Justizverwaltung zum Vorsitzenden Richter am Landgericht ernannt worden ist, ist dies nicht zum Anlass für eine Änderung der Geschäftsverteilung genommen worden, falls er Vorsitzender der 6. Strafkammer werden sollte bzw. hatte werden sollen.
Laut Präsidiumsbeschluß vom 19. September 1997 kann Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. L. infolge seiner weiterhin andauernden Abordnung an das Landgericht Cottbus (seit 1. Februar 1996) den Vorsitz in der 6. Strafkammer bis auf weiteres nicht wahrnehmen. Seine Vertretung bleibt bis zu der endgültigen Entscheidung über die Dauer seiner Abordnung wie bisher (?) geregelt. Auch diese weiteren Entscheidungen des Präsidiums stehen einer Auslegung des Beschlusses vom 20. September 1996 dahingehend, der zukünftige, noch zu ernennende Vorsitzende solle zum Vorsitzenden der 6. Strafkammer bestellt werden, entgegen. Diese Umstände lassen vielmehr eher den Schluss zu, dass das Präsidium im September 1996 beabsichtigt hat, dem Vorsitzenden Richter am Landgericht den Vorsitz zu übertragen, der als erstes zur Verfügung steht und in der Lage ist, diese Aufgabe zu übernehmen. Gerade dies verstößt aber, wie bereits ausgeführt, gegen das Gerichtsverfassungsgesetz. Für eine solche Absicht des Präsidiums sprechen auch die Stellungnahmen des Präsidenten des Landgerichts Bielefeld, der im Zusammenhang mit der Besetzung der 6. Strafkammer ebenfalls mitgeteilt hat, die Stelle des abgeordneten Vorsitzenden Richters am Landgericht Dr. L. müsse durch einen Richter im Eingangsamt verwaltet werden, obgleich zwischenzeitlich der von diesem zuvor innegehabte Vorsitz in der 6. Zivilkammer dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Ge. übertragen worden ist.
Einer Berücksichtigung dieser Entwicklung steht nicht entgegen, dass das angefochtene Urteil bereits am 4. März 1997 ergangen ist. Zwar kommt es für die Beantwortung der Frage nach der vorschriftsmäßigen Besetzung auf den Zeitpunkt der Amtshandlung, hier also auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung an. Zur umfassenden Beurteilung des Sachverhalts ist jedoch auch auf die weitere Entwicklung abzustellen, wie sie sich nach der Ausschöpfung der vorhandenen Ermittlungsmöglichkeiten darstellt (BGHZ 16, 254, 257; OLG Hamburg, NStZ 1984, 570, 571; Schorn-Stanizki, Die Präsidialverfassung der Gerichte aller Rechtswege, 2. Aufl., S. 98). In die Beurteilung hat hier also auch die unterbliebene Änderung der Geschäftsverteilung nach Ernennung des Richters am Landgericht H. zum Vorsitzenden Richter am Landgericht und der Geschäftsverteilungsbeschluß vom 19. September 1997 einzufließen.
Angesichts der Tatsache, dass der Geschäftsverteilungsbeschluß vom 20. September 1996 und der Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 1997 gegen die Vorschriften des GVG verstößt, ist die Besetzungsrüge ohne Rücksicht darauf begründet, ob das Gesetz sorgfältswidrig außer acht gelassen wurde oder ob die Besetzung gar auf bewußter Willkür beruht. Da es vorliegend bereits an der Bestimmung des gesetzlichen Richters fehlt, kommt es hier nicht, wie bei der durch fehlerhafte Anwendung des Geschäftsverteilungsplanes entstandenen Richterentziehung darauf an, ob ein willkürliches Vorgehen bei der Besetzung des Gerichts gegeben ist, d.h. ob sich die Entscheidung so weit vom Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt, dass sie nicht mehr gerechtfertigt werden kann. Entscheidend ist allein die objektive Gesetzwidrigkeit (KK-Pikard, StPO, 3. Aufl., § 338 Rdnr. 19 ff.; Katholnigg, Strafgerichtsverfassungsrecht, 2. Aufl., § 16 Rdnr. 8).

Da der nach allem gegebene Verstoß einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 1 StPO bildet, war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverweisen, §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO).


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