Aktenzeichen: 3 Ss OWi 1234/97 OLG Hamm
Leitsatz: Zur ausnahmsweisen Zulässigkeit der Ablehnung eines Beweisantrags nach einer vorweggenommenen Beweiswürdigung und zur Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens wegen eigener Sachkunde
Senat: 3
Gegenstand: OWi
Stichworte: eigene Sachkunde, Geschwindigkeitsmessung durch Hinterherfahren, Geschwindigkeitsüberschreitung, Verwerfung, vorweggenommene Beweiswürdigung, Zurückweisung von Beweisanträgen
Normen: StVO 3, StPO 244
Beschluss: Bußgeldsache gegen H.Y.,
wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 15. Juli 1997 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30.12.1997 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Essen hat mit Urteil vom 15. Juli 1997 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung eine Geldbuße von 300,- DM verhängt sowie ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt.
Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene am 6. Februar 1997 gegen 22.40 Uhr mit dem von ihm gesteuerten PKW in Essen auf der BAB 40 in Fahrtrichtung Duisburg in Höhe der Anschlussstelle Essen-Kray die an dieser Stelle durch Verkehrszeichen angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 53 km/h überschritten.
Er wurde zwischen den Anschlussstellen Essen-Kray und Essen-Frillendorf - einer Strecke von ca. 2 km - von einem Polizeifahrzeug verfolgt, welches eine Geschwindigkeitsmessung vornahm. Dieses Fahrzeug folgte dem Betroffenen in einem gleichbleibenden Abstand von ca. 90 m über eine Messstrecke von etwa 1000 m. Dabei lasen die Beamten eine Geschwindigkeit von 180 km/h ab. In diesem Streckenabschnitt war nur eine Geschwindigkeit von 100 km/h erlaubt. Am Ende der Messstrecke überholte das Polizeifahrzeug unter Beschleunigung auf ca. 200 km/h das Fahrzeug des Betroffenen und winkte diesen in die Ausfahrt Essen-Frillendorf. Dieser Überholvorgang fand ca. 800 m vor der Ausfahrt statt.
Seine Überzeugung von der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen hat der Amtsrichter auf die Zeugenaussage des Polizeibeamten K. gestützt. Dieser war Fahrer des Polizeifahrzeuges, welches dem PKW des Betroffenen gefolgt ist. Den Antrag der Verteidigung, den zweiten Beamten, der im Hauptverhandlungstermin nicht zur Verfügung stand, noch zu vernehmen, hat das Amtsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, dessen Aussage sei zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich, weil kein Grund zu der Annahme bestehe, dass er abweichend von dem vernommenen Zeugen aussagen könnte. Darüber hinaus hat der Verteidiger in der Hauptverhandlung die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage beantragt, dass bei Beschleunigung auf 200 km/h der Betroffene noch vor der Ausfahrt Essen-Frillendorf anzuhalten gewesen sei. Dieser Antrag ist aufgrund eigener Sachkenntnis des Gerichts zurückgewiesen worden. Im Urteil ist dazu ausgeführt worden, dass der weitere Antrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, dass das Polizeifahrzeug zu einer Beschleunigung auf 200 km/h nicht in der Lage sei, ebenfalls zurückzuweisen gewesen sei, weil das Gericht die nötige Sachkunde besitze, über diese Frage im Zusammenhang mit der Zeugenaussage zu urteilen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser zum einen die Ablehnung des Beweisantrages auf Vernehmung des zweiten Polizeibeamten rügt. Des weiteren wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das Amtsgericht den weiteren Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht berücksichtigt, vielmehr diesen Antrag in den Urteilsgründen sogar inhaltlich falsch bezeichnet habe.
II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat rechtsfehlerfrei den Antrag auf Vernehmung des zweiten Polizeibeamten ohne Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht abgelehnt.
Der Verteidigung ist zuzustimmen, dass die vom Amtsrichter für die Ablehnung des Beweisantrages gegebene Begründung nichts anderes ist als eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Es entspricht indessen gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass trotz der auch im Bußgeldverfahren geltenden richterlichen Aufklärungspflicht dem Tatrichter in eng begrenzten Ausnahmefällen eine vorweggenommene Wertung von Beweismitteln gestattet ist. Nach den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen ist die Ablehnung eines Beweisantrages aufgrund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung ohne Verstoß gegen die Aufklärungspflicht dann zulässig, wenn das Gericht bereits eine Überzeugung gewonnen hat und die Grundlagen dafür so verlässlich und unproblematisch sind, dass die Möglichkeit, das Gericht könne in seiner Überzeugung durch eine weitere Beweisaufnahme erschüttert werden, vernünftigerweise auszuschließen ist (vgl. OLG Hamm, NStZ 1984, 462 m.w.N.). Entscheidend ist, welche Erwartungen bei vernünftiger Betrachtung an die beantragte Beweiserhebung geknüpft werden können. Erscheint der angebotene Beweis im Hinblick auf die damit erstrebte Entkräftung des erreichten Beweisergebnisses von vornherein als aussichtslos, so wird die Aufklärungspflicht kaum dazu drängen, diesen Beweis zu erheben. So liegt es insbesondere dann, wenn der angebotene Zeuge seinem Interessen- und Pflichtenkreis nach dem "gegnerischen" Lager des Betroffenen zuzuordnen ist oder gar in den Akten als Anzeigenerstatter oder sonst als Belastungszeuge erscheint. Des weiteren ist bedeutsam, ob es sich bei der vorgeworfenen Zuwiderhandlung um einen für die menschliche Beobachtung einfachen Vorgang handelt, oder ob die Zeugenaussage sich auf einen schwierig zu beurteilenden Sachverhalt bezieht. Schließlich darf auch nicht außer Betracht gelassen werden, welche konkreten entlastenden Tatsachen in dem zur Entscheidung gestellten Beweisantrag behauptet sind. erschöpft sich die zu beweisende Behauptung darin, der Betroffene habe die ihm vorgeworfene Zuwiderhandlung nicht begangen, so wird dies - insbesondere bei einem einfachen Verkehrsvorgang - weit weniger zu weiterer Aufklärung drängen, als wenn konkrete entlastende Einzelheiten unter Beweis gestellt werden (OLG Hamm, a.a.O.).
Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall die Ablehnung des Beweisantrages der Verteidigung gerechtfertigt. Die Aufklärungspflicht gebot eine Vernehmung des weiteren Polizeibeamten nicht. Wie sich aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergibt, hat sich der Tatrichter sowohl von der persönlichen Glaubwürdigkeit des in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen K. wie auch von der sachlichen Zuverlässigkeit seiner Aussage überzeugt und dazu ausreichende Feststellungen getroffen. Die Beobachtungen dieses Zeugen beziehen sich auch nicht auf einen schwierig zu beurteilenden Sachverhalt. Der weitere Polizeibeamte gehört dem Pflichtenkreis dieses Zeugen an. Er ist in den Akten als Zeuge für die Richtigkeit der gefertigten Anzeige benannt. Unter diesen Umständen konnte von ihm bei vernünftiger Betrachtung der Dinge eine Entkräftung der Aussage des Zeugen K. schlechterdings nicht erwartet werden, zumal auch in dem Beweisantrag konkrete Einzelheiten, die den Betroffenen hätten entlasten können, nicht behauptet sind.
Auch die Ablehnung des Beweisantrages auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist nicht zu beanstanden. Gemäß §§ 46 OWiG, 244 Abs. 4 S.1 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Woher der Richter die eigene Sachkunde bezieht, ist gleichgültig. Es kann sich um beruflich oder außerberuflich erworbenes Spezialwissen handeln, insbesondere um Kenntnisse aufgrund von Gutachten, die im gerichtlichen Verfahren erstattet worden sind. Vorliegend geht es bei dem Beweisantrag um die Frage, wie viele Meter das Polizeifahrzeug benötigt, um bei der gefahrenen Geschwindigkeit den PKW des Betroffenen überholen zu können. Hierbei handelt es sich um eine relativ einfache Berechnung, die ein Richter in Bußgeldsachen häufig vorzunehmen hat. Insoweit ist die Ablehnung dieses Beweisantrages aufgrund eigener Sachkunde nicht zu beanstanden.
Auch die Tatsache, dass der Beweisantrag in den Urteilsgründen unrichtig wiedergegeben worden ist, führt nicht zur Aufhebung des Urteils. Zwar kann ein Rechtsmittel das Urteil zu Fall bringen, wenn die Urteilsgründe inhaltlich nicht im Einklang mit dem Ablehnungsbeschluss stehen (BGHSt 19, 24). Dies wird regelmäßig aber nur dann der Fall sein, wenn die Begründung des Ablehnungsantrages widersprüchlich ist. Vorliegend handelt es sich lediglich um eine unrichtige, nämlich verkürzte, Wiedergabe des Inhalts des Beweisantrages. Auf diesem Fehler kann das angefochtene Urteil nicht beruhen.
Da die Rüge der Verletzung materiellen Rechts nicht erhoben worden ist, war das Urteil insoweit vom Senat nicht zu überprüfen.
Angesichts der Tatsache, dass entgegen der Ansicht der Verteidigung Verfahrensfehler nicht gegeben sind - und nur solche werden geltend gemacht - war die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG als unbegründet zu verwerfen.
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