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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 375/00 OLG Hamm

Leitsatz: Erinnert ein Zeuge sich trotz Vorhaltes der polizeilichen Vernehmungsniederschrift nicht, kommt für den Inhalt der früheren Aussage nur das polizeiliche Protokoll als unmittelbare Beweisgrundlage in. Bei einer solchen Verfahrenslage muss das Gericht, wenn es nicht den Vernehmungsbeamten hören will, zum Urkundenbeweis gemäß § 253 StPO übergehen. Nur dadurch kann die Vernehmung des Verhörsbeamten - nicht der Beweisperson - ersetzt werden.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Inbegriff der Hauptverhandlung, Feststellungsgrundlage außerhalb der Hauptverhandlung, polizeiliche Vernehmungen, Einführung in die Hauptverhandlung im Wege des Urkundsbeweises, Vorhalt der polizeilichen Vernehmung, Vernehmung der Verhörsperson

Normen: StPO 250, StPO 253, StPO 261, StPO 344 Abs. 2 Satz 2, StPO 253

Beschluss: Strafsache gegen D.R.
wegen Körperverletzung.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster(Westf.) vom 14. Dezember 1999 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.04.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) zurückverwiesen.

Gründe:
I. Das Amtsgericht Tecklenburg verurteilte den Angeklagten am 10. September 1999 wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Seine hiergegen gerichtete Berufung, mit der er seinen Freispruch erstrebt hat, hat das Landgericht Münster (Westf.) durch das angefochtene Urteil verworfen.

Zum Tatgeschehen hat die XIII. kleine Strafkammer u.a. festgestellt:
".. Wenig später kam es (am Abend des 8. November 1998) vor dem Haus Schulstraße 9 (in Lengerich) erneut zu einem Zusammentreffen zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen S. auf der einen Seite und dem Zeugen T. auf der anderen Seite. Der Zeuge T. war entweder gerade im Begriff, sein Fahrrad zu besteigen, um nach Hause zu fahren, oder er hatte gerade sein Fahrrad bestiegen und schickte sich an, loszufahren. Der Angeklagte und der Zeuge S. waren auch gerade aus der Tankstelle gekommen. S. trug in seinen Händen die eingekauften Getränke und ging einige Schritte hinter dem Angeklagten her. In dieser Situation sprach der Angeklagte den Zeugen T. an. Er wollte ihn, infolge seiner alkoholischen Enthemmung, provozieren. Der Zeuge T. reagierte darauf aber entweder gar nicht oder nicht so, wie es sich der Angeklagte vorgestellt hatte. Aus Verärgerung darüber versetzte der Angeklagte dem Zeugen mit der Hand oder der Faust bewusst und gewollt einen Schlag gegen den Kopf. Der Zeuge stürzte infolge des Schlages vom Fahrrad, prallte mit dem Kopf auf den Boden und erlitt eine blutende Wunde am Kopf.

Der Zeuge T. hatte bei dem Vorfall, wie schon erwähnt, eine blutende Wunde an der Schläfe erlitten. Infolge des Sturzes vom Fahrrad auf die Fahrbahn hatte er des Weiteren Schürfwunden an den Händen davongetragen. Er suchte wegen dieser Verletzungen später auch seine Hausärztin auf, die aber nichts weiter veranlasste. .." (UA 10 bis 12)

Der Angeklagte hat sich in der Berufungshauptverhandlung dahin eingelassen, er könne sich an eine Schlägerei mit dem Zeugen T. erinnern; wie es dazu gekommen sei, wisse er aber nicht mehr. Ihre Feststellungen hat die Strafkammer "auf die Aussagen der Zeugen S. und T., die diese bei ihren polizeilichen Vernehmungen gemacht haben" (UA 12), gestützt.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er mit näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat einen Antrag nicht gestellt.

II. Die Revision ist zulässig und hat - jedenfalls vorläufig - Erfolg.

Der Beschwerdeführer beanstandet in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise zu Recht, dass die Strafkammer unter Verstoß gegen § 261 StPO ihre Überzeugung nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpft hat, so dass das angefochtene Urteil keinen Bestand haben kann, weswegen es eines näheren Eingehens auf die Ausführungen zur Sachrüge nicht bedarf.

Die nach Auffassung des Berufungsgerichts ausschlaggebenden Darstellungen vom Tatgeschehen hat es - ausweislich der Urteilsgründe und der Sitzungsniederschrift vom 14. Dezember 1999 - den Bekundungen der Zeugen T. und S. entnommen, wie sie bei ihren polizeilichen Vernehmungen protokolliert worden sind, ohne dass diese Vernehmungsniederschriften in die Verhandlung eingeführt worden sind.

Ausweislich der Urteilsgründe hat der Zeuge T. in der Berufungshauptverhandlung erklärt, er wisse nicht, wer ihn vom Fahrrad geschlagen habe; er glaube nicht, dass das der Angeklagte gewesen sei. Der Zeuge S. hat "ausweichende Angaben gemacht" und erklärt, "der Angeklagte müsse den Zeugen (T.) wohl "angegangen" sein" (UA 13). Auf den Vorhalt des jeweiligen polizeilichen Vernehmungsprotokolls hat T. dann geäußert, "dass diese damalige Aussage zutreffend gewesen sei", und S. hat "diese Aussage ebenfalls als richtig anerkannt" (UA 12, 13).

Daraus hat die Strafkammer - wie der nahezu vollständigen Wiedergabe der jeweiligen Vernehmungsniederschrift in den Urteilsgründen zu entnehmen ist - den Schluss gezogen, dass mit dem Vorhalt die Bekundungen der Zeugen bei der Polizei in die Verhandlung eingeführt worden seien.

Diese Auffassung ist nicht frei von Rechtsfehlern.

2. Der Vorhalt ist ein bloßer Vernehmungsbehelf, der nur den Zweck hat, dem Zeugen, den das Gedächtnis im Stich gelassen hat, die Abgabe einer Erklärung zu ermöglichen. Beweismittel bleibt allein die Erklärung des Zeugen. Nur was in seinem Gedächtnis haften geblieben ist oder auf Vorhalt in die Erinnerung zurückkehrt und von ihm als Inhalt seiner Aussage bestätigt wird, ist als Beweisergebnis verwertbar. Erinnert er sich trotz Vorhaltes der Vernehmungsniederschrift nicht, kommt für den Inhalt der früheren Aussage nur das polizeiliche Protokoll als unmittelbare Beweisgrundlage in Frage (vgl. BGHSt 14, 310, 312/313; BGH StV 1990, 485). Bei einer solchen Verfahrenslage darf das Gericht zum Urkundenbeweis gemäß § 253 StPO übergehen (vgl. Kleinknecht/ Meyer-Goßner, 44. Aufl. (1999), § 253 StPO Rdnr. 3), das heißt, die früheren Vernehmungsniederschriften verlesen und aufgrund dessen unmittelbar deren Inhalt feststellen (BGH NJW 1986, 2063, 2064). Damit kann in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 250 StPO die Vernehmung des Verhörsbeamten - nicht der Beweisperson - ersetzt werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 253 StPO Rdnr. 1).

Durch das Schweigen des Hauptverhandlungsprotokolls wird in vorliegender Sache bewiesen (vgl. § 274 StPO), dass das Gericht weder die Polizeibeamten als Zeugen gehört hat, noch die Vernehmungsniederschriften gemäß § 253 StPO zum Zweck des Urkundenbeweises verlesen hat. Soweit die Strafkammer die protokollierten polizeilichen Aussagen der Zeugen T. und S. zu ihrer Überzeugungsbildung herangezogen hat, steht damit fest, dass sie entgegen § 261 StPO auf den Akteninhalt zurückgegriffen und die im Urteil getroffenen Feststellungen nicht durch die in der Hauptverhandlung verwendeten Beweismittel gewonnen hat. Das Berufungsgericht hätte nur auf den aufgezeigten prozessualen Wegen Kenntnis vom vollständigen Inhalt der polizeilichen Vernehmungen erlangen können, weil andere Beweismittel insoweit nicht zur Verfügung gestanden haben.

3. Die Verurteilung des Angeklagten beruht auf diesem Verfahrensfehler. Das ergibt sich nach den Urteilsgründen daraus, dass die Strafkammer ihre Feststellungen auf die Aussagen der Zeugen S. und T., wie diese bei ihren polizeilichen Vernehmungen festgehalten worden sind, gestützt hat.

Danach war das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Münster (Westf.) zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten der Revision zu befinden hat, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO nicht feststeht.


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