Aktenzeichen: 3 Ss OWi 150/98 OLG Hamm
Leitsatz: Zum Absehen von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot
Senat: 3
Gegenstand: OWi
Stichworte: Absehen vom Fahrverbot, Aufhebung, Geschwindigkeitsüberschreitung
Normen: StVO 3, StvG 25, BKatV 2
Beschluss: Bußgeldsache gegen H.D.,
wegen Zuwiderhandlung gegen § 41 StVO.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 1. Oktober 1997 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 10.03.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Betroffenen und seines Verteidigers beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.
Gründe:
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit nach §§ 24 Abs. 2 StVG, 41 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 S.4 StVO mit einer Geldbuße von 500,- DM belegt. Es hat mit näheren Darlegungen festgestellt, dass der Betroffene am 17. Februar 1997 um 19.22 Uhr mit seinem PKW in Löhne die außerorts gelegene Bundesautobahn A 30 in Fahrtrichtung Osnabrück befuhr und in Höhe des Kilometers 125,3 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um mindestens 33 km/h überschritt. Die Geschwindigkeitsbeschränkung war eingerichtet worden, weil sich im Bereich des Löhner Kreuzes in der Vergangenheit einige Unfälle angehäuft hatten. Die Geschwindigkeitsbegrenzung endete kurz nach dem "Löhner Kreuz". Anschließend kann auf der Autobahn für eine gewisse Strecke eine unbegrenzte Geschwindigkeit gefahren werden. Das Amtsgericht ist von der Einlassung des Betroffenen ausgegangen, dass zur Vorfallszeit wenig Verkehr geherrscht habe. Es hat das Messverfahren im einzelnen geschildert und festgestellt, dass der Betroffene bei genügender Aufmerksamkeit die durch Verkehrszeichen angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h ohne weiteres hätte erkennen und beachten können.
Im Rahmen des Rechtsfolgenausspruchs hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Regelbuße für die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaft 150,- DM beträgt. Es hat bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt, dass gegen den Betroffenen wegen einer am 7. Februar 1996 erfolgten Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 48 km/h am 15. Mai 1996 ein Bußgeldbescheid ergangen ist, mit dem dem Betroffenen eine Geldbuße von 200,- DM und ein einmonatiges Fahrverbot auferlegt worden ist. Dieser Bußgeldbescheid ist am 1. Oktober 1996 rechtskräftig geworden.
Von der Verhängung eines Fahrverbots nach § 2 Abs. 2 Bußgeldkatalogverordnung, deren formelle Voraussetzungen das Amtsgericht für gegeben erachtet hat, hat das Amtsgericht abgesehen und die Geldbuße stattdessen auf 500,- DM erhöht. Hierzu hat das Amtsgericht ausgeführt, die Geschwindigkeitsüberschreitung sei auf einer gut ausgebauten Autobahn erfolgt, wo erfahrungsgemäß oftmals die zulässige Höchstgeschwindigkeit erheblich überschritten werde. Es komme zu Geschwindigkeiten im Bereich des "Löhner Kreuzes" bis zu 140, 150 km/h. Die "Unfallhäufigkeit , die zur Einrichtung der Geschwindigkeitsbegrenzung in diesem Bereich geführt habe, sei nämlich nicht ohne weiteres erkennbar. Weiterhin hat das Amtsgericht in diesem Zusammenhang berücksichtigt, dass der Betroffene als Außendienstmonteur mit einer jährlichen Fahrleistung von 60 bis 80.000 km mit der Kündigung durch seinen Arbeitgeber rechnen müsse, wenn er für einen Monat seinen Führerschein abgeben müsse. Letztlich hat das Amtsgericht seine Entscheidung darauf gestützt, dass seiner Meinung nach in wenigen Monaten die Regelung des § 2 Abs. 2 BKatV wegfallen werde und Wiederholungstäter demnach nicht mehr mit einem Fahrverbot zu belegen seien. Dies hat das Amtsgericht Pressemitteilungen entnommen und ausgeführt, dass es gerechtfertigt sei, im Vorgriff auf die kommende Regelung bereits jetzt schon das Fahrverbot gegen Erhöhung der Geldbuße fortfallen zu lassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der unter näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten.
Die Rechtsbeschwerde hat - zumindest vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem zugrundeliegenden Feststellungen. Das Absehen vom Fahrverbot war rechtsfehlerhaft.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 17. Februar 1998 wie folgt Stellung genommen:
"Das Amtsgericht hat rechtsfehlerhaft von dem gegen den Betroffenen gem. § 2 Abs. 4 (gemeint ist: Abs. 2) BKatV zu verhängenden Regelfahrverbot von einem Monat abgesehen. Zwar hat der Tatrichter nicht verkannt, dass § 2 Abs. 2 BKatV grundsätzlich das Vorliegen einer beharrlichen Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert, so dass es in diesen Fällen regelmäßig der eindringlichen Warn- und Denkzettelfunktion des Fahrverbots bedarf (OLG Hamm NZV 1991, 121; VRS 88, 301, 302). Auch ist die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung eines Regeltatbestands der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung unterworfen (BGH NZV 1992, 286, 287). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das vom Rechtsbeschwerdegericht nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin überprüfbar ist; vielmehr ist der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 10.12.1996 3 Ss OWi 1405/96 - und 20.03.1997 - 3 Ss OWi 52/97).
Von der Verhängung eines Fahrverbots kann zwar nicht nur bei Verkehrsbegebenheiten mit denkbar geringer Gefährlichkeit und minimalem Handlungsunwert, sondern auch bei Vorliegen erheblicher Härten oder einer Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände abgesehen werden, wobei nicht jeder wirtschaftliche Nachteil eine solche Entscheidung rechtfertigt (BGHSt 38, 125 f; Senatsbeschluss vom 27.08.1996 - 3 Ss OWi 872/96 - und vom 10.12.1996 - 3 Ss OWi 1405/96 - m.w.N.).
Umstände der vorbezeichneten Art sind den Feststellungen des angefochtenen Urteils jedoch nicht zu entnehmen. Der Betroffene hat zwar unter Vorlage eines Schreibens seines Arbeitgebers vom 22.05.1997 darauf hingewiesen, dass im Falle der Verhängung eines Fahrverbots seine Kündigung nicht ausgeschlossen werden kann. Berufliche Nachteile sind als gewöhnliche Folge eines Fahrverbots indes hinzunehmen. Nicht jeder berufliche Nachteil rechtfertigt daher eine Ausnahme vom Fahrverbot. Dies gilt grundsätzlich auch für den drohenden Arbeitsplatzverlust, der schon deshalb nicht stets ein Absehen von der Anordnung des Fahrverbots zu rechtfertigen vermag, weil anderenfalls die Verhängung eines Fahrverbots gegen Berufskraftfahrer - auch gegen solche, die sich frühere Verurteilungen nicht zur Warnung haben dienen lassen - praktisch ausgeschlossen wäre (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 09.04.1991 - 1 Ss OWi 383/91 -; OLG Hamm, Beschluss vom 29.11.1996 - 2 Ss OWi 1314/96).
Das Amtsgericht hat es insoweit zu Unrecht unterlassen zu prüfen, ob für den Betroffenen nicht auch die Möglichkeit bestünde, die Folgen des Fahrverbots zumindest teilweise durch die Inanspruchnahme von Jahresurlaub abzumildern. Vielmehr hat es sich mit der Feststellung zufriedengegeben, die Anordnung eines Fahrverbots stelle für den Betroffenen eine berufliche Härte dar.
Andere erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände, die ein Absehen von der Verhängung des Fahrverbots rechtfertigen würden, sind ebenfalls den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Weder ist die fehlende Offenkundigkeit des "Löhner Kreuzes als Unfallschwerpunkt geeignet, ein Absehen von dem Fahrverbot zu tragen, zumal die Örtlichkeit dem Betroffenen durch seine regelmäßigen Fahrten bekannt war, noch stellt die durch den Betroffenen behauptete Verkehrssituation einen solchen Umstand dar. Hinzu kommt, dass die Ordnungswidrigkeit, welche zur Voreintragung des Betroffenen in das Verkehrszentralregister geführt hat, auf dem Autobahnzubringer in Löhne zur A 30 begangen worden ist, mithin die Örtlichkeit dem Betroffenen auch aus diesem Grunde bestens bekannt sein mußte. Die Feststellungen des Amtsgerichts zum Handlungsunrecht reichen damit aber nicht aus, einen nur minimalen Handlungsunwert und eine denkbar geringe Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes zu dokumentieren.
Schließlich ist auch die Gesamtschau der vom Tatrichter zugunsten des Betroffenen berücksichtigten Umstände nicht geeignet, eine Ausnahme von der Verhängung des Regelfahrverbots zu rechtfertigen (vgl. insoweit OLG Düsseldorf NZV 1995, 406 m.w.N.). Insbesondere trägt der Hinweis auf eine für die Zukunft etwa beabsichtigte Änderung der Rechtslage die getroffene Entscheidung nicht, da Grundlage eines Urteils nur geltendes Recht, nicht aber eine möglicherweise in Aussicht genommene Gesetzesänderung sein kann.
Unbeschadet der Frage, ob das Gericht sich angesichts der Verhängung einer Geldbuße in Abweichung von den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen hätte auseinandersetzen müssen (OLG Köln VRS 87, 40; Senatsbeschluss vom 17.09.1996 - 3 Ss OWi 1275/96 - m.w.N.), oder ob dieses mangels fehlender Anhaltspunkte für außergewöhnlich gute oder schlechte wirtschaftliche Verhältnisse nicht erforderlich war (Senatsbeschluss vom 30.01.1996 - 3 Ss OWi 1459/95 = NZV 1996, 246 -) ist das Urteil wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und der Bußgeldbemessung im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben (vgl. Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 79 Rdnr. 9), zumal eine eigene Entscheidung des Senats gem. § 79 Abs. 6 OWiG schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil weitere Feststellungen zur Frage der Anordnung des Fahrverbots zu treffen sind."
Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Erwägungen nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung. Nach alledem konnte das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.
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