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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 86/98 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Ein Verurteilter darf darauf vertrauen, dass ein in Rees zur Postbeförderung gegebener Brief das Landgericht in Bielefeld am folgenden Tag erreichen werde.
2. Zur Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes beim Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Dauer der Postlaufzeit, Vertrauensschutz, Wiedereinsetzung, Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung, Zeitablauf

Normen: StPO 44, StGB 56 f

Beschluss: Strafsache gegen V.R.,
wegen Diebstahls, hier: sofortige Beschwerde gegen den Widerruf der bedingten Entlassung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 4. Februar 1998 gegen den Beschluss der 18. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 26. Januar 1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03.02.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Dem Verurteilten wird von Amts wegen auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der 18. Strafvollstreckungskammer vom 26. Januar 1998 gewährt.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I. Durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 27. Februar 1991 ist der Beschwerdeführer wegen Diebstahls im besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Durch Beschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Oktober 1991 ist die Strafaussetzung widerrufen worden, weil der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit erneut und einschlägig in Erscheinung getreten war. Nach Verbüßung von jeweils zwei Dritteln dieser und einer weiteren 6-monatigen Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 31. Oktober 1991 ist der Verurteilte aufgrund des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer Bielefeld vom 18. Februar 1992 am 20. März 1993 bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. Die Dauer der Bewährungszeit ist zunächst auf drei Jahre bis zum 19. März 1996 festgesetzt worden. Die Reststrafe aus der Verurteilung des Amtsgerichts Essen vom 31. Oktober 1991 ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

Nachdem der Verurteilte im Jahr 1994 erneut straffällig geworden ist und deshalb durch Strafbefehl des Amtsgerichts Essen vom 9. März 1995 wegen vorsätzlichen Gebrauchs eines unversicherten Kraftfahrzeuges zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 DM verurteilt und mit einem 3-monatigen Fahrverbot belegt worden ist, ist die Bewährungszeit u.a. in der vorliegenden Sache durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bielefeld vom 7. Juli 1995 um ein Jahr bis zum 19. März 1997 verlängert worden.

Durch Bericht des Bewährungshelfers des Verurteilten vom 6. Juli 1995 ist die Strafvollstreckungskammer davon in Kenntnis gesetzt worden, dass gegen den Verurteilten wegen des Verdachts einer schwerwiegenden Straftat Untersuchungshaft vollstreckt wird. Am 31. Juli 1995 ist der Strafvollstreckungskammer die Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 20. Juli 1995 - 56 Js 218/95 - zur Kenntnis gebracht worden, in der dem Angeklagten vorgeworfen worden ist, sich am 25. April 1995 wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrzeugführer in Tateinheit mit schwerem Raub strafbar gemacht zu haben. Am 11. August 1995 ist der auf diese Anklage gestützte Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Essen bei der Strafvollstreckungskammer eingegangen. Aufgrund Mitteilung nach § 22 Bundeszentralregistergesetz hat die Strafvollstreckungskammer am 8. Dezember 1995 Kenntnis davon erhalten, dass der Beschwerdeführer durch Urteil des Landgerichts Essen vom 29. September 1995, rechtskräftig seit dem 2. November 1995, wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrzeugführer in Tateinheit mit Raub zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten verurteilt worden ist. Mit Verfügung vom 6. Dezember 1995 hat die Staatsanwaltschaft Essen ihren Widerrufsantrag wiederholt. Das Widerrufsverfahren ist in der Folgezeit bis zum 25. November 1997 nicht weiter gefördert worden, ohne dass dafür gewichtige Gründe erkennbar wären.

Der Verurteilte hat vom 2. November 1995 an die Freiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Essen verbüßt. Unter Berücksichtigung von Untersuchungshaft waren zwei Drittel der erkannten Strafe am 22. Februar 1997 vollstreckt, das Strafende ist auf den 23. Januar 1998 notiert. Der ehemals heroinabhängige Verurteilte hat jedoch im zweiten Halbjahr 1997 eine Zurückstellung der Strafe gemäß § 35 BtMG erwirkt. Seit dem 25. September 1997 befindet er sich in der Fachklinik Horizont in Rees zu einer stationären Drogenentwöhnungsbehandlung. Nach der Bescheinigung dieser Einrichtung vom 4. Februar 1998 wird der Verurteilte dort voraussichtlich am 24. März 1998 aus der Therapie entlassen werden. Anschließend ist eine dreimonatige Adaptionsphase geplant.

Erstmals mit Schreiben vom 25. November 1997 ist der Verurteilte davon in Kenntnis gesetzt worden, dass die Strafvollstreckungskammer den Widerruf der Aussetzung des Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 27. Februar 1991 prüft. Das entsprechende Anschreiben ist dem Verurteilten am 22. Dezember 1997 zugestellt worden. Mit Beschluss vom 26. Januar 1998 hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung des aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 27. Februar 1991 in Verbindung mit dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 18. Februar 1993 noch bestehenden Strafrestes widerrufen. Dieser Beschluss ist dem Verurteilten am 29. Januar 1998 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 4. Februar 1998, am selben Tage bei der Post als Übergabe-Einschreiben mit Rückschein aufgegeben, hat der Verurteilt gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt, die er mit seiner laufenden Therapie begründet hat. Die Rechtsmittelschrift ist am 6. Februar 1998 bei der Posteingangsstelle der Bielefelder Justizbehörden eingegangen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde zu verwerfen.

II.
1. Die gemäß §§ 453 StPO, 56 f StGB statthafte Beschwerde ist nicht fristgerecht beim Landgericht Bielefeld eingegangen. Der Beschluss ist dem Verurteilten mit Rechtsmittelbelehrung am 29. Januar 1998 zugestellt worden, so dass die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde von einer Woche gemäß §§ 453 Abs. 2 Satz 3, 311 Abs. 2, 43 StPO mit dem 5. Februar 1998 endete. Die sofortige Beschwerde ist jedoch erst am 6. Februar 1998, mithin verspätet, beim Landgericht Bielefeld eingegangen.

Dem Verurteilten war jedoch insoweit von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren, § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO. Dem Senat liegt der Briefumschlag zur Rechtsmittelschrift des Verurteilten vor, der am 4. Februar 1998 von der Deutschen Post AG abgestempelt worden ist. Der Verurteilte durfte darauf vertrauen, dass ein am 4. Februar 1998 in Rees zur Postbeförderung gegebener Brief das Landgericht in Bielefeld am folgenden Tage und damit noch fristwahrend erreichen werde. Insoweit stützt sich der Senat auf eine in einem anderen Verfahren eingeholte Auskunft der Deutschen Post AG, Briefzentrum Essen, wonach ein in Wochenmitte - der 4. Februar 1998 war ein Mittwoch - zur Postbeförderung gebrachter Brief mit einer Wahrscheinlichkeit von deutlich über 90 % am nächsten Tag den Empfänger im Bundesgebiet erreicht. Damit, dass ein unter besonderen Beförderungsbedingungen aufgegebener Brief - hier ein Übergabeeinschreiben mit Rückschein - möglicherweise weniger zügig zugestellt werden kann, musste der Verurteilte nicht rechnen.

Da auch sonst alle Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung vorlagen, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, dem Verurteilten auch ohne Antrag von Amts wegen mit der sich aus § 473 Abs. 7 StPO ergebenden Kostenfolge Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

2. Die danach zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache Erfolg. Einem Widerruf des durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bielefeld vom 18. Februar 1993 ausgesetzten Strafrestes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 27. Februar 1991 steht der Grundsatz des Vertrauensschutzes entgegen. Auch andere Maßnahmen wegen des Bewährungsversagens, das zu der Verurteilung durch das Landgericht Essen vom 29. September 1995 geführt hat, kommen nicht mehr in Betracht.

Zwar ist grundsätzlich ein Bewährungswiderruf auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit und auch in zeitlichem Abstand zur Rechtskraft der den Widerruf begründenden neuen Verurteilung möglich, dabei ist jedoch jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob dem Widerruf im konkreten Fall der Vertrauensschutz entgegensteht (vgl. Tröndle, StGB, 48. Auflage, § 56 f Rdnr. 2 a; Schönke/Schröder-Stree, StGB, 25. Auflage, § 56 f Rdnr. 13, 14; Leipziger Kommentar-Ruß, StGB, 10. Auflage, § 56 f Rdnr. 12, jeweils mit umfangreichen Nachweisen). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Widerruf einer Strafaussetzung wegen erneuter Straffälligkeit des Verurteilten aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes infolge Zeitablaufs unzulässig ist, sind auch Art und Schwere der neuerlichen Tat zu berücksichtigen (OLG Hamm, NStZ 1984, 363, 363 f).

Vorliegend erweist sich der durch die angefochtene Entscheidung ausgesprochene Widerruf trotz des Gewichts der neuerlichen Straftat als unzulässig.

Dabei hat der Senat zunächst berücksichtigt, dass nur ein verhältnismäßig geringer Strafrest von noch zwei Monaten betroffen ist. Das öffentliche Interesse, einen Strafrest zu vollstrecken, nimmt aber mehr und mehr ab, je geringer die zu vollstreckende Reststrafe ist. Dazu kommt, dass die Bewährungszeit im Zeitpunkt des Widerrufs schon seit mehr als zehn Monaten abgelaufen war, der Verurteilte erstmals acht Monate nach Ablauf der Bewährungszeit davon in Kenntnis gesetzt worden ist, dass ein Widerruf geprüft werde, und die Rechtskraft der den Widerruf begründenden Verurteilung auch im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung mehr als zwei Jahre und zwei Monate zurücklag. Dafür, dass nicht früher über den von der Staatsanwaltschaft zeitnah mit der neuen Verurteilung gestellten Widerrufsantrag entschieden worden ist, hat der Senat nachvollziehbare gewichtige Gründe nicht feststellen können. Schließlich war - und diesem Umstand kam vorliegend besonderes Gewicht bei - zu berücksichtigen, dass der Verurteilte sich dazu entschlossen hat, wenige Monate vor seinem Strafende gemäß § 35 BtMG eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie durchzuführen. Diese Therapie, der sich eine Adaptionsphase anschließen wird, erscheint nur eingeschränkt sinnvoll, schlösse sich die Vollstreckung des durch das Landgericht widerrufenen Strafrestes an. Darauf, dass es dazu nicht kommt, durfte der Verurteilte vertrauen.

Im übrigen hat der Senat letztlich auch keinen Zweifel, dass ein Widerruf der Reststrafe auch deshalb nicht geboten erscheint, weil dem Verurteilten nunmehr eine günstige Sozialprognose zu stellen sein dürfte. Der Umstand, dass er kurz vor seinem Strafende eine stationäre Entwöhnungstherapie begonnen hat, die deutlich über das Strafende hinaus andauert, zeigt, dass er gewillt ist, seine Sucht nachhaltig anzugehen und zukünftig ein Leben ohne Drogen zu führen.

Die Strafvollstreckungskammer wird nunmehr zu prüfen haben, ob der Strafrest nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen werden kann, oder ob andere Gründe einem Straferlass entgegenstehen.

III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen waren der Staatskasse aufzuerlegen, weil das Rechtsmittel vollen Erfolg hatte.


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