Aktenzeichen: 3 Ws 103/98 und 114/98 OLG Hamm, 3 AR 545/98 GStA Hamm, 11 Ns - W 14/97 XI LG Bielefeld, 24 Js 711/97 StA Bielefeld
Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Beiordnung eines Pflichtverteidigers, Schwere der Tat, Unfähigkeit zur Selbstverteidigung, erkennender Richter, Ablehnung
Normen: StPO 140, StPO 28
Beschluss: Strafsache gegen E.W.,
wegen Hausfriedensbruchs
hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung von Rechtsanwalt S., als Pflichtverteidiger und "außerordentlicher Rechtsbehelf" gegen die Entscheidung auf einen Befangenheitsantrag.
Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 28. Januar 1998 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 21. Januar 1998 und den "außerordentlichen Rechtsbehelf" des Angeklagten vom 16. Februar 1998 gegen den Beschluss der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 11. Februar 1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.03.1998 durch die Richterin am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der Beschluss des Vorsitzenden der XI. kleinen Strafkammer vom 21. Januar 1998 wird aufgehoben.
Dem Angeklagten ist für das Berufungsverfahren vor dem Landgericht Bielefeld ein Pflichtverteidiger beizuordnen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens über die Beiordnung eines Pflichtverteidigers und den insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten hat der Angeklagte 1/3 selbst zu tragen, im Übrigen fallen die Kosten und notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last.
Das als "außerordentlicher Rechtsbehelf" bezeichnete Rechtsmittel des Angeklagten gegen den Beschluss der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 11. Februar 1998 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unzulässig verworfen.
Gründe :
1. Durch den angefochtenen Beschluss des Vorsitzenden der XI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 21. Januar 1998 ist der Antrag des Angeklagten, ihm Rechtsanwalt S. aus Bielefeld als Pflichtverteidiger beizuordnen, zurückgewiesen worden, weil ein Fall notwendiger Verteidigung nicht gegeben sei. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 28. Januar 1998, mit der er weiter die Beiordnung von Rechtsanwalt S. aus Bielefeld verfolgt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Der Vorsitzende der XI. kleinen Strafkammer hat zwar keine Entscheidung über eine eventuelle Abhilfe getroffen. Auf diese grundsätzlich erforderliche Entscheidung (vgl. § 306 Abs. 2 StPO) konnte der Senat jedoch ausnahmsweise verzichten, weil der Angeklagte in seiner Beschwerde keine erheblichen neuen Umstände vorgebracht und der Vorsitzende sich in seinem angefochtenen Beschluss ausführlich mit den Voraussetzungen der Bestellung eines Pflichtverteidigers auseinandergesetzt hat. Die Einholung einer Entscheidung über die Abhilfe erschient daher in diesem Fall als entbehrlich.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg. Dem Angeklagten ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO ein Pflichtverteidiger beizuordnen.
Die Notwendigkeit einer derartigen Beiordnung ergibt sich allerdings nicht aus den Gründen des zugrundeliegenden Antrags des Angeklagten vom 20. Januar 1998 oder dem Vorbringen des Verteidigers in diesem Verfahren. Dem angefochtenen Beschluss ist ebenso wie der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vielmehr insoweit zuzustimmen, als die Sach- und Rechtslage unter Anlegung eines objektiven Maßstabes als einfach anzusehen ist. Auch der Umstand, dass vorliegend darüber zu entscheiden ist, ob die vom Amtsgericht verhängte Freiheitsstrafe von drei Monaten ohne Bewährung aufrechtzuerhalten ist oder nicht, und der Angeklagte zumindest im Falle der Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils mit dem Widerruf einer sechs-monatigen Freiheitsstrafe in einem anderen Verfahren rechnen muss, erfordert für sich genommen noch nicht die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Nach ganz überwiegender Meinung ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nämlich regelmäßig erst dann geboten, wenn aufgrund des Verfahrens mindestens eine einjährige Freiheitsstrafe zu erwarten ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Auflage, § 140 Rdnr. 23 m.w.N).
Vorliegend ist jedoch weiter zu berücksichtigen, inwieweit der Angeklagte nach dem Zustand seiner Persönlichkeit, wie er sich aus den zahlreichen und einschlägigen rechtskräftigen Vorverurteilungen zeigt, zu einer sachgerechten Verteidigung selbst in der Lage ist (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ 1991, 505; OLG Frankfurt, StV 1995, 628, 629). Angesichts der insgesamt als nicht unerheblich anzusehenden Rechtsfolgen, die sich aufgrund der Tat dieses Verfahrens für den Angeklagten ergeben können, führt letztlich dieser Gesichtspunkt zur Notwendigkeit einer Beiordnung. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob sich der Angeklagte unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Folgen selbst sachgerecht verteidigen kann.
Allerdings kommt eine Beiordnung von Rechtsanwalt S. wie vom Angeklagten beantragt, nicht in Betracht. Dabei kam es nicht darauf an, dass Rechtsanwalt S. nicht, wie erforderlich, für den Fall der Beiordnung das bestehende Wahlmandat niedergelegt hat, so dass einer Beiordnung § 141 Abs. 1 StPO schon dem Grunde nach entgegenstand. Ebenso mußte der Senat nicht klären, ob der Beiordnung von Rechtsanwalt S. als Pflichtverteidiger entgegenstehen könnte, dass dieser möglicherweise keine Gewähr für eine sachgerechte und ordnungsgemäße Verteidigung bieten könnte, wofür insbesondere sein Schriftsatz vom 26. August 1997 sprechen könnte. Die Beiordnung von Rechtsanwalt S. kam vielmehr deshalb nicht in Betracht, weil der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm durch Verfügung vom 11. Februar 1998 diesem die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen und zugleich die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet hat. Diese Verfügung ist Rechtsanwalt S. am 16. Februar 1998 zugestellt und bisher nicht aufgehoben worden, so dass sie Wirksamkeit entfaltet. Aus diesem Grunde kommt eine Beiordnung von Rechtsanwalt S. nicht in Betracht.
Da der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsmittel, mit dem er die Beiordnung von Rechtsanwalt Schrammen verfolgt, nur teilweise Erfolg hatte, erschien dem Senat die Aufteilung der Kosten und notwendigen Auslagen, wie aus der Beschlußformel ersichtlich, als angemessen, § 473 Abs. 4 StPO.
2. Soweit der Angeklagte mit seiner als "außerordentlicher Rechtsbehelf" bezeichneten Eingabe die Entscheidung der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 11. Februar 1998 angefochten hat, durch die das Ablehnungsgesuch des Angeklagten gegen den Vorsitzenden der XI. kleinen Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit als unbegründet verworfen worden ist, war dieses Rechtsmittel als unzulässig auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) zu verwerfen, da die angefochtene Entscheidung einen erkennenden Richter betrifft, die nur zusammen mit dem Urteil angefochten werden kann, § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO.
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