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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 1424/97 OLG Hamm

Leitsatz: Steht zur Überzeugung des Tatgerichts fest, dass der Betroffene die für seine Fahrtrichtung geltende Haltelinie zu einem Zeitpunkt passierte, an dem die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr bereits Grünlicht anzeigte, kann aus dem Schaltprogramm der ordnungsgemäß funktionierenden Lichtzeichenanlage auf den Rotlichtverstoß geschlossen werden. Diese Schlussfolgerung ist für das Rechtsbeschwerdegericht aber nur dann überprüfbar, wenn in den Urteilsfeststellungen der Programmablauf der Lichtzeichenanlage mitgeteilt wird.

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: Programmierablauf von LZA, Umfang der Feststellungen, qualifizierter Rotlichtverstoß, Schätzung, Zeitschätzung, Zeugenwahrnehmungen

Normen: StVO 37, StPO 267

Beschluss: Bußgeldsache gegen A.H.,
wegen fahrlässigen qualifizierten Rotlichtverstoßes.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 05.09.1997 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 01.09.1997 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 04.12.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 S.1 OWiG beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 37, 41, 49 StVO, 24 StVG (richtig: §§ 37 Abs. 2 Nr. 1 S.7; 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, 24 StVG) zu einer Geldbuße in Höhe von 250,- DM sowie zu einem Fahrverbot von einem Monat Dauer verurteilt.

Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:

”Am 29.09.1996 gegen 23.58 Uhr befuhr der Betroffene mit dem PKW Opel Kadett Kombi, Kennzeichen BI-ZN 15, die Jöllenbecker Straße in Bielefeld stadtauswärts. An der Kreuzung Siegfriedstraße fuhr er in den Kreuzungsbereich ein und bog nach links in die Siegfriedstraße ein, obwohl die dortige Lichtzeichenanlage für seine Fahrtrichtung bereits seit deutlich mehr als einer Sekunde Rotlicht zeigte. Die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr hatte nämlich bereits auf ”Grün” geschaltet, als der Betroffene die für ihn maßgebliche Ampel passierte. Die Lichtzeichenanlage dort hat eine Gelbphase von drei Sekunden. Ein gefahrloses Anhalten wäre dem Betroffenen möglich gewesen.”

Die Einlassung des Betroffenen, die Ampel habe für ihn ”Grün” gezeigt, hat das Amtsgericht aufgrund der Angaben des Zeugen F. widerlegt angesehen, der zum Zeitpunkt des angeblichen Verkehrsverstoßes mit einem Zivilfahrzeug auf die genannte Kreuzung zufuhr und bekundet hatte, er sei mit seinem Fahrzeug noch ca. 2 bis 3 Fahrzeuglängen von der für ihn maßgeblichen Lichtzeichenanlage im Kreuzungsbereich entfernt gewesen und habe ”voll Grün” gehabt, als er das Fahrzeug des Betroffenen im Querverkehr von links auf der Jöllenbecker Straße kommend bemerkt habe, wie es in diesem Moment ohne anzuhalten die Ampel passierte und in den Kreuzungsbereich einfuhr, um dort nach links in die Siegfriedstraße abzubiegen. Zu diesem Zeitpunkt sei die Jöllenbecker Straße im übrigen völlig frei gewesen, bei dem Betroffenen habe es sich nicht etwa um einen zuvor wegen Gegenverkehrs im Kreuzungsbereich aufgehaltenen Linksabbieger gehandelt. Aufgrund der Aussage dieses Zeugen in Verbindung mit dem allgemeinkundigen Umstand, dass im Stadtverkehr grundsätzlich eine Sicherheitsphase von mindestens 1 Sekunde zwischen Rotlicht für die Fahrtrichtung des Betroffenen und Grünlicht für den Querverkehr geschaltet werde, hat das Amtsgericht den Betroffenen als überführt angesehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner frist- und formgerecht mit der Sachrüge begründeten Rechtsbeschwerde.

Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Bielefeld.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme folgendes ausgeführt:

”Die Urteilsgründe tragen nicht den Schuldspruch wegen eines fahrlässig begangenen Rotlichtverstoßes bei einer Rotlichtdauer von mehr als einer Sekunde entsprechend Nr. 34.2 BKatV (qualifizierter Rotlichtverstoß). An die Urteilsgründe in Bußgeldsachen sind zwar keine hohen Anforderungen zu stellen. Sie müssen aber so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung möglich ist (vgl. Göhler, OWiG, 11. Auflage, § 71 Rdnr. 42). Wegen der erheblichen Auswirkungen im Rechtsfolgenausspruch - die Bußgeldkatalogverordnung sieht in Nr. 34 für den einfachen Rotlichtverstoß lediglich eine Regelgeldbuße von 100,00 DM, für den sog. qualifizierten Rotlichtverstoß eine solche von 250,00 DM sowie die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes vor muß die Feststellung, dass das Rotlicht zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie (herrschende Meinung, vgl. Senatsbeschluss vom 19.12.1995 - 3 Ss OWi 378/95 -; BayObLG NZV 1994, 200) mehr als eine Sekunde angedauert hat, von dem Tatrichter nachvollziehbar aus dem Beweisergebnis hergeleitet werden (vgl. OLG Köln, VRS 89, 470 f; Senatsbeschluss vom 16.01.1997 - 3 Ss OWi 1540/96 - )

Daran fehlt es hier. Zwar ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, das Vorliegen eines Rotlichtverstoßes aus den Angaben eines Zeugen zu schließen, der gleichzeitig das Grünlicht der Lichtzeichenanlage für den Querverkehr und das Einfahren in den Kreuzungsbereich beobachtet. Die durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätze bezüglich der gesteigerten Anforderungen an Zeugenwahrnehmungen bei Rotlichtverstößen (hierzu vgl. Senatsbeschluss vom 16.01.1997 - 3 Ss OWi 1540/96 -; OLG Hamm, Beschluss vom 19.12.1996 - 4 Ss OWi 1418/96 -) gelten hier nur in eingeschränktem Maße, da diese sich insbesondere auf die Frage beziehen, inwieweit Schätzungen des gleichzeitig das Rotlicht und den Betroffenen wahrnehmenden Zeugen bezüglich der Dauer des Rotlichtverstoßes bei Überfahren der Haltelinie anzuerkennen sind. In der vorliegenden Fallgestaltung indes folgt der Rotlichtverstoß aus der Beobachtung der Ampelschaltung des Querverkehrs, bezieht sich mithin auf den automatisierten Programmablauf der Lichtzeichenanlage. Steht zur Überzeugung des Tatgerichts fest, dass der Betroffene die für seine Fahrtrichtung geltende Haltelinie zu einem Zeitpunkt passierte, an dem die Lichtzeichenanlage für den Querverkehr bereits Grünlicht anzeigte, kann aus dem Schaltprogramm der ordnungsgemäß funktionierenden Lichtzeichenanlage auf den Rotlichtverstoß geschlossen werden. Diese Schlussfolgerung ist für das Rechtsbeschwerdegericht aber nur dann überprüfbar, wenn in den Urteilsfeststellungen der Programmablauf der Lichtzeichenanlage mitgeteilt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie vorliegend - ein qualifizierter Rotlichtverstoß in Rede steht. In einem solchen Fall muß aufgrund des Schaltplans positiv die Zeitspanne zwischen dem Umschalten des für den Betroffenen geltenden Lichtzeichens auf Rotlicht und dem Umschalten auf Grünlicht für den Querverkehr festgestellt sein. Zugunsten des Betroffenen ist dabei die Möglichkeit zu erörtern, dass dieser zum letztmöglichen Zeitpunkt die Haltelinie passierte. Dies drängt sich hier um so mehr auf, als der Zeuge F. das Umschalten des für den Querverkehr geltenden Lichtzeichens auf Grünlicht nicht beobachtet hat; seine Aussage, der Querverkehr habe bereits ”voll Grün” gehabt, als der Betroffene die Ampel passierte und in den Kreuzungsbereich einfuhr, lässt auch die Auslegung zu, der Querverkehr habe soeben Grünlicht erhalten, als der Betroffene in den Kreuzungsbereich einfuhr. Ob auch bei dieser Konstellation zwingend ein qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt, kann ohne Kenntnis des Schaltplans der Lichtzeichenanlage nicht beurteilt werden. Mutmaßungen insoweit anzustellen ist dem Rechtsbeschwerdegericht versagt.

Hinzu kommt hier, dass sich den Feststellungen nicht hinreichend sicher entnehmen lässt, ob der Zeuge F., der zum Beobachtungszeitpunkt ”2-3 Fahrzeuglängen von der Ampel entfernt gewesen” sein soll, den Moment des Überfahrens der Haltelinie - ob eine solche überhaupt vorhanden ist, lässt sich den Urteilsgründen ebenfalls nicht entnehmen - gesehen, oder den Betroffenen erst im Kreuzungsbereich wahrgenommen hat. Die Formulierung, der Betroffene habe in diesem Moment ”die Ampel passiert”, ist insofern zu ungenau.”

Diesen zutreffenden Erwägungen schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie unter zusätzlichem Hinweis auf den ähnlich gelagerten Fall OLG Karlsruhe, VRS 89, 140 ff., zur Grundlage seiner Entscheidung.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass hier aufgrund der konkreten Verkehrssituation bereits deshalb eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht von vornherein ausgeschlossen war, weil sich zumindest das Zivilfahrzeug des Zeugen F. zum Zeitpunkt des Rotlichtverstoßes in unmittelbarer Nähe des Kreuzungsbereiches befand.


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