Aktenzeichen: 3 Ss OWi 684/97 OLG Hamm
Leitsatz: Verkehrszeichen sind nur ausnahmsweise unwirksam und damit unbeachtlich.
1. Zum Absehen vom Fahrverbot
Senat: 3
Gegenstand: OWi
Stichworte: Aufhebung, einheitliche Rechtsprechung, Geschwindigkeitsüberschreitung, Absehen vom Fahrverbot, unsinniges Verkehrszeichen, Augenblicksversagen, persönliche Umstände, berufliche Gründe
Normen: StVO 3, StVG 25
Beschluss: Bußgeldsache gegen G.M.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Essen vom 29.01.1997 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Hattingen vom 16.12.1996 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 09.10.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Betroffenen beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hattingen zurückverwiesen.
Gründe:
I. Mit den angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht Hattingen gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß §§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 200,- DM verhängt. Nach den Urteilsfeststellungen hat die Betroffene am 11. Mai 1996 gegen 12.36 Uhr in Sprockhövel auf der A 1 in Fahrtrichtung Hagen bei Kilometer 41,195 mit dem von ihr geführten Fahrzeug die dort durch Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h, der eine durch Vorschriftszeichen angezeigte Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h vorausgegangen war, um 49 km/h überschritten, wobei sie nach ihrer Einlassung die die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrsschilder zumindest aus Unachtsamkeit übersehen hat.
Den Rechtsfolgenausspruch hat der Amtsrichter wie folgt begründet:
Für einen Geschwindigkeitsregelverstoß diesen Ausmaßes sieht der Bußgeldkatalog auch bei einem Fahrlässigkeits- und Ersttäter eine Regelbuße von 200,- DM und ein Fahrverbot von einem Monat vor. Von einem Fahrverbot konnte das Gericht im vorliegenden Falle absehen, weil die Herabzonung auf 60 km/h keinen verkehrssichernden Sinn ergibt. Wie gerichtsbekannt, verläuft die Autobahnstrecke vor der Herabzonung und im Bereich der Herabzonung auf einer ausgebauten Fahrbahn mit vorgezeichneten normalen Fahrspuren und Seitenstreifen. Bei Kilometer 40,550 ist eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h angezeigt gewesen. Bei Kilometer 41,050 endete die zweite Überholspur. Bei Fahrspurverringerung von drei auf zwei Fahrspuren wird an anderen Baustellen, die schlechter ausgebaut sind, möglicherweise nur eine Verringerung der Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h, die vorher, weit vorher, angezeigt worden war, für erforderlich gehalten. Das Verkehrszeichen 60 km/h hat mit dieser Spurverminderung ohnehin nichts zu tun, denn es ist genau an dieser Stelle erst aufgestellt. Das wäre zu spät zur Vorbereitung dafür. Eine Verschwenkung gibt es an dieser Stelle nicht. Bei Kilometer 41,300 gibt es zwar eine Autobahnauffahrt. Diese erfordert aber, wie bei anderen Baustellen auch, keine Herabzonung auf 60 km/h, weil Beschleunigungsstreifen vorhanden waren. Der gesamte Bereich war bereits fertig ausgebaut und entsprechend auf der Fahrbahn gekennzeichnet. Bei Kilometer 41,900 sind die Fahrbahnen lediglich um einen Meter verschwenkt gewesen. Auch zur Vorbereitung dafür kann die Herabzonung auf 60 km/h nicht gedient haben, denn 50 m davor ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Verkehrsschilder wieder auf 80 km/h erhöht gewesen. Die gesamte Regelung widerspricht damit in allen Einzelheiten den Regelungen, die der Richter sonst auf Autobahnen an Baustellen erfahren hat, zumal es sich hier noch nicht einmal um einen Baustellenbereich gehandelt hatte und selbst bei Kilometer 41,900 nur eine kaum merkbare Verschwenkung erfolgt war vor einer Strecke, die ebenfalls eigentlich schon ausgebaut war. Die Regelung erscheint damit willkürlich und ist deshalb unbeachtlich. Auszugehen ist damit von einer zu beachtenden Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Bei einer Geschwindigkeitsdifferenz von 20 km/h ( gemeint sind offensichtlich 29 km/h) kommt ein Fahrverbot nicht in Betracht.
Auch bei einer anderen rechtlichen Beurteilung der Verkehrsschilder wäre ein Fahrverbot nicht in Betracht gekommen:
Die Betroffene ist beruflich auf ihr Fahrzeug angewiesen und kann sich auch bei ihren wechselnden Einsätzen nicht eines Fahrers bedienen. Das Fahrverbot wäre damit eine unzumutbare Härte.
Ausgehend von der bei der 80-iger Regelung geringeren Geschwindigkeitsdifferenz, musste das Gericht eine niedrigere Regelbuße nach dem Bußgeldkatalog beachten, als festgesetzt worden ist. Die Festsetzung von 200,- DM rechtfertigt sich aber aus den überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen und dem Umstand, dass innerhalb des Geschwindigkeitsdifferenzrahmens die Überschreitung an der Obergrenze lag.
Zu den persönlichen und beruflichen Verhältnissen der Betroffenen ist in den Urteilsgründen zuvor ausgeführt worden, dass diese sich durch Schutzschriften ihres Verteidigers u. a. wie folgt geäußert hat:
Der Adresse ist zu entnehmen, dass die Betroffene in Bonn wohnt. Sie ist, wie bereits dargelegt, Schulleiterin des privaten Gymnasiums Schloss H.. Dieses Gymnasium liegt im südlichen Randbereich der Stadt Bad Honnef. Die Betroffene muß täglich diese Schule aufsuchen, teilweise auch an Wochenenden. Sie kann sich hierzu keines öffentlichen Verkehrsmittels bedienen, da es eine entsprechende Verkehrsverbindung nicht gibt. Der Bahnhof der Stadt Bad Honnef ist ca. 5 km von der Schule entfernt. Die Schule befindet sich im Außenbereich der Stadt Bad Honnef. Eine öffentliche Verkehrsanbindung gibt es nicht.
Hinzu kommt, dass der Schule ein Vollzeitinternat angeschlossen ist. Dieser Internatsbereich bringt es mit sich, dass die Betroffene auch nachts in der Lage sein muß, die Schule aufzusuchen. Der Ehemann der Betroffenen ist selbst berufstätig und benötigt ein Auto. Andere Personen, die ein Auto führen könnten, gehören der Familie nicht an.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Essen Rechtsbeschwerde eingelegt und gleichzeitig deren Zulassung beantragt. Sie wendet sich mit ihrem auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsmittel insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes.
II. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
III. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Die in dem angefochtenen Urteil festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung von 49 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften erfüllt den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 BKatV aufgeführten Tatbestand der Nummer 5.3.4 (Geschwindigkeitsüberschreitung von 41 - 50 km/h) der Tabelle 1 a, c, des Anhangs zu Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV. Die Verwirklichung einer der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BKatV genannten Tatbestände indiziert das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes i.S.d. § 25 Abs. 1 S.1 StVG, so dass in diesen Fällen in der Regel die Anordnung eines Fahrverbotes geboten ist -(BGHSt 38, 125; 231).
Der Bundesgerichtshof hat allerdings in seinem Beschluss vom 11. September 1997 - 4 StR 638/96 - entschieden, dass die Anordnung eines Fahrverbotes gemäß § 25 Abs. 1 S.1 StVG wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers auch bei einer die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 S.1 Nr. 1 BKatV erfüllenden Geschwindigkeitsüberschreitung nicht in Betracht komme, wenn die Ordnungswidrigkeit darauf beruhe, dass der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit ein die Geschwindigkeit begrenzendes Verkehrszeichen übersehen habe und keine weiteren Anhaltspunkte vorlägen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung hätte aufdrängen müssen. Ein solches Verhalten stelle nämlich ein Augenblicksversagen dar, das den Vorwurf eines auch subjektiv grob pflichtwidrigen Verhaltens, wie es ein Fahrverbot gemäß § 25 StVG voraussetze, nicht rechtfertige. Eine Berücksichtigung dieser bei Erlass des angefochtenen Urteils noch nicht ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat aber nicht zur Folge, dass in dem hier zu entscheidenden Fall, in dem nach den Urteilsfeststellungen die Betroffene, die die Geschwindigkeit beschränkenden Verkehrszeichen aus Unachtsamkeit übersehen hat, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung eines Fahrverbotes nach § 2 Abs. 1 BKatV zu verneinen ist. Denn ein nur auf leichte Fahrlässigkeit zurückzuführendes Augenblicksversagen liegt nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11.09.1997 dann nicht vor, wenn der Messstelle, wie es hier der Fall war, ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerer nacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabgesetzt wird, vorausgeht. Vielmehr ist in diesen Fällen nach der o.g. Entscheidung des Bundesgerichtshofs von einer groben Pflichtverletzung des Kraftfahrers auch in subjektiver Hinsicht auszugehen, falls nicht ausnahmsweise aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine andere Beurteilung geboten sein sollte.
2. Die Auffassung des Amtsrichters, für den Rechtsfolgenausspruch sei von einer zu beachtenden zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h und dementsprechend abweichend von den getroffenen Feststellungen von einer um 20 km/h geringeren Geschwindigkeitüberschreitung durch die Betroffene auszugehen mit der Folge, dass sich die Frage eines Fahrverbotes nicht mehr stelle, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme der Unwirksamkeit und damit Unbeachtlichkeit der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h an der hier in Rede stehenden Stelle.
Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 30. Mai 1996 (3 Ss OWi 477/96), in dem es ebenfalls um eine Geschwindigkeitsüberschreitung an der hier in Rede stehenden Stelle ging, darauf hingewiesen, dass Verkehrszeichen gemäß § 41 StVO, die nach herrschender Meinung Verwaltungsakte in der Form der Allgemeinverfügung darstellen (vgl. Jagusch/ Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 33. Aufl., § 41 StVO, Randziffer 247), nur ausnahmsweise unwirksam und damit unbeachtlich sind. Nach der Grundregel des § 44 Abs. 1 VwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Als nichtig anzusehen sind nach dieser Vorschrift zwar Verwaltungsakte und damit Vorschriftszeichen, die offensichtlich auf reiner Willkür beruhen (vgl. Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 40. Aufl., § 39 Randziffer 10 und 11; Kopp, VwVfG, 6. Aufl., § 44 Randziffer 20). Von einem reinen Willkürakt kann aber erst dann gesprochen werden, wenn für eine getroffene Regelung keinerlei sachlicher Grund ersichtlich oder denkbar ist. Dies lässt sich aus den getroffenen Feststellungen jedoch nicht entnehmen. Danach betraf die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 60 km/h nämlich einen Bereich, in dem der sich zuvor auf drei Fahrspuren verteilende Autobahnverkehr nur noch auf zwei Fahrspuren weitergeführt wurde und in dem sich außerdem eine Autobahnauffahrt befindet. Diese beiden Umstände können durchaus denkbare Gründe für die Herabsetzung der zulässigen Geschwindigkeit von zuvor 80 km/h auf anschließend 60 km/h dargestellt haben.
3. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes in dem vorliegenden Fall aus sonstigen Gründen gerechtfertigt ist.
Der Amtsrichter hat zwar das Absehen von der Anordnung eines Fahrverbotes hilfsweise auch damit begründet, dass dieses für die Betroffene eine unzumutbare Härte darstellen würde. Gestützt wird diese Annahme aber lediglich auf die in dem angefochtenen Urteil wiedergegebene Einlassung der Betroffenen, ohne dass das Amtsgericht eigene Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Betroffenen tatsächlich entsprechend ihrer Einlassung beruflich auf ihr Fahrzeug angewiesen ist und ihren Arbeitsplatz nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Ebenso wenig enthält das amtsgerichtliche Urteil eine nachvollziehbare Begründung dafür, warum der Betroffenen unter Berücksichtigung ihres Einkommens als Schulleiterin eines privaten Gymnasiums die Inanspruchnahme eines Fahrers bzw. eines Taxifahrzeugs auf denjenigen Teilstrecken, für die eine öffentliche Verkehrsanbindung nicht besteht, nicht zugemutet werden könne.
IV. Entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war daher das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Hattingen zurückzuverweisen.
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