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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss OWi 322/00 OLG Hamm

Leitsatz: Hat der Betroffene anlässlich nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung bei der Anhörung durch die Polizeibeamten die Richtigkeit des ihm vorgehaltenen Messergebnisses bezweifelt, müssen auch die Gründe eines gemäß § 72 OWiG ergangenen Beschlusses erkennen lassen, auf welcher Grundlage der Tatrichter seine Überzeugung vom festgestellten Sachverhalt gewonnen hat.
2. Bei der Verhängung eines Fahrverbots muss den Gründen der tatrichterlichen Entscheidung zu entnehmen sein, dass sich der Tatrichter der Möglichkeit bewusst gewesen ist, dass trotz der Annahme eines Regelfalls ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden kann.

Senat: 4

Gegenstand: OWi

Stichworte: Geschwindigkeitsüberschreitung, Aufhebung, Bußgeldbescheid als Prozessgrundlage, Abgrenzung des Tatvorwurfs, Tatvorwurf, Messtoleranz im Bußgeldbescheid nicht mitgeteilt, Beschlussverfahren, Mitteilung der Beweisgrundlagen, Fahrverbot, Absehen können

Normen: BKatV 2 Abs. 4; OWiG 72

Beschluss: Bußgeldsache gegen B.N.
wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 25. Februar 2000 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 11.04.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:
I. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen "Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit" eine Geldbuße in Höhe von DM 200 festgesetzt und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 24. Juni 1999 gegen 14 Uhr in der Gemarkung Bad Lippspringe mit einem PKW die B 1 im Abschnitt 169 bei km 1,6 in Fahrtrichtung Paderborn mit einer Geschwindigkeit von 142 km/h, obwohl die dort gesetzlich zugelassene Höchstgeschwindigkeit 100 km/h betrug.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er u.a. geltend macht, der Bußgeldbescheid sei wegen formeller Mängel aufzuheben, weil die berücksichtigte Messtoleranz nicht ausgewiesen sei, außerdem zugunsten des Betroffenen davon auszugehen sei, dass diese deutlich zu gering bemessen sei, und schließlich die Voraussetzungen eines Fahrverbots nicht vorgelegen hätten.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, wie erkannt.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat - zumindest vorläufig Erfolg.

1. Entgegen den Ausführungen in der Rechtsmittelbegründungsschrift bildet der Bußgeldbescheid des Kreises Paderborn vom 25. August 1999 eine ausreichende Verfahrensgrundlage.

Wesentlich für den Bußgeldbescheid als Prozessvoraussetzung ist nur seine Aufgabe, den Tatvorwurf in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht von anderen Tatvorwürfen abzugrenzen. Diese Aufgabe erfüllt er in sachlicher Hinsicht, wenn nach seinem Inhalt kein Zweifel über die Identität der Tat entstehen kann, wenn also zweifelsfrei feststeht, welcher Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll. Mängel, die die Abgrenzung der Tat von anderen Taten nicht in Frage stellen, sondern nur die Vorbereitung der Verteidigung erschweren, beeinträchtigen die Rechtswirksamkeit des Bußgeldbescheids nicht (vgl. BGHSt 23, 336, 340/ 341). Um einen solchen Mangel handelte es sich, wenn die Verwaltungsbehörde die von ihr berücksichtigte Messtoleranz nicht angegeben hätte.

Der verfahrensgegenständliche Bußgeldbescheid ist rechtswirksam. Er genügt der Abgrenzungsfunktion, was auch die Verteidigung nicht in Zweifel zieht, und weist überdies in der Zeile "Bemerkungen/Tatfolgen" auf die "Lasermessung mit LAVEG 3256 VL 101, Toleranz 5 km/h" hin.

2. Die Anforderungen an die Begründung des Beschlusses gemäß § 72 OWiG entsprechen denjenigen an ein Urteil, weil beide Entscheidungen mit dem Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde angefochten werden können (vgl. Göhler, 12. Aufl. (1998), § 72 OWiG Rdnr. 63 m.w.N.). Wenn auch die Entscheidungsgründe im Ordnungswidrigkeitenverfahren keinen hohen Anforderungen unterliegen, müssen sie doch so gefasst sein, dass sie eine auf Rechtsfehler beschränkte Richtigkeitskontrolle möglich machen (vgl. BGHSt 39, 291, 296; Göhler, a.a.O., § 71 OWiG Rdnr. 42 m.w.N.). Was der Tatrichter darlegen muß, richtet sich nach der jeweiligen Beweislage (vgl. BGHSt 39, 291, 297).

Hat der Betroffene - hier: ausweislich der Akten - anlässlich der Anhörung durch die Polizeibeamten (Bl. 2 R d.A.) die Richtigkeit des ihm vorgehaltenen Messergebnisses bezweifelt, müssen die Gründe erkennen lassen, auf welcher Grundlage der Tatrichter seine Überzeugung vom festgestellten Sachverhalt gewonnen hat. Darüber verhält sich der angefochtene Beschluss jedoch mit keinem Wort. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass dem Schuldspruch eine gesicherte tatsächliche Grundlage fehlt.

Schon deshalb hat die angefochtene Entscheidung keinen Bestand.

3. Bei dem festgesetzten Fahrverbot lässt der angefochtene Beschluss zwar erkennen, dass der Tatrichter die objektiven Merkmale des Regelfalls der groben Pflichtverletzung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV (i.V.m. Nr. 5. 3. 4 der Tabelle 1 a zu Nr. 5 der Anlage) angenommen hat.

Der Begründung ist indes nicht zu entnehmen, dass er sich dabei der Möglichkeit bewusst gewesen ist, dass trotz der Annahme eines Regelfalls ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots unter Erhöhung der Geldbuße abgesehen werden kann (vgl. § 2 Abs. 4 BKatV); dafür können schon erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände ausreichen (vgl. BGHSt 38, 125, 134; OLG Hamm NZV 1996, 118, 119). Mit den Auswirkungen des Fahrverbots auf den Betroffenen und mit dessen persönlichen oder beruflichen Verhältnissen beschäftigt sich die Entscheidung nämlich nicht.

Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Paderborn (vgl. § 79 Abs. 6 OWiG), das auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu befinden hat, da deren Erfolg im Sinne des § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG nicht feststeht.


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