Aktenzeichen: 3 Ws 630/97 OLG Hamm
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Fluchtgefahr, Haftbefehl, Haftverschonung, Außervollzugsetzung, ausländischer Angeklagter, erhebliche Steuerhinterziehung
Normen: StPO 112, StPO 116
Beschluss: Strafsache gegen G.S.,
wegen Steuerhinterziehung,
(hier: Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Aussetzung des Vollzuges des gegen den Angeklagten erlassenen Haftbefehls).
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 22.12.1997 gegen den Beschluss der 7. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 17.12.1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.01.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richterinnen am Oberlandesgericht und nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der von dem Amtsgericht Bielefeld unter dem 24. Juli 1997 neu gefasste Haftbefehl (10 Ns 6 Js 189/95-S 9/97) wird wieder in Vollzug gesetzt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Angeklagten auferlegt.
Gründe:
Der Angeklagte befindet sich seit dem 07.11.1996 in der vorliegenden Sache in Untersuchungshaft, und zwar zuletzt aufgrund des durch das Amtsgericht Bielefeld vom 24.07.1997 neu gefassten Haftbefehls in Verbindung mit dem Haftfortdauerbeschluss dieses Amtsgerichts vom 5. September 1997. Mit dem oben genannten Haftbefehl wird dem Angeklagten zur Last gelegt, in Minden in der Zeit vom 09.11.1990 bis zum 19.02.1996 durch 30 teils gemeinschaftlich begangene selbständige Handlungen Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und Einkommenssteuer in Höhe von insgesamt 5.849.494,76 DM hinterzogen zu haben, indem er Waren für seine Gaststättenbetriebe ohne ordnungsgemäßer Rechnung eingekauft und in seinen Steuererklärungen die Umsätze bzw. die Gewinne aus den Gewerbebetrieben zu niedrig angegeben hat. Wegen der ihm mit dem Haftbefehl vom 24.07.1997 zur Last gelegten Taten, nämlich wegen - teils gemeinschaftlich begangener - Steuerhinterziehung in 30 Fällen wurde der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 05.09.1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Bielefeld Berufung eingelegt, wobei die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht auf den Antrag des Angeklagten vom 04.12.1997 den Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 24. Juli 1997 außer Vollzug gesetzt und dem Angeklagten gleichzeitig die Auflagen erteilt, nach seiner Haftentlassung unmittelbar seinen Wohnsitz bei seinem Schwager N.A., Hauptstraße 2, 32257 Bünde zu nehmen, die Bundesrepublik Deutschland nicht zu verlassen und der Ladung zur Berufungshauptverhandlung Folge zu leisten, sich an drei näher bestimmten Tagen in der Woche bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden, für seine Haftentlassung seinen Reisepass zu der Akte zu reichen und eine Sicherheit in Höhe von 1 Mio. DM zu leisten. Hinsichtlich dieser Sicherheitsleistung wurde außerdem angeordnet, dass diese verfällt, wenn der Angeklagte entgegen der erteilten Auflage die Bundesrepublik Deutschland verlässt oder der Ladung zur Berufungshauptverhandlung nicht Folge leistet. Zur Begründung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Angeklagte habe die ihm mit dem amtsgerichtlichen Urteil vom 05.09.1997 zur Last gelegten 30 Taten der Steuerhinterziehung eingeräumt und auf die nach diesem Urteil hinterzogenen Steuern von 5.849.494,76 DM Schadenswiedergutmachungsleistungen in einem erheblichen Umfang, nämlich in Höhe von 4.023.859,89 DM geleistet. Außerdem befinde sich der Angeklagte erstmals in Haft und sei bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten. Bei dieser Sachlage sei es gerechtfertigt, den Haftbefehl unter den genannten Auflagen außer Vollzug zu setzen, da diese Auflagen die Erwartung hinreichen begründeten, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden könne.
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld vertritt in ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Beschwerde vom 22.12.1997 die Auffassung, die erteilten Auflagen beseitigten die Gefahr einer Flucht des Angeklagten nicht. Aus dem Aktenvermerk der Steuerfahndung vom 10.04.1997 ergebe sich nämlich, dass der Angeklagte aus seinen Straftaten abzüglich der bisher geleisteten Schadenswiedergutmachung ein Vermögen in Höhe von 6,5 Mio. DM erwirtschaftet habe, dessen Verbleib nach wie vor unklar sei. Das Landgericht sei in dem angefochtenen Beschluss auf die Vermögensverhältnisse des Angeklagten nicht eingegangen, obwohl dies erforderlich gewesen wäre, da die angeordnete Sicherheitsleistung in Höhe von 1 Mio. DM nur einen Bruchteil des rechnerisch ermittelten Vermögens des Angeklagten ausmache. Darüber hinaus macht die Staatsanwaltschaft geltend, der Angeklagte könne auch nicht entsprechend der ihn erteilten Auflage nach seiner Haftentlassung seinen Wohnsitz bei seinem Schwager in Bünde nehmen. Der Schwager des Angeklagten beabsichtige nämlich, Anfang des Jahres 1998 die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und nach Italien zurückzukehren. Seine von ihm in Bünde betriebene Pizzeria habe er inzwischen so gut wie veräußert.
Der Angeklagte hat beantragt, die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld als unbegründet zu verwerfen und zur Begründung u. a. ausgeführt, insbesondere die Auferlegung einer Sicherheitsleitung in Höhe von 1 Mio. DM werde ihn veranlassen, sich dem weiteren Verfahren zu stellen, zumal die Sicherheit nicht von ihm selbst, sondern von Verwandten aufgebracht worden sei, und er das von seinen Angehörigen in ihn gesetzte Vertrauen nicht enttäuschen werde. Zutreffend sei zwar, dass sein Schwager N.A. zur Zeit seine Rückkehr nach Italien vorbereite und Verhandlungen über eine Veräußerung der von ihm betriebenen Pizzeria führe. Sein Schwager habe aber auch für den Fall seiner Rückkehr nach Italien sichergestellt, dass die von ihm bewohnte Wohnung für ihn - den Angeklagten - weiter verfügbar bleibe und dass er im Falle eines Verkaufes der Pizzeria "Venezia in Bünde von dem Erwerber als Mitarbeiter übernommen werde.
Das Landgericht hat der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld nicht abgeholfen und auf deren Antrag mit Beschluss vom 23.12.1997 die Vollziehung des Beschlusses vom 17.12.1997 bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 22.12.1997 gemäß § 307 Abs. 2 StPO ausgesetzt.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld ist zulässig und begründet.
Die Gründe für den Erlass des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 24.07.1997 sind weiterhin gegeben. Der Angeklagte hat die ihm mit diesem Haftbefehl zur Last gelegten 30 Taten der Steuerhinterziehung ausweislich der Gründe des Urteils des Amtsgerichts Bielefeld vom 05.09.1997 eingeräumt, so dass der Angeklagte weiterhin dringend verdächtig ist, diese Taten begangen zu haben. Es liegt auch nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr vor. Der Angeklagte ist inzwischen durch das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 05.09.1997 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden, die einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt. Er ist zudem italienischer Staatsangehöriger, der enge Bindungen zu seinem Heimatland unterhält. In Italien leben nämlich zur Zeit sowohl seine Ehefrau als auch seine beiden Kinder. Seinen Imbissbetrieb "Roma hat der Angeklagte zum Zwecke der Tilgung seiner Steuerschulden inzwischen verkauft. Auch eine Übertragung seines Anteils an dem italienischen Restaurant "Roma soll nach dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 02.10.1997 an die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Brackwede I (Bl. 1423 Bd. VII d. A.) inzwischen erfolgt sein, so dass sich auch tragfähige berufliche oder wirtschaftliche Bindungen des Angeklagten in der Bundesrepublik nicht feststellen lassen.
Der Zweck der Untersuchungshaft kann hier auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO erreicht werden.
Wie der Senat bereits im Haftprüfungsverfahren in seinem Beschluss vom 15.05.1997 ausgeführt hat, ist der Verbleib von dem Angeklagten nicht verbuchter Gewinne von 6,6 Mio. DM aus seiner Gewerbetätigkeit nach wie vor ungeklärt und ist es daher wahrscheinlich, dass der Angeklagte in Italien noch über ein beträchtliches Vermögen verfügt. Angesichts dessen erscheint das Vorbringen des Angeklagten, er wolle - auch nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens - weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben und als Angestellter in der Pizzeria seines Schwagers arbeiten, nach der Überzeugung des Senats nicht glaubhaft, insbesondere wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass der Angeklagte sich in Deutschland nicht nur eine neue Existenz aufbauen müsste, sondern darüber hinaus erheblichen Steuernachforderungen ausgesetzt wäre, die über die bereits geleisteten Zahlungen beträchtlich hinausgingen. Denn nach dem Schreiben des Finanzamts Minden vom 16.12.1997 (Bl. 1440 Bd. VII d. A.) an die Staatsanwaltschaft Bielefeld beläuft sich der von dem Angeklagten verursachte steuerliche Gesamtschaden auf rund 8 Mio. DM ohne Zinsen. Vielmehr besteht nach der Überzeugung des Senats eine größere Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeklagte nach Italien absetzen würde, falls er freigelassen würde. Die in dem angefochtenen Beschluss angeordnete Sicherheit von 1.000.000,00 DM kann unter den gegebenen Umständen, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte vermutlich in Italien über ein diesen Betrag erheblich übersteigendes Vermögen verfügt, nicht als eine Maßnahme angesehen werden, die geeignet ist, den Angeklagten wirksam an einer Flucht zu hindern. Das gleiche gilt hinsichtlich der übrigen durch den Beschluss vom 17.12.1997 angeordneten Auflagen, so dass es dahingestellt bleiben konnte, ob es dem Angeklagten bei einer Haftentlassung Oberhaupt möglich wäre, einen Wohnsitz bei seinem Schwager A. zu begründen.
Mildere Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft sind daher nicht ausreichend.
Die bisher erlittene Freiheitsentziehung steht auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der erstinstanzlich gegen den Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 24.07.1997 wieder in Vollzug zu setzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 473 Abs. 1 StPO.
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