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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 9/98 OLG Hamm

Leitsatz: Nur in den Fällen, in denen sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf ein uneingeschränktes, glaubhaftes Geständnis des Betroffenen stützt, ist die Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit nicht unbedingt erforderlich.

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: Aufklärungsrüge, Beweiswürdigung, Denkgesetze, Erfahrungssätze, Geschwindigkeitsmessung, Geständnis, Messverfahren, Sachrüge

Normen: StVO 3, StPO 267

Beschluss: Bußgeldsache gegen M.S.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Dorsten vom 22. September 1997 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 15.01.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit Ausnahme der Feststellungen, dass der Betroffene zum Tatzeitpunkt den amerikanischen GMBC-Truck gefahren hat, aufgehoben.

Im Rahmen der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Dorsten zurückverwiesen.

Gründe:
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft mit einer Geldbuße von 120,- DM und einem einmonatigen Fahrverbot belegt. Das Amtsgericht hat den Schuldspruch irrtümlich sowohl auf § 3 Abs. 3 StVO als auch auf § 41 (Zeichen 274) StVO gestützt. Es hat festgestellt, dass der Betroffene am 25. Oktober 1997 (gemeint ist: 1996) die Lembecker Straße innerhalb geschlossener Ortschaft mit einem amerikanischen GMBC-Truck statt mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h mit 76 km/h befahren habe. Zum Messverfahren und einem eventuell vorgenommenen Sicherheitsabzug hat das Amtsgericht keinerlei Feststellungen getroffen. Es hat insoweit ausgeführt, die Geschwindigkeitsüberschreitung als solche werde vom Betroffenen nicht bestritten.

Die Einlassung des Betroffenen, nicht er, sondern seine Ehefrau habe das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt, hat das Amtsgericht mit näheren Darlegungen für widerlegt angesehen. Es hat die im Einklang mit der Einlassung des Betroffenen stehende Aussage seiner Ehefrau, der Zeugin S., als Falschaussage bewertet. Danach will die Zeugin S. als Fahrerin in dem Bewußtsein, zu schnell gefahren zu sein, bei dem Erkennen, dass es sich bei dem hinter ihr fahrenden Fahrzeug um ein Polizeifahrzeug handelte und dass ihr ein Anhaltezeichen gegeben worden war, in Panik geraten, nach rechts in den Dillenweg eingebogen sein und angehalten haben. Sie will alsdann unverzüglich den Fahrersitz verlassen und sich nach hinten auf den Rücksitz zu ihrem Kind gesetzt haben. Der Betroffene will sogleich vom Beifahrersitz aus, wo er zuvor gesessen habe, ausgestiegen sein. Er ging dem Zeugen M. entgegen und äußerte sogleich, die Beamten müßten ihm erst einmal beweisen, dass er gefahren sei.
Zur Überzeugung des Amtsgerichts aufgrund der miteinander in Einklang stehenden Bekundungen der Polizeibeamten M. und P. hat ein Sitzwechsel der Zeugin S. vom Fahrersitz zum Rücksitz nicht stattgefunden, weil die Polizeibeamten bereits innerhalb einer Zeitspanne von etwa einer halben Minute von ihrem hinter dem Fahrzeug des Betroffenen angehaltenen Fahrzeug bis zum Fahrzeug des Betroffenen gelangt waren und die Zeugin S. auf dem Rücksitz mit dem an sie gelehnten oder aber auf ihren Unterschenkeln liegenden Kind im Dämmerschlaf vorgefunden haben. Das Amtsgericht hat in einer eingehenden Beweiswürdigung ausgeführt, aus welchen Gründen es den Bekundungen der Zeugen P. und M. gefolgt ist. Insoweit hat es abgestellt darauf, dass die Zeugin S. einerseits völlig in Panik wegen des hinter ihr herfahrenden Fahrzeugs gewesen sein will, andererseits aber die Umsicht und Ruhe gehabt haben will, innerhalb von 30 Sekunden auf den Rücksitz des Truck zu klettern, sich dort wie im Dämmerschlaf hinzusetzen und das Kind an sich zu ziehen. Bereits dies sieht das Amtsgericht als gegen die allgemeine Lebenserfahrung sprechend an, abgesehen davon, dass die zur Verfügung stehende Zeit für ein derartiges Manöver nicht ausgereicht habe. Letztlich weist das Amtsgericht darauf hin, dass die Zeugin S. ein Motiv gehabt haben könne, ihren Ehemann auf jeden Fall zu entlasten.

Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs hat das Amtsgericht eine Vielzahl von Vorbelastungen des Betroffenen erwähnt; dargestellt hat es allerdings lediglich eine Verurteilung des Betroffenen durch das Amtsgeficht Gelsenkirchen-Buer vom 26. Februar 1996 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 300,- DM. Das Urteil ist am 13. März 1996 rechtskräftig geworden. Den Umfang der Geschwindigkeitsüberschreitung hat das Amtsgericht nicht mitgeteilt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.

Zur formellen Rüge hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 12. Januar 1998 wie folgt Stellung genommen:

"Soweit der Betroffene mit der Verfahrensrüge geltend macht, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht gemäß § 77 Abs. 1 OWiG, § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG verletzt, entsprechen die Darlegungen der Rechtsbeschwerdebegründung zwar noch den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, da die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, die Beweismittel, deren das Gericht sich hätte bedienen sollen (zu vgl. BGHSt 2, 168) und die Umstände, die das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen sollen, (BGHR § 344 Abs. 2 Satz 2 Aufklärungsrüge 6) sowie schließlich das für den Betroffenen zu erwartende günstige Beweisergebnis (Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO, 43. Auflage, § 244 Rdn. 81 m.w.N.) noch in ausreichender Form bezeichnet werden.

Die Aufklärungsrüge ist jedoch unbegründet.

Weder die Einholung eines Sachverständigengutachtens noch die Inaugenscheinnahme des Fahrzeuginneren zur Berechnung der für ein Wechseln des Fahrers vom Fahrersitz auf die Rückbank benötigten Zeit mußte sich dem erkennenden Gericht entgegen der Auffassung der Verteidigung (nicht) aufdrängen, weil eine entsprechende eigene Sachkunde des Gerichts offenkundig ist und der Tatrichter zudem nicht entscheidend auf die für einen Wechsel der Sitzplätze erforderliche Zeit, sondern auf die Reaktion der Zeugin S. abgestellt hat, die nach eigenen Angaben angesichts des herannahenden Polizeifahrzeuges in Panik geraten sein will, andererseits nach Angaben des Zeugen P. sich in einem Dämmerzustand befunden haben soll."

Diesen Ausführungen schließt der Senat sich an.

Auch unter dem Gesichtspunkt der materiellen Rüge lassen die Feststellungen dazu, dass der Betroffene das Fahrzeug zur Tatzeit selbst geführt hat, keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen. Die Beweiswürdigung ist in sich geschlossen. Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze sind nicht ersichtlich. Im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung ist auch kein Verstoß gegen den Grundsatz "in dubio pro reo" erkennbar. Das angefochtene Urteil macht vielmehr deutlich, dass das Amtsgericht die volle Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen erlangt hat.

Gleichwohl konnte das Urteil auf die Sachrüge hin - allerdings aus anderen Erwägungen, als von der Verteidigung geltend gemacht - keinen Bestand haben.

Das angefochtene Urteil lässt jegliche Feststellungen zur Geschwindigkeitsmessung vermissen. Dieser Mangel kann auch nicht etwa dadurch als geheilt angesehen werden, dass das Amtsgericht ausführt, "Die Geschwindigkeitsüberschreitung als solche wird von dem Betroffenen nicht bestritten". Zwar bedarf es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGHSt 39/291 ff., 303) in Fällen, in denen sich die Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf ein uneingeschränktes, glaubhaftes Geständnis des Betroffenen stützt, nicht unbedingt der Mitteilung des Messverfahrens und der nach Abzug der Messtoleranz ermittelten Geschwindigkeit. Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben. Von einem uneingeschränkten, glaubhaften Geständnis des Betroffenen kann vorliegend nicht die Rede sein. Die wesentlichen Teile der Einlassung des Betroffenen hat das Amtsgericht diesem auch nicht geglaubt. Daher bedurfte es der Mitteilung der vorliegend durchgeführten Messmethode und des vorgenommenen Sicherheitsabzugs. Sollte es sich vorliegend nicht um ein standardisiertes Messverfahren, sondern etwa um eine Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren gehandelt haben, wäre eine detaillierte Schilderung, die dem Senat eine Überprüfung ermöglicht, erforderlich gewesen. Bereits dieser Darlegungsmangel nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, da dem Senat eine Nachprüfung nicht möglich ist.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Verhängung eines Fahrverbots, falls wiederum eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 26 km/h festgestellt werden sollte, nur nach § 2 Abs. 2 BKatV in Betracht kommen kann. Voraussetzung dafür wäre, dass der Betroffene innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der erörterten Vorbelastung eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begangen hätte. Der Umfang der dem Betroffenen mit Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 26. Februar 1996 vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung ist bisher nicht mitgeteilt worden.
Nach alledem konnte das angefochtene Urteil mit Ausnahme der Feststellungen dazu, dass der Betroffene zur Tatzeit Fahrer des in Rede stehenden Fahrzeugs war, keinen Bestand haben. Im Rahmen der Aufhebung war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Dorsten zurückzuverweisen.


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