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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 213/97 OLG Hamm

Leitsatz: Die von dem Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze zum Verbot der Mehrfachbestrafung bei Verweigerung des Wehrdienstes finden nicht nur auf Angehörige der Zeugen Jehovas, sondern grundsätzlich auch auf "Totalverweigerer" Anwendung, die nicht zu dieser Glaubensgemeinschaft gehören. Diese Grundsätze finden aber keine entsprechende Anwendung auf einen "Totalverweigerer", der (noch) nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt ist.

Senat: 3

Gegenstand: Revision, Urteil

Stichworte: eigenmächtiges Fernbleiben von der Truppe, Fahnenflucht, Verbot der Doppelbestrafung, Totalverweigerer, Verweigerung von Zivildienst, Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer

Normen: StPO 260 Abs. 3 StPO, § 16 WStG, GG Art. 103

Beschluss: Im Namen des Volkes - Urteil -
Strafsache gegen C.S.,
wegen eigenmächtigen Fernbleibens von der Truppe.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 27. September 1996 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung am 25.02.1998, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,
Richterinnen am Oberlandesgericht als beisitzende Richterinnen,
Staatsanwalt als Beamter der Staatsanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herford zurückverwiesen.

Gründe: I.
Dem Angeklagten wird mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 06.10.1995 zur Last gelegt, dem Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Herford vom 07.04.1995 zur Ableistung des Grundwehrdienstes während des Zeitraumes vom 03.07.1995 bis 30.06.1996 keine Folge geleistet zu haben und eigenmächtig seiner Truppe ferngeblieben zu sein, um sich der Verpflichtung zum Wehrdienst auf Dauer zu entziehen (§ 16 WStG).

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil das Verfahren wegen Vorliegens des Verfahrenshindernisses des Verbotes der Doppelbestrafung gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt.

Nach den getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts wurde der Angeklagte bereits durch Urteil des Amtsgerichts Flensburg vom 30.11.1994 (43 Ls 108 Js 7481/94 (96/94), rechtskräftig seit dem 20.02.1995, wegen Fahnenflucht zu einem Strafarrest von 6 Monaten, dessen Vollstreckung für 3 Jahre zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Dieser Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Herford vom 05.01.1994 wurde der Angeklagte zur Ableistung des zwölfmonatigen Grundwehrdienstes ab 05.04.1994 einberufen. Gegen diesen Einberufungsbescheid legte er Widerspruch ein. Nach dessen Zurückweisung erhob er zunächst Anfechtungsklage, nahm diese aber am 12.04.1994 wieder zurück.
Den Grundwehrdienst leistete der Angeklagte in der Folgezeit nicht ab, sondern er hielt sich verborgen. Er betrachtete sich bereits zu diesem Zeitpunkt als "Totalverweigerer", der sowohl den Wehr- als auch den Zivildienst ablehnte. Einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer hatte der Angeklagte nicht gestellt. Dazu war er auch nicht bereit. Nachdem gegen ihn Strafanzeige wegen Fahnenflucht erstattet worden war, erließ das Amtsgerichts Husum gegen ihn am 14.06.1994 Haftbefehl. Aufgrund dieses Haftbefehls wurde der Angeklagte am 27.10.1994 festgenommen und in Untersuchungshaft verbracht, in der er bis zum Erlass des Urteils des Amtsgerichts Flensburg vom 30.11.1994 verblieb. In den Gründen dieses Urteils ist, wie sich aus deren teilweiser Wiedergabe in dem angefochtenen Urteil ergibt, im Rahmen der Strafzumessungserwägungen u.a. ausgeführt: "Der Angeklagte hat nicht zu verdeutlichen vermocht, in welche ernste Gewissensnot ihn die Ableistung des Ersatzdienstes bringen würde und aufgrund welcher moralischer und religiöser Umstände er weder zur Ableistung des Wehrdienstes noch des Ersatzdienstes in der Lage sei. Die Entscheidung des Angeklagten zur Totalverweigerung ist nach der Überzeugung des Gerichtes vorrangig aus politischen Motiven heraus entstanden und von moralisch-ethischen Gesichtspunkten allenfalls mitbegleitet."

Hinsichtlich der dem Angeklagten nunmehr vorgeworfenen Tat der Fahnenflucht hat das Amtsgericht u.a. folgende Feststellungen getroffen:

Mit erneutem Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes vom 07.04.1995 wurde der Angeklagte wiederum zur Ableistung des Grundwehrdienstes, und zwar ab 03.07.1995 bis 30.06.1996 einberufen. Der Einberufungsbescheid wurde dem Angeklagten mittels Postzustellungsurkunde am 03.05.1995 durch Niederlegung zugestellt. Die von dem Angeklagten beauftragten Rechtsanwälte K. und Partner in Bremen teilten dem Kreiswehrersatzamt mit Schreiben vom 03.06.1995 mit, der Angeklagte sei aus Gewissensgründen grundsätzlich nicht bereit, Dienst in der Bundeswehr zu leisten. Außerdem beantragten sie, mit Rücksicht auf die bereits erfolgte Verurteilung vom 30.11.1994 durch das Amtsgericht Flensburg von einer erneuten Einberufung des Angeklagten zum Wehrdienst abzusehen.

Dem Kreiswehrersatzamt war zu diesem Zeitpunkt bekannt, dass der Angeklagte zu der Szene der "Totalverweigerer" zählte und dass dieser im September 1991 an einer Protestaktion unter dem Thema "Ich mach nicht mit - weder beim Wehr- noch beim Ersatzdienst -" teilgenommen und sich dabei zusammen mit anderen Aktionsteilnehmern vor dem Kreiswehrersatzamt Herford angekettet hatte. Auch kannte das Kreiswehrersatzamt die Vorgänge, die zu der Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Flensburg am 30.11.1994 geführt hatten. Mit Schreiben vom 17.07.1995 teilte das Kreiswehrersatzamt den Rechtsanwälten K. und Partner in Bremen mit, der Einberufungsbescheid bleibe bestehen, der Angeklagte sei bereits mit Wirkung ab 03.07.1995 Soldat.

Der Angeklagte trat den Wehrdienst weder am 03.07.1995 noch in der Folgezeit an. Er blieb bewusst der Bundeswehreinheit, der er zugeordnet worden war, fern, weil er sich auf Dauer dem Wehrdienst entziehen wollte. Er lehnte es auch weiterhin ab, einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen. Der Zivildienst und das freie Arbeitsverhältnis nach § 15 a ZDG stellen nach seiner Auffassung lediglich andere Formen des Kriegsdienstes dar, die er ebenfalls nicht akzeptieren könne.

Bereits am 06.07.1995 wurde gegen den Angeklagten erneut Strafanzeige wegen Fahnenflucht erstattet. Da in der Folgezeit eine Anschrift, unter der der Angeklagte postalisch zu erreichen war, nicht festgestellt werden konnte, erließ das Amtsgericht Herford am 19.02.1996 gegen ihn Haftbefehl. Aufgrund dieses Haftbefehls wurde er am 04.09.1996 festgenommen und am 05.09.1996 in Untersuchungshaft verbracht. Bis zu seiner Festnahme arbeitete der Angeklagte weiterhin in verschiedenen Vereinigungen aus der Szene der "Totalverweigerer" mit.
Das Amtsgericht ist der Ansicht, das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 103 Abs. 3 GG stehe einer erneuten Strafverfolgung des Verurteilten wegen Fahnenflucht gemäß § 16 WStG entgegen, so dass das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen gewesen sei. Nach dem Ergebnis der durchgeführte Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Angeklagte bereits vor Jahren eine Gewissensentscheidung im Sinne des Artikel 4 Abs. 3 GG getroffen habe. Die davon abweichenden Feststellungen des Amtsgerichts Flensburg seien nicht bindend und stünden daher nicht entgegen. Kundgetan habe der Angeklagte diese Entscheidung durch seine Teilnahme an der Protestaktion im September 1991 vor dem Kreiswehrersatzamt Herford sowie dadurch, dass er diesen Vorfall in verschiedenen Zeitungen publik gemacht habe. Seit dieser Zeit gehe der Angeklagte offensiv gegen die Wehrpflicht als Vorstufe des Kriegsdienstes vor. In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Flensburg habe er sich als überzeugter "Totalverweigerer" dargestellt. Aufgrund dieser ein für allemal getroffenen und auch weiterhin fortwirkenden Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe habe der Angeklagte sowohl dem Einberufungsbescheid vom 05.01.1994 als auch dem Einberufungsbescheid vom 07.04.1995 keine Folge geleistet. Die Tat, die Gegenstand der Verurteilung des Amtsgerichts Flensburg vom 30.11.1994 gewesen sei, und die nunmehr in Rede stehende Fahnenflucht des Angeklagten seien daher bei einer entsprechenden Anwendung der von dem Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 07.03.1968 (BVerfGE 23, 191) aufgestellten Grundsätze als ein und dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG anzusehen. Einer Heranziehung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stehe nicht entgegen, dass der Angeklagte - anders als in dem dort zugrundeliegenden Fall kein Angehöriger der Zeugen Jehovas sei und bisher keinen förmlichen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt habe. In Art. 4 Abs. 3 GG werde nämlich auf eine Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft nicht abgestellt. Maßgebend, sei vielmehr allein, ob der Einzelbürger eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst getroffen habe. Auf die von ihm getroffenen Gewissensentscheidung habe sich der Angeklagte, rechtzeitig vor seiner Einberufung bzw. vor Antritt des Grundwehrdienstes gegenüber der zuständigen Behörde berufen. Bei dieser Berufung auf die Gewissensentscheidung könne es nicht darauf ankommen, dass der Angeklagte die Vorschriften über die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer einhalte und sich in dem üblichen behördlichen Rahmen bewege. Denn eine Beschränkung auf den üblichen Verwaltungsablauf würde zu einer unzulässigen Einengung des Grundrechts führen. Es dürfe nicht sein, dass sich die Berufung auf ein Grundrecht danach richte, dass das richtige Antragsformular ausgefüllt sei oder nicht. Die Behörden müssten vielmehr auch in der Lage sein, unübliche Verfahrensweisen bei der Berufung auf ein Grundrecht zu erkennen und entsprechend zu würdigen. Wenn bei unüblichen Verfahrensweisen Schwierigkeiten im verwaltungsmäßigen Ablauf entständen, so sei es Aufgabe der Behörden, diese Schwierigkeiten zu beheben und den verwaltungsmäßigen Ablauf anzupassen bzw. die entsprechenden Vorschriften, möglicherweise auch gesetzlichen Vorschriften zu ändern, um einen effektiven Schutz des Grundrechts zu gewähren. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung sei es ausreichend gewesen, dass sich der Angeklagte in einer unüblichen Art und Weise auf die von ihm getroffene Gewissensentscheidung berufen habe, nämlich durch sein gesamtes Verhalten seit dem Herbst des Jahres 1991. Wenn der Angeklagte einen förmlichen Antrag gemäß § 2 KDVG gestellt hätte, wäre er ohne weiteres als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden. Wenn der Angeklagte nunmehr wegen Fahnenflucht bestraft werden würde, würde diese Strafe letztlich nur wegen eines formalen Fehlverhaltens des Angeklagten, nämlich deshalb, weil dieser sich - wenn auch aus politischer Verblendung oder Unreife - geweigert habe, ein Stück Papier zu unterschreiben, verhängt werden. Gegen die Verhältnismäßigkeit einer solchen strafrechtlichen Sanktion bestanden aber erhebliche Bedenken.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision der Staatsanwaltschaft Bielefeld. Sie rügt eine Verletzung materiellen Rechts und macht unter näheren Ausführungen geltend, das Amtsgericht sei rechtsfehlerhaft von dem Vorliegen des Verfahrenshindernisses des Verbotes der Doppelbestrafung gemäß Art. 103 Abs. 3 GG ausgegangen und habe daher das Verfahren zu Unrecht gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich mit ergänzenden Ausführungen der Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld angeschlossen.

II. Die Revision ist begründet. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts steht hier das Verfahrenshindernis des Verbotes der Doppelbestrafung gemäß Art. 103 Abs. 3 GG einer erneuten Verurteilung des Angeklagten wegen Fahnenflucht nicht entgegen.

Auch wenn - was das Amtsgericht festgestellt hat - bei dem Angeklagten Gründe für eine Wehrdienstverweigerung vorgelegen haben bzw. vorliegen, können sie in diesem Strafverfahren für die Frage der Bestrafung selbst keine Berücksichtigung finden, so dass sie auch für die Frage der Doppelbestrafung nicht relevant sind.

1. Das Verbot der Mehrfachbestrafung aus Art. 103 Abs. 3 GG schließt eine erneute Verfolgung und Verurteilung wegen derselben Tat, die bereits Gegenstand einer anderen Aburteilung war, aus. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 07.03.1968 (BVerfGE 23, 191), die die wiederholte Ersatzdienstverweigerung durch Zeugen Jehovas betraf, ausgeführt, dass "dieselbe Tat" i.S. von Art. 103 GG auch dann vorliege, wenn die wiederholte Nichtbefolgung einer Einberufung zum zivilen Ersatzdienst auf die ein für allemal getroffene und fortwirkende Gewissensentscheidung des Täters zurückgehe. Dieser Bewertung stehe auch eine zwischenzeitlich ergangene Verurteilung des Täters wegen Dienstflucht nicht entgegen. Das Wesen der Gewissensentscheidung, der nach Art. 4 Abs. 1 GG ein besonderes Gewicht zukomme, werde verkannt, wenn man die prinzipielle Gewissensentscheidung gegen die staatliche Forderung auf einmalige Leistung auf Ersatzdienst in die Schablone der Dauerstraftat presse und annehme, dass das strafbare Verhalten des Dienstpflichtigen, der der ersten Einberufung nicht gefolgt sei, durch die daran sich knüpfende - erstmalige - Verurteilung unterbrochen werde. Der Tatbestand der Dienstflucht aus Gewissensgründen sei nämlich dadurch gekennzeichnet, dass die in der Vergangenheit getroffene und in die Zukunft fortwirkende Gewissensentscheidung das gesamte äußere Verhalten des Dienstpflichtigen festlege, und zwar derart, dass ein gleichartiges mehrfaches Verhalten aufgrund dieser Gewissensentscheidung als "dieselbe Tat" i.S. von Art. 103 Abs. 3 GG angesehen werden müsse.

2. Die von dem Bundesverfassungsgericht in der oben erwähnten Entscheidung entwickelten Grundsätze zu dem Verbot der Mehrfachbestrafung sind zwar, wie das Amtsgericht zu Recht angenommen hat, nicht nur auf Angehörige der Zeugen Jehovas, sondern grundsätzlich auch auf "Totalverweigerer" anwendbar, die nicht zu dieser Glaubensgemeinschaft gehören (vgl. BVerfGE NJW 1984, 1675; OLG Celle NJW 1985, 2428; BayObLG StV 1983, 369). Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts finden diese Grundsätze aber keine entsprechende Anwendung auf einen "Totalverweigerer", der nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt ist.

Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung davon aus, dass die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Gewissensentscheidung der den Ersatzdienst verweigernden Zeugen Jehovas erwiesen sei. Diese Voraussetzung ist bei einem mangels Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer noch wehrdienstpflichtigen "Totalverweigerer" nicht gegeben.

Aus Art. 4 Abs. 3 GG ergibt sich zwar unmittelbar das Grundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. Dieses Recht kann jedoch erst geltend gemacht werden, wenn die Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung in dem gesetzlich geregelten Anerkennungsverfahren gemäß §§ 2 f Kriegsdienstverweigerungsgesetz (KDVG) festgestellt worden ist. In diesem Sinne steht das Recht auf Kriegsdienstverweigerung unter einem Verfahrensvorbehalt. Zu einer Regelung der Art und Weise der Inanspruchnahme des Kriegsdienstverweigerungsrechts ist der Gesetzgeber durch Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG ausdrücklich ermächtigt worden (vgl. BVerfGE NJW 1985, 1519).

Die Erforderlichkeit eines Anerkennungsverfahrens als Voraussetzung für die Berechtigung zur Verweigerung des Kriegsdienstes stellt daher entgegen der Ansicht des Amtsrichters keine von der Verfassung nicht zugelassene Beschränkung des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung dar, sondern ist mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfGE NJW 1978, 1245).

Solange das Anerkennungsverfahren noch nicht durchgeführt und rechtskräftig abgeschlossen ist, bleibt ungewiss, ob eine ernsthafte Gewissensentscheidung, die allein zur Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe und der Ableistung des Grundwehrdienstes berechtigen würde, vorliegt. Vor der rechtskräftigen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer kann daher eine möglicherweise getroffene Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe nicht entsprechend den von dem Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 07.03.1968 entwickelten Grundsätzen zum dem die gesamte Handlungsweise beherrschenden Tatbestandsmerkmal werden und nicht Bindeglied der mehreren äußeren Handlungen zu einer einheitlichen Handlung sein (vgl. BVerfGE NJW 1970, 1731; NJW 1983, 1600; NJW 1984, 1675, BGH JZ 1971, 190; OLG Celle NJW 1985, 2428; BayObLG NJW 1970, 1513)

Demgemäss hat auch das Bundesverfassungsgericht in dem Nichtabhilfebeschluss vom 20.12.1982 (NJW 1983/1600) die Übertragung der Grundsätze über das Verbot der Doppelbestrafung auf nicht anerkannte Wehrdienstverweigerer abgelehnt. Entgegen der Ansicht der Verteidigung lässt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.10.1971 (NJW 1972, 93) nicht entnehmen, dass eine einheitliche Tat i.S. des Art. 103 Abs. 3 GG aufgrund einer ein für allemal getroffenen Gewissensentscheidung auch dann angenommen werden könne, wenn keine Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer erfolgt sei. Denn diese Entscheidung betraf den Fall eines Soldaten, der zwar vor seiner Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer mehrmals den Gehorsam verweigert hatte, gegen den aber deswegen erst nach seiner rechtskräftigen Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer mit den angefochtenen Entscheidungen strafrechtliche Sanktionen verhängt worden waren.

Eine Anwendung der von dem Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 07.03.1968 entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall lässt sich entgegen der Ansicht des Amtsgerichts auch nicht damit begründen, andernfalls würde der Angeklagte lediglich wegen eines formellen Fehlverhaltens - Unterlassen der Durchführung des Anerkennungsverfahrens - bestraft, wogegen erhebliche Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bestanden. Denn das Anerkennungsverfahren stellt nicht lediglich ein Formerfordernis zum Zwecke der Erleichterung oder Vereinfachung des Verwaltungsablaufs dar. Es dient vielmehr zum einen der Rechtssicherheit, indem in diesem Verfahren endgültig und auch für andere Behörden verbindlich darüber entschieden wird, ob eine Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung im Einzelfall besteht oder nicht. Durch die Einführung des Anerkennungsverfahrens soll außerdem gewährleistet werden, dass nur die als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit anzunehmen ist, dass in ihrer Person die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG erfüllt sind. Damit sollen sowohl die Träger des Grundrechts geschätzt, als auch die Wehrgerechtigkeit im Inneren und die Verteidigungsbereitschaft des grundrechtsgarantierenden Staates nach außen aufrechterhalten werden (vgl. BVerfGE NJW 1978 1245; NJW 1985, 1519) .

3. Da Art. 4 Abs. 3 GG die Wirkungen der Gewissensfreiheit im Bereich der Wehrpflicht abschließend regelt (vgl. BVerfGE NJW 1983, 1600), kommt hier zu Gunsten des Angeklagten auch kein Rückgriff auf Art. 4 Abs. 1 GG in Betracht; dies umso mehr, als ohnehin das Anerkennungsverfahren keine unzumutbare Hürde aufstellt und jedem zuzumuten ist.

4. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herford zurückzuverweisen.


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