Aktenzeichen: 3 Ss 1468/97 OLG Hamm
Leitsatz: Die Sperrwirkung des Strafklageverbrauchs reicht so weit, wie die Sachentscheidung aufgrund der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geboten war. Bei Ausscheiden eines Tatteiles oder einer von mehreren Gesetzesverletzungen nach § 154 a StPO erstreckt sich die Rechtskraft auch auf das Ausgeschiedene.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: Asylverfahrensgesetz, Doppelbestrafungsverbot, Tatidentität, Strafklageverbrauch
Normen: Art 103 GG, StPO 154 a, StPO 264
Beschluss: Strafsache gegen A.G.,
wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz.
Auf die Revision des Angeklagten vom 23. Juli 1997 gegen das Urteil der VIII. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 22. Juli 1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11.12.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. Oktober 1996 wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden ist. Das Verfahren wird in diesem Umfang eingestellt, damit entfällt auch die Gesamtfreiheitsststrafe.
Insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Marl hatte den Angeklagten mit Urteil vom 24. Januar 1997 u.a. wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen die Auflage der räumlichen Beschränkung am 4. Juli 1996 zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Essen mit dem angefochtenen Urteil mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte insoweit unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. Oktober 1996 wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden ist.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
"Ohne eine Zustimmung der Ausländerbehörde zum Verlassen des Regierungsbezirks Münster einzuholen, verließ der Angeklagte zu den nachbenannten Zeitpunkten vorsätzlich und im Bewußtsein der räumlichen Beschränkung den Bereich des Regierungsbezirks:...
Am 4. Juli 1996 nahm der Angeklagte an einer Demonstration im Bereich des Kölner Hauptbahnhofs teil. Dort wurde er am Haus Trankgasse 11 angetroffen."
Die Staatsanwaltschaft Köln hatte den Angeklagten bereits unter dem 21. Oktober 1996 unter Beschränkung der Anklage gemäß § 154 a StPO angeklagt, am 5. Juli 1996 in Köln einen Hausfriedensbruch, eine Freiheitsberaubung und eine Nötigung begangen zu haben. Sie hat ihm vorgeworfen, am 5. Juli 1996 gegen 9.20 Uhr gemeinsam mit ca. 30 Mittätern die Geschäftsräume der "Istanbul-Airlines"' in Köln besetzt und die dort anwesenden 8 Angestellten gezwungen zu haben, in den Räumen zu verweilen, indem die einzigen Ausgangstüren von innen verschlossen und mit einem Schrank verbarrikadiert worden seien. Der Angeklagte und seine Mittäter hätten sodann die Telefon- und Faxeinrichtungen des Reisebüros gegen den Willen der Berechtigten benutzt, die wegen der Übermacht der Eindringlinge keine Möglichkeit gehabt hätten, dies zu verhindern. Erst nach 2 Stunden hätten die Räumlichkeiten durch die Polizei geräumt werden können. Im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift ist ausgeführt, dass die Strafverfolgungsbeschränkung gemäß § 154 a StPO sich auch auf einen Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG beziehe. Durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 16. Januar 1997, rechtskräftig seit dem 18. Juni 1997, ist der Angeklagte aufgrund dieser Vorfälle wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 6,- DM verurteilt worden.
Das Landgericht Essen hat in dem angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten, einer Verurteilung der Tat vom 4. Juli 1996 stehe das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG nicht entgegen, da eine Identität zwischen der Tat vom 4. Juli 1996 und der anderweitig abgeurteilten Tat vom 5. Juli 1996 nicht bestehe.
Der Angeklagte wendet sich mit seiner Revision gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. Juli 1997, soweit er wegen der Tat vom 4. Juli 1997 verurteilt worden ist. Er ist der Auffassung, dass aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Köln vom 16. Januar 1997 Strafklageverbrauch eingetreten sei.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Einstellung des Verfahrens, soweit der Angeklagte unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 14. Oktober 1996 wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung am 4. Juli 1996 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden ist.
Es liegt insoweit ein Verfahrenshindernis vor. Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 16. Januar 1997 rechtskräftig wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung verurteilt worden, nachdem die Staatsanwaltschaft zuvor die Strafverfolgung auf diese Vorwürfe gemäß § 154 a StPO, auch in Bezug auf einen Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG, beschränkt hat. Dies hat einen Verbrauch der Strafklage zur Folge.
Strafklageverbrauch tritt durch eine frühere rechtskräftige Aburteilung derselben Tat im prozessualen Sinne ein, wenn diese Gegenstand jenes früheren Strafverfahrens war. Der Verbrauch der Strafklage ist die wichtigste Wirkung der materiellen Rechtskraft. Die Sperrwirkung - ne bis in idem, Grundsatz der Einmaligkeit der Strafverfolgung - macht eine neue Strafverfolgung gegen denselben Täter wegen derselben Tat unzulässig (Art. 103 Abs. 3 GG). Sie ist der Sache nach ein verfahrensrechtliches Grundrecht. Die materielle Rechtskraft einer früheren Entscheidung hat daher eine Doppelwirkung: Sie schafft ein Verfahrenshindernis, gewährleistet aber auch ein subjektives verfassungsmäßiges Recht, nicht wegen derselben Tat mehrfach bestraft zu werden. Die Sperrwirkung reicht so weit, wie die Sachentscheidung aufgrund der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht geboten war. Bei Ausscheiden eines Tatteiles oder einer von mehreren Gesetzesverletzungen nach § 154 a StPO erstreckt sich die Rechtskraft auch auf das Ausgeschiedene (Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 43. Aufl., Einleitung 171 ff./173).
Hier hat das Amtsgericht Köln den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung rechtskräftig verurteilt, nachdem zuvor die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung auf diese Vorwürfe gemäß § 154 a StPO auch insoweit beschränkt hat, als dem Angeklagten ein Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG zur Last fällt. Angesichts der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft den Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG ausdrücklich gemäß §154 a StPO ausgeschieden hat, erstreckt sich die materielle Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Köln auch auf diese ausgeschiedene Rechtsverletzung. Die Folge dieser materiellen Rechtskraft ist, dass insoweit ein Verbrauch der Strafklage und damit ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Aufgrund dieser Sperrwirkung kommt es nicht mehr darauf an, ob es sich bei dem Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG und der am 5. Juli 1996 begangenen Taten tatsächlich um "dieselbe" Tat i.S.d § 264 StPO handelt. Aufgrund der materiellen Rechtskraft der Entscheidung des Amtsgerichts Köln ist diese Frage unabänderlich festgelegt.
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn der Verstoß gegen das Asylverfahrensgesetz am 4. Juli 1996 und der Verstoß am 5. Juli 1997 rechtlich selbständige Taten wären. Dies ist indes nicht der Fall. Bei einem Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG handelt es sich vielmehr um eine Dauerstraftat. Strafbar ist die wiederholte Zuwiderhandlung gegen die Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 AsylVerfG. Eine Zuwiderhandlung gegen diese Vorschrift liegt nicht nur im Verlassen des Bezirks, auf den der Aufenthalt beschränkt war, sondern im Aufhalten außerhalb dieses Bezirks. Aus diesem Grunde stellt der Verstoß gegen § 85 Nr. 2 AsylVerfG eine einheitliche Tat i.S.d. § 264 StPO dar.
Angesichts der Tatsache, dass der Verurteilung wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen die räumliche Aufenthaltsbeschränkung am 4. Juli 1997 ein Verfahrenshindernis entgegensieht, war das Verfahren einzustellen. Damit entfällt auch die ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.
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