Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 612/97 OLG Hamm

Leitsatz: Bei der Bestimmung des Anrechnunsmaßstabes gem. § 450 a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 51 Abs. 4 S. 2 StGB sind Verschuldensgesichtspunkte regelmäßig nicht zu berücksichtigen.
2. Zur Anrechnung von in Tschechien erlittener Auslieferungshaft (Anrechnung 2:3)].

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Anrechnungsmaßstab, Auslieferungshaft in Tschechien

Normen: StPO 450 a Abs. 1, StGB 51

Beschluss: Strafsache gegen H.M.,
wegen Betruges,
(hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Anrechnungsmaßstab der Auslieferungshaft).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 16. November 1997 gegen den Beschluss der 24 b. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 11. November 1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30.12.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die in der Tschechischen Republik erlittene Auslieferungshaft wird dergestalt angerechnet, dass für je 2 Tage der Auslieferungshaft 3 Tage der Freiheitsstrafe als verbüßt gelten.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Verurteilten insoweit entstandenen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:
Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 18. September 1995 wegen Betruges, falscher uneidlicher Aussage, Meineides, Hehlerei in drei Fällen und wegen Diebstahls in 31 Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig seit dem 23. Februar 1996. Durch Bescheid der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 4. April 1996 wurde dem Verurteilten auf seinen Antrag hin Strafaufschub bis zum 29. Mai 1996 einschließlich gewährt. Mit Schreiben vom 17. Mai 1996 beantragte der Verurteilte einen weiteren Strafaufschub. Dieser wurde ihm durch Bescheid der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 22. Mai 1996 versagt. Nachdem die Kriminalpolizei Herford am 28. Mai 1996 mitgeteilt hatte, dass sich der Verurteilte nach Tschechien absetzen wolle, wurde der Strafaufschub am selben Tage widerrufen.
Der am selben Tage erlassene Vollstreckungshaftbefehl konnte am 29. Mai 1996 nicht vollstreckt werden, da der Verurteilte sich bereits nach Tschechien abgesetzt hatte. In der Tschechischen Republik wurde er am 16. Juli 1996 festgenommen und befand sich dort bis zum 16. Oktober 1996 in Auslieferungshaft. An diesem Tage wurde er den deutschen Behörden überstellt. In ihrer Strafzeitberechnung vom 13. Oktober 1996 hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld die erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet. Mit Schreiben vom 25. August 1997 hat der Verurteilte beantragt, die erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:3 anzurechnen. Durch Bescheid vom 9. September 1997 hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld diesen Antrag abgelehnt. Den hiergegen gerichteten Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom 16. September 1997 hat die Strafvollstrekkungskammer des Landgerichts Bielefeld mit Beschluss vom 11. November 1997 zurückgewiesen. Gegen diesen, dem Verurteilten am 14. November 1997 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18. November 1997 bei dem Landgericht Bielefeld eingegangene sofortige Beschwerde vom 16. November 1997.

Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie folgt Stellung genommen:

"Die gem. §§ 458 Abs. 1, 462 Abs. 1, 462 a Abs. 1 StPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet. Sowohl die Staatsanwaltschaft Bielefeld als auch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld haben zur Begründung der Entscheidung, dass dem Verurteilten die in der Tschechischen Republik erlittene Auslieferungshaft lediglich im Verhältnis von 1:1 angerechnet werde, maßgeblich darauf abgestellt, dass der Verurteilte durch seine Flucht nach Tschechien böswillig die Strafvollstreckung verschleppt habe. Hierzu hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt:

"Der Verurteilte hat sich nicht lediglich durch Flucht ins Ausland - nach Tschechien - der Strafvollstreckung entzogen, sondern wie sein gesamtes Verhalten zeigt, durch seine Ausreise nach Tschechien böswillig die Strafvollstreckung verschleppt. Nachdem ihm auf seinen Antrag von der Staatsanwaltschaft - unter gleichzeitiger Mahnung, der Ladung zum Strafantritt zum 30. Mai 1996 nachzukommen - bis zum 29. Mai 1996 Vollstreckungsaufschub gewährt, ein erneuter Antrag auf Vollstreckungsaufschub mit Schreiben vom 22. Mai 1996 aber abgelehnt worden war, setzte sich der Verurteilte kurze Zeit später nach Tschechien ab, wo er erst am 16. Juli 1996 festgenommen werden konnte.
Danach steht fest, dass der Verurteilte sich in Kenntnis des abschlägigen Bescheides und der Tatsache, dass er am 30. Mai 1996 die Vollstreckung der Freiheitsstrafe antreten mußte, eigenmächtig und böswillig den ihm nicht zugebilligten Vollstreckungsaufschub verschafft hat, indem er kurze Zeit vor Antritt der Strafvollstreckung nach Tschechien geflüchtet ist. Im Hinblick darauf wäre es gem. § 450 a Abs. 3 S. 1 StPO gerechtfertigt gewesen, von der Anrechnung der in Tschechien vollzogenen Auslieferungshaft vollständig abzusehen. "

Diese Ausführungen verkennen, dass es sich bei der gem. § 450 a Abs. 1 StPO zu treffenden Anrechnung der erlittenen Auslieferungshaft, bei welcher die Vollstreckungsbehörde in entsprechender Anwendung von § 51 Abs. 4 S. 2 StGB nach pflichtgemäßem Ermessen auch den Anrechnungsmaßstab zu bestimmen hat (vgl. KK-Fischer, StPO, 3. Auflg. § 450 a, Rdnr. 9 m.w.N.) um eine andere Entscheidung handelt als die nach § 450 a Abs. 3 S. 1 auf Antrag der Staatsanwaltschaft mögliche Anordnung des Gerichts, dass die Anrechnung aufgrund des Verhaltens des Verurteilten ganz oder zum Teil unterbleibt. Eine solche Entscheidung ist von der Staatsanwaltschaft Bielefeld nicht beantragt worden. Bei der Bestimmung des Anrechnunsmaßstabes andererseits gem. § 450 a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 51 Abs. 4 S. 2 StGB sind Verschuldensgesichtspunkte regelmäßig nicht zu berücksichtigen (vgl. OLG Zweibrücken, Rpfl. 1996, 302). Insofern ist allein maßgeblich, ob die konkreten Haftbedingungen im Ausland mit dem im deutschen Strafvollzug vergleichbar sind oder den Verurteilten schwerer belastet haben, so dass eine längere als die im Ausland erlittene Haft auf die Strafhaft anzurechnen ist (vgl. Stree in Schönke-Schröder, StGB, 23. Auflg., § 51 Rdnr. 32 m.w.N.). Die Vollstreckungsbehörde kann nicht den Antrag gem. § 450 a Abs. 3 S. 1 StPO dadurch umgehen, dass sie die insoweit für das Gericht maßgeblichen Gesichtspunkte bereits bei der Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs verwertet.

Im übrigen würden allerdings die hier vorliegenden Umstände ein ganz oder teilweises Absehen von der Anrechnung der erlittenen Auslieferungshaft auch nicht rechtfertigen. Wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkennt, ist allein die Tatsache, dass sich der Verurteilte der Strafvollstreckung durch Flucht ins Ausland entzogen hat, kein zureichender Grund, die Auslieferungshaft nicht anzurechnen, da es sich insoweit um den Regelfall der Anrechnung nach § 450 a Abs. 1 StPO handelt (vgl. OLG Karlsruhe, MDR 1984, 165; OLG Koblenz, OLGSt Nr. 2; Fischer in KK, StPO, § 450 a, Rdnr. 10). Nur gewichtige Gründe, die nach Erlass des letzten tatrichterlichen Urteils eingetreten sind, rechtfertigen die Nichtanrechnung (OLG Zweibrücken, GA 1983, 280). Dies bedeutet, dass zu der Flucht ins Ausland weitere Umstände hinzutreten müssen, die es rechtfertigen können, das dem Verurteilten im Ausland zusätzlich zugefügte Strafübel nicht in die Strafzeitberechnung miteinzubeziehen. Auch die Flucht während eines Hafturlaubs (vgl. OLG Karlsruhe aaO.) oder von einer Außenarbeitsstelle (vgl. OLG Zweibrücken aaO.) genügt hierfür nicht. Im vorliegenden Fall allein aus der Tatsache, dass der Verurteilte die Flucht während eines ihm gewährten Strafaufschubs begangen hat, auf eine böswillige Absicht des Verurteilten zu schließen, die Strafvollstreckung zu verschleppen, erscheint nicht angängig. Etwas anders folgt auch nicht daraus, dass der Verurteilte sich erst zu dem Zeitpunkt ins Ausland absetzte, als ihm bekannt war, dass eine Verlängerung des Strafaufschubes durch die Vollstreckungsbehörde nicht gewährt würde. Wollte man hieraus eine böswillige Vollstreckungsabsicht herleiten, müßten Erkenntnisse dafür vorliegen, dass der Verurteilte bereits den Gnadenerweis erschlichen hat, um den Strafantritt aus anderen als den von ihm vorgebrachten Gründen zu verzögern. Hierfür ergibt sich aus dem Vollstreckungsvorgang nichts.

Für die mithin zu treffende Entscheidung über den hier anzuwendenden Anrechnungsmaßstab ist der Senat als Beschwerdegericht sachentscheidungsbefugt. Wie der Verurteilte in seinem Schreiben vom 16. September 1997 angibt, wurde die Auslieferungshaft im Untersuchungsgefängnis von Brno (Brünn), vollzogen. Insoweit liegt ein Bericht der Deutschen Botschaft in Prag vom 28. April 1997 vor, in welchem ausgeführt wird:
"Die Unterbringung der Häftlinge erfolgt zu viert in Zellen von ca. 10 - 12 qm, deren Einrichtung lediglich aus Doppelstockbetten, einem kleinen Regal, Waschbecken (nur Kaltwasser) und Toilette besteht. Warmes Duschen ist nur einmal pro Woche möglich, dann findet auch der Kleiderwechsel statt. Den Häftlingen steht pro Tag eine Stunde Ausgang zu, die übrige Zeit müssen sie sich in den Zellen aufhalten. Dieser Ausgang findet auf einem mit einem Gitter öüberdachten Hof statt, der durch hohe Mauern in mehrere, höchstens 30 qm große Bereiche aufgeteilt ist, so dass sich gegenüber den Zellen keine wesentlich erhöhte Bewegungsfreiheit ergibt und viele Gefangene daher auf den Freigang verzichten. Angesichts dieser Erkenntnisse wurde für die in der Tschechischen Republik verbüßte Haft eine Anrechnung von 2:3 bis 3:4 empfohlen."

Diesem Bericht entsprechend rechtfertigt sich eine Anrechnung der erlittenen Auslieferungshaft im Verhältnis 2:3. Für eine, wie vom Verurteilten beantragt, weitergehende Anrechnung besteht eine Notwendigkeit nicht. Die insofern von dem Verurteilten geltend gemachten Belastungen sind Ausfluß der allgemein mit einer Inhaftierung verbundenen Umstände und insoweit von dem Verurteilten zu tragen.
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung jedenfalls insoweit an, als vorliegend keine Umstände erkennbar sind, die ein ganz oder teilweises Absehen von der Anrechnung der erlittenen Auslieferungshaft rechtfertigen könnten. Inwieweit bei der Bestimmung des Anrechnungsmaßstabes gemäß § 450 a Abs. 1 S.1 StPO i.V.m. § 51 Abs. 4 S.2 StGB in Einzelfällen Verschuldensgesichtspunkte zu berücksichtigen sein könnten, konnte vorliegend daher dahingestellt bleiben. Bei Entscheidungen über den Anrechnungsmaßstab kommt es im Grundsatz allein auf die Bewertung der ausländischen Haftbedingungen an; demgemäss sind im vorliegenden Fall jedenfalls keine solche Besonderheiten erkennbar, dass ein Abweichen von diesem Grundsatz hier in Betracht käme.
Hinsichtlich der Bewertung der ausländischen Haftbedingungen macht sich der Senat die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu eigen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde.
Dementsprechend war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 2:3 anzurechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 473 StPO.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".