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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 BL 102/97 OLG Hamm

Leitsatz: Werden gegen den Beschuldigten mehrere zusammenhängende Vorwürfe, die sachgerecht nur in einem Verfahren erledigt werden können und wird deshalb wegen einzelner Tatvorwürfe nicht vorab Anklage erhobe, liegt ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz nicht vor.

Senat: 2

Gegenstand: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht, BL6

Stichworte: Fluchtgefahr, hohe Straferwartung, keine sozialen Bindungen, umfangreiche Ermittlungen, wichtiger Grund, keine Abtrennung einzelner Vorwürfe möglich, Beschleunigung, angepasster Haftbefehl, kriminelle Vereinigung, schwere Erpressung, Körperverletzung, Zuhälterei

Normen: StPO 121 Abs. 1; StPO 112 Abs. 2 Nr. 2

Beschluss: Strafsache gegen M.N.,
wegen Erpressung u.a.
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Originalakten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 24.04.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
I. Der Beschuldigte wurde am 7. Oktober 1996 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 2. Oktober 1996 - 67 Gs 1040/96 - festgenommen. Seit diesem Tag befindet sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft.

Im Haftbefehl des Amtsgerichts Hagen vom 2. Oktober 1996 wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, seit Februar 1993 bis zum 14. Juni 1996 sich an einer kriminellen Vereinigung beteiligt zu haben, sowie drei vollendete bzw. versuchte schwere Erpressungen und eine versuchte Nötigung begangen zu haben. Inzwischen hat das Amtsgericht durch Beschluss vom 1. April 1997 die Vorwürfe gegen den Beschuldigten erweitert. Ihm werden nunmehr noch u.a. eine gefährliche Körperverletzung und sechs weitere schwere Erpressungen sowie ein Vergehen der Zuhälterei zur Last gelegt. Die Haftbefehlserweiterung ist dem Beschuldigten am 8. April 1997 bekannt gegeben worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den genannten Haftbefehl und den Beschluss des Amtsgerichts vom 1. April 1997 Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat in der Verfügung vom 3. April 1997 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen.

II. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen.

Es besteht gegen den Angeschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm im Haftbefehl vom 2. Oktober 1996 und dessen Erweiterung durch Beschluss des Amtsgerichts vom 1. April 1997 zur Last gelegten Taten. Der Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergibt sich insbesondere aus den Ergebnissen der Telefonüberwachung und den Bekundungen der zahlreichen, im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen, insbesondere der der jeweils Geschädigten. Danach ist die Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlich, so dass dringender Tatverdacht im Sinn des § 112 StPO besteht.

Als Haftgrund ist der des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Dem Beschuldigten werden eine Vielzahl schwerer Straftaten zur Last gelegt. Wegen dieser Vorwürfe muß er mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe rechnen. Dies stellt erfahrungsgemäß einen nicht unerheblichen Fluchtanreiz dar, der vorliegend durch andere Umstände nicht gemildert wird. Der Beschuldigte ist ledig und hat - soweit ersichtlich - in Deutschland keine hinreichend tragfähigen sozialen Bindungen. Er ist zudem arbeitslos und hat bis zu seiner Inhaftierung von Sozialhilfe gelebt. Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren durch Flucht entziehen würde, wenn er auf freien Fuß käme.

Demgemäss war - insbesondere unter Berücksichtigung der zu erwartenden erheblichen Freiheitsstrafe - der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO zu erreichen.

Es steht die bisher gegen den Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls gegeben, da wichtige Gründe, nämlich die umfangreichen Ermittlungen, ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Nach der Festnahme des Beschuldigten sind die noch erforderlichen polizeilichen Ermittlungen zügig geführt worden. Die Ermittlungsbehörden haben insgesamt rund 40 Zeugen, teilweise mehrfach und teilweise auch richterlich vernommen. Dabei hat es sich um umfangreiche, erhebliche Zeit in Anspruch nehmende Vernehmungen gehandelt. Auch waren die aus der Telefonüberwachung gewonnenen Erkenntnisse weiter auszuwerten. Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft bislang noch nicht Anklage erhoben hat. Abgesehen davon, dass die Anklageerhebung nach Aktenlage nunmehr bald erfolgen dürfte, kann der Vorwurf, das Verfahren nicht mit der erforderlichen Beschleunigung betrieben zu haben, nicht damit begründet werden, die Staatsanwaltschaft hätte wegen einzelner Tatvorwürfe vorab Anklage erheben können und müssen. Denn gerade wegen des Vorwurfs der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, mit dem die übrigen Vorwürfe zusammenhängen, können nach Auffassung des Senats die gegen Beschuldigten erhobenen Vorwürfe sachgerecht nur in einem Verfahren erledigt werden. Damit haben wichtige Gründe i.S. des § 121 Abs. 1 StPO den Erlass eines Urteils bisher noch nicht zugelassen, so dass der sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebende Beschleunigungsgrundsatz ausreichend berücksichtigt ist. Somit war die Fortdauer der Untersuchungshaft anzuordnen.

III. Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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