Aktenzeichen: 3 Ws 35/98 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Auch die Entscheidung, mit der der Antrag des Nebenkläger auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird, ist unanfechtbar.
2. Zur außerordentlichen Beschwerde im Strafverfahren.
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Nebenklage, Unanfechtbarkeit der Entscheidung, mit der der Antrag des Nebenkläger auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wird, PKH,
Normen: StPO 406 g, StPO 397a, StPO 400
Beschluss: Ermittlungsverfahren gegen G.I.,
wegen versuchten Totschlags u.a.,
(hier: Beschwerde der Geschädigten M. und B.I., vertreten durch die Rechtsanwältinnen, gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe).
Auf die Beschwerde der nebenklageberechtigten Verletzten vom 18.12.1997 gegen den Beschluss der X. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 26.11.1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29.01.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten der nebenklageberechtigten Verletzten als unzulässig verworfen.
Gründe: Die Beschwerdeführerinnen wurden am 19.10.1997 gegen 12.45 Uhr in Bielefeld auf dem Besucherparkplatz des Johanneskrankenhauses von dem Beschuldigten mit einer scharfen Pistole, Kaliber 9 mm, angegriffen und schwer verletzt. Nach dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 20.10.1997 - 9 Gs 3282/97 - gab der Beschuldigte mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz zunächst drei Schüsse auf die Beschwerdeführerin M.I., seine am 01.05.1951 geborene Ehefrau, und anschließend fünf weitere Schüsse auf die seinerzeit 25 Jahre alte Beschwerdeführerin B.I., seine leibliche Tochter, ab. M.I. erlitt Schussverletzungen im Oberschenkel und am linken Fuß, B.I. Durchschüsse am rechten Oberarm und in der rechten Brust; beide konnten durch sofortige ärztliche Hilfe gerettet werden. Der Beschuldigte hat das äußere Tatgeschehen und seine Täterschaft eingeräumt, allerdings bestritten, die Beschwerdeführerinnen gezielt am Tatort abgepasst und mit Tötungsvorsatz gehandelt zu haben. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen dauern insoweit noch an. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat zuletzt mit Verfügung vom 19.11.1997 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Beschuldigten zur Tatzeit angeordnet und ärztliche Stellungnahmen zu den Einzelheiten der von den Beschwerdeführerinnen erlittenen Verletzungen, den festgestellten bzw. zu erwartenden Verletzungsfolgen sowie dazu angefordert, ob anhand der Verletzungen Angaben dazu gemacht werden können, wo die Projektile eingedrungen bzw. ausgetreten sind.
Mit Schriftsatz vom 28.10.1997 haben sich die Rechtsanwältinnen pp. aus Bielefeld für die Beschwerdeführerinnen gemeldet und beantragt, diesen bereits im Verfahren vor Erhebung der öffentlichen Klage Frau Rechtsanwältin T. als Beistand gemäß § 406 g StPO beizuordnen. Darüber hinaus haben sie gemäß § 397 a StPO die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor Erhebung der öffentlichen Klage unter Beiordnung von Rechtsanwältin T. für die Beschwerdeführerinnen beantragt.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss den Beschwerdeführerinnen zwar gestattet, sich bereits vor Erhebung der öffentlichen Klage des Beistandes durch einen Rechtsanwalt zu bedienen, den weitergehenden Antrag gemäß § 406 g i.V.m. § 397 a StPO auf Gewährung von Prozesskostenhilfe jedoch abgelehnt. Zur Begründung hat das Landgericht folgendes ausgeführt:
Hinsichtlich des Tathergangs ist die Sach- und Rechtslage aufgrund des Teilgeständnisses des Beschuldigten und der bisherigen Ermittlungen nicht schwierig (§ 397 a Abs. 1 StPO). Zudem ergibt sich aus den Aussagen der M.I. und der B.I., dass sie ihre Interessen durchaus in ausreichender Weise wahrnehmen können. Dies folgt nicht nur aus dem Aussageverhalten und dem Inhalt der polizeilichen und richterlichen Vernehmungen der Verletzten, sondern auch aus der Tatvorgeschichte. Beide Verletzte waren in der Lage, selbst die Initiative zum Verlassen der Wohnung des Beschuldigten zu ergreifen.
Auch bei Auseinandersetzungen zwischen dem Beschuldigten einerseits und seiner Ehefrau und Tochter B. andererseits waren beide Frauen durchaus in der Lage, sich des Beschuldigten sogar durch Austeilen von Schlägen zu erwehren. Dies ergibt sich nicht nur aus der Einlassung des Beschuldigten, sondern auch aus der Aussage der B.I., die bei der Polizei bekundet hat, ihrem elfjährigen Bruder Ohrfeigen verabreicht zu haben, da er sie als Hure und Schlampe bezeichnet hatte.
Die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe ist gem. § 397 a Abs. 2 Satz 2 StPO unanfechtbar.
Gegen diesen Beschluss haben die Beschwerdeführerinnen mit Anwaltsschreiben vom 18.12.1997 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig Gegenvorstellungen erhoben. Zur Begründung führen sie aus, dass die Beschwerdeführerin M.I. nur über sehr geringe Deutschkenntnisse verfüge und sich im übrigen derzeit auf noch nicht absehbare Dauer aufgrund der erlittenen Verletzungen in stationärer Rehabilitationsbehandlung befinde. Darüber hinaus zeige das vorliegende Verfahren, dass beide Beschwerdeführerinnen letztlich nicht in der Lage gewesen seien, sich der Übergriffe des Beschuldigten ausreichend zu erwehren. In der hier vorliegenden, aufgewühlten emotionalen und familiär komplexen Situation sei es den Beschwerdeführerinnen nicht zumutbar, sie ohne anwaltlichen Beistand dem Ermittlungsverfahren auszusetzen. Dies widerspreche auch dem Grundgedanken des Gesetzgebers, der in § 397 a StPO seinen Ausdruck finde. Darüber hinaus verstoße der angefochtene Beschluss gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, da er die Beschwerdeführerinnen gegenüber wohlhabenderen Rechtssuchenden benachteilige.
Das Landgericht hat die Gegenvorstellungen mit Beschluss vom 06.01.1998 ohne nähere Begründung zurückgewiesen und die Sache sodann dem Senat vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat im Hinblick auf § 397 a Abs. 2 S.2 StPO beantragt, die Beschwerde als unzulässig, da nicht statthaft, zu verwerfen.
II. Der Senat musste die Beschwerde gemäß § 406 g Abs. 3 StPO i.V.m. § 397 a Abs. 2 S.2 StPO als unzulässig verwerfen, da nach der dort ausdrücklich getroffenen gesetzlichen Regelung die Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe für den nebenklageberechtigten Verletzten bzw. den Nebenkläger unanfechtbar ist. Dabei stellt auch die Entscheidung, mit der die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagt worden ist, eine Entscheidung über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe i.S.d. § 397 a Abs. 2 StPO dar, so dass auch gegen die ablehnende Entscheidung ein Rechtsmittel nicht statthaft ist (BGHR StPO § 397 a Abs. 2 Zuständigkeit 2 (Beschluss vom 14.12.1994 - 3 StR 72/94); OLG Koblenz, MDR 1991, 557; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Auf.1., § 397 a Rdnr. 13; Heidelberger Kommentar, StPO, § 397 a Rdnr. 15). Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Bewilligung oder Versagung von Prozesskostenhilfe hat der Gesetzgeber aus Gründen der Verfahrensökonomie im Interesse einer schnellen Klärung der Rechtslage angeordnet (BT-Drucks. 10/5305, S. 14). Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Verfassungswidrigkeit der Bestimmung. Die hier zugrundeliegenden Erwägungen des Gesetzgebers sind sachlich gerechtfertigt und gehen letztlich auf den im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Grundsatz der beschleunigten Erledigung von Strafverfahren zurück. Insbesondere kann auch keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes angenommen werden. Zwar steht dem Beschuldigten gegen die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers die Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO zu. Dass dem Beschuldigten eine weitergehende Rechtsstellung als dem Nebenkläger bzw. der nebenklageberechtigten Verletzten eingeräumt wird, hat aber einen sachlichen Grund darin, dass durch das Strafverfahren erheblich tiefgreifender in die Rechte des Beschuldigten eingegriffen wird, als dies in der Person des Nebenklägers bzw. des Verletzten der Fall ist. Während es für den Nebenkläger nur um die Verfolgung seiner persönlichen Interessen auf Genugtuung geht (vgl. BGHSt 28, 272; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 395 Rdnr. 1), steht für den Beschuldigten sein Freiheitsanspruch (Art. 2 des Grundgesetzes) auf dem Spiel. Dementsprechend sind auch die Beteiligungsrechte des Nebenklägers im Rahmen des anhängigen Strafverfahrens in Teilbereichen eingeschränkt, wie sich etwa aus dem gemäß § 400 StPO nur beschränkt bestehenden Anfechtungsrecht des Nebenklägers ergibt.
Der Senat hat weiterhin geprüft, ob im vorliegenden Fall die für den Bereich des Zivilprozessrechts anerkannte außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit (vgl. die Übersicht bei Zöller-Gummer, ZPO, 20. Aufl., § 567 Rdnr. 18 ff.) für die Beschwerdeführerinnen eröffnet sein könnte. Er hat dies jedoch im Ergebnis verneint, wobei offen bleiben kann, ob das Institut der außerordentlichen Beschwerde im Rahmen des Strafverfahrensrechts überhaupt Anerkennung verdient.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen ist anerkannt, dass ausnahmsweise - entgegen dem Gesetzeswortlaut eine Beschwerde gegen eine der Beschwerde an sich entzogene Entscheidung in Betracht kommen kann, wenn die angefochtene Entscheidung mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist (BGH, NJW 1995, 2497; NJW 1993, 1865; NJW 1993, 135, 136; NJW 1992, 983, 984; NJW 1990/838; Übersicht bei Zöller-Gummer, a.a.O.).
Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor.
Allerdings ist der Beschwerde darin beizutreten, dass die beanstandete Entscheidung eindeutig rechtsfehlerhaft ist. Dies gilt bereits für die Annahme der Strafkammer, die Sach- und Rechtslage sei nicht schwierig. Es handelt sich vorliegend um eine Schwurgerichtssache, bei der nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis lediglich der äußere Tathergang weitgehend geklärt ist. Die für die strafrechtliche Einordnung des Geschehens und damit für den späteren Schuldspruch maßgebende Frage des Tötungsvorsatzes ist dagegen derzeit noch offen. Die Staatsanwaltschaft hat zur Klärung der seelischen Verfassung des Beschuldigten die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens veranlasst. Aus dieser Verfassung ergeben sich möglicherweise Rückschlüsse auf den Vorsatz des Beschuldigten. Desgleichen sind zur Klärung dieser Frage Anfragen betreffend die Eindringrichtung der Projektile in die Körper der Beschwerdeführerinnen bei den behandelnden Ärzten veranlasst worden. Die auf dieser Grundlage zur Feststellung des Tatvorsatzes des Beschuldigten erforderlichen Erwägungen übersteigen bei weitem die Fähigkeiten eines juristischen Laien; sie betreffen auch unmittelbar den Rechtskreis der Beschwerdeführerinnen, denen durch § 400 Abs. 1 StPO hinsichtlich des Schuldspruchs eines zu erwartenden Urteils keinerlei Beschränkungen in ihrem Anfechtungsrecht auferlegt sind. Nicht mehr nachvollziehbar sind die Ausführungen der Strafkammer dazu, dass die Beschwerdeführerinnen ihre Interessen in ausreichender Weise selbst wahrnehmen können. Der Umstand, dass sie in der Lage waren, aufgrund eigener Initiative die Wohnung des Beschuldigten zu verlassen, hat insoweit wenig Aussagekraft. Im Rahmen des § 397 a Abs. 1 StPO kommt es selbstverständlich allein auf die Fähigkeit der Wahrnehmung der eigenen Interessen im Rahmen eines Strafverfahrens an. Hier sind die Beschwerdeführerinnen aber wie ausgeführt als juristische Laien völlig überfordert. Soweit die Strafkammer weiter darauf abstellt, die Beschwerdeführerinnen hätten sich des Beschuldigten sogar durch Austeilen von Schlägen erwehren können, hat sie hier ungeprüft einen hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes äußerst bedenklichen Teil der Einlassung des Beschuldigten, die insgesamt von deutlichen Bagatellisierungstendenzen und von Schuldzuweisungen an die Beschwerdeführerinnen getragen war, übernommen und zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht. Auch nicht nachvollziehbar ist weiterhin, in welcher Beziehung die von der Beschwerdeführerin B.I. anlässlich einer erheblichen Beleidigung an ihren 11-jährigen Bruder ausgeteilte Ohrfeige zu der Frage der Fähigkeit dieser Beschwerdeführerin stehen soll, in dem anhängigen Ermittlungsverfahren ihre Interessen ausreichend wahrnehmen zu können. Darüber hinaus kann den Beschwerdeführerinnen, die von dem Beschuldigten durch die Tat auf das erheblichste körperlich verletzt worden sind und die offenbar zuvor bereits eine Vielzahl von Übergriffen des Beschuldigten erdulden mussten, die sie schließlich veranlasst hatten, aus der Familienwohnung in ein Frauenhaus zu flüchten, auch nicht zugemutet werden, ihre Interessen ohne anwaltlichen Beistand wahrzunehmen.
Trotz der Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung der außerordentlichen Beschwerde - ihre Zulässigkeit im Strafverfahren einmal unterstellt (s.o.) - jedoch nicht vor. Das Bestehen einer eindeutigen Rechtsverletzung reicht hierfür nicht aus, sofern diese nur dazu führt, dass die Voraussetzungen eines im Grundsatz nach dem Gesetz zulässigen Vorgehens fehlerhaft als erfüllt angesehen worden sind (BGH, NJW 1992, 983, 984). So liegt der Fall aber hier. Das Gesetz sieht nämlich - abstrakt - ausdrücklich vor, dass das Prozesskostenhilfegesuch des Nebenklägers bzw. des nebenklageberechtigten Verletzten aus den vom Landgericht herangezogenen Gründen - fehlende Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, Fähigkeit des Verletzten, dem dies auch zuzumuten ist, seine Interessen selbst ausreichend wahrzunehmen - zurückgewiesen wird. Das Vorgehen des Landgerichts war demnach im Grundsatz zulässig, wenn auch das Landgericht aus den dargelegten Gründen die hierfür erforderlichen Voraussetzungen rechtsfehlerhaft als erfüllt angesehen hat. Damit entbehrt die angefochtene Entscheidung weder jeder gesetzlichen Grundlage noch ist sie inhaltlich dem Gesetz fremd, so dass es auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen bei der Unzulässigkeit der Beschwerde verbleiben muß (BGH, NJW 1992, 983, 984). Um so größer ist allerdings in derartigen Fällen die Bedeutung des Instituts der Gegenvorstellung, das dem Fachgericht im Falle der fehlenden Statthaftigkeit eines Rechtsmittels die Möglichkeit gibt, als eindeutig rechtswidrig erkannte Entscheidungen selbst im nachhinein zu korrigieren (vgl. BGH, NJW 1995, 403). Diese Möglichkeit bestand hier für den Senat nicht. Im Ergebnis war daher die Beschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.
zur Startseite "Rechtsprechung"
zum SuchformularDie Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".