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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss OWi 898/97 OLG Hamm

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: Angriff gegen tatrichterliche Feststellung, Baumsatzung Bielefeld, Tat, Tatbegriff

Normen: StPO 264


Beschluss: Bußgeldsache gegen den Architekten R.N.,
wegen Verstoßes gegen die Satzung zum Schutz des Baumbestandes in der Stadt Bielefeld.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 10. April 1997 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 11.03.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Bielefeld gegen den Betroffenen wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen "§§ 4 III b), 12, 2, 3, 4" Baumschutzsatzung der Stadt Bielefeld, 8 OWiG eine Geldbuße in Höhe von 1.000,- DM festgesetzt. Es hat im wesentlichen folgendes festgestellt:

Der jetzt 47 Jahre alte Betroffene war bis Dezember 1994 Geschäftsführer der Firma ASK Bau, Planungs-Beratungs-GmbH in Bielefeld. Im Dezember 1994 ist er dort ausgeschieden; seitdem ist er als selbständiger Architekt tätig und verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.600,-- DM. Aus der früheren Geschäftstätigkeit hat er noch Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 50.000,-- DM, auf die er monatlich 300,-- bis 500,-- DM abzahlt.

Die Firma ASK war im Jahre 1993 mit den Bauarbeiten zur Errichtung eines Wohngebäudes auf dem Grundstück Am Schiffberge 12 b in Bielefeld befaßt. Im Zuge der Arbeiten wurde der anfallende Bodenaushub durch die Firma Rogge Tiefbau GmbH, Gütersloh, seitlich auf dem Grundstück dergestalt abgelagert, dass der Boden im Wurzelbereich der an der Grundstücksgrenze stehenden Bäume verdichtet wurde. Der vorübergehende Luftabschluß und die eingeschränkte Wasser- und Nährstoffaufnahme über die Wurzeln führte zu einer Schädigung der Bäume. Das bewirkte zunächst einen Wurzelverlust im Bereich der Haftwurzeln. Bis März 1995 starben sodann zwei Bäume ab, die entfernt werden mußten (1 Ahorn und 1 Eberesche). Die Bäume wiesen einen Stammumfang in 1 m Höhe von mehr als 80 cm auf.

Am 21. Februar 1994 wurde der Betroffene durch den zuständigen Sachbearbeiter des Bauordnungsamtes der Stadt Bielefeld telefonisch aufgefordert, die Bodenablagerungen zu entfernen. Am 13. April 1994 fand eine Ortsbesichtigung statt, in deren Verlauf der Betroffene zusicherte, die Bodenaufschüttung im Kronentraufenbereich der Bäume bis zum 20. April 1994 zu beseitigen. Schließlich wurde der Betroffene mit Schreiben des Garten, Forst- und Friedhofamtes der Stadt Bielefeld vom 19. April 1994 schriftlich zu den Beschädigungen der Bäume und einem sich daraus möglicherweise ergebenden Verstoß gegen die Baumschutzsatzung der Stadt Bielefeld angehört. Bis Ende Mai 1994 war jedoch erst ein Teil der Bodenaufschüttung beseitigt.

Mit Bußgeldbescheid der Stadt Bielefeld vom 9. März 1995 wurde gegen den Betroffenen wegen Verstoßes gegen §§ 3, 4 Abs. 1, Abs. 3, 12 Abs. 1 a, Abs. 2 der Satzung zum Schutz des Baumbestandes in der Stadt Bielefeld (Baumschutzsatzung) vom 19. September 1994 in Verbindung mit § 71 Abs. 1 Landschaftsgesetz Nordrhein-Westfalen eine Geldbuße in Höhe von 4.000,-- DM festgesetzt.

Das Amtsgericht hat die Einlassung des Betroffenen, er habe lediglich angeordnet, dass der Bodenaushub seitlich auf dem Grundstück habe abgelagert und der Wurzelbereich der Bäume nicht habe in Anspruch genommen werden sollen, die mit der Ablagerung beauftragte Firma Rogge Tiefbau GmbH habe seine - des Betroffenen - Anweisung fehlerhaft ausgeführt und im Übrigen sei er auch deshalb nicht verantwortlich, da er den Diplom-Ingenieur Fabi als örtlichen Bauleiter eingesetzt habe, nicht mit letzter Sicherheit widerlegen können. Zeugen hat das Amtsgericht insoweit ersichtlich nicht vernommen. Das Amtsgericht, das zur Frage der Verantwortlichkeit des Betroffenen und der Art und Weise der Bodenablagerungen verschiedene Schreiben angesprochen hat, ohne sie inhaltlich mitzuteilen und als Beweismittel einzufahren, hat mit Rücksicht auf die verbleibenden Zweifel hinsichtlich einer aktiven Täterschaft des Betroffenen diesen deshalb der Tat für schuldig befunden, weil er nach Kenntniserlangung von der ordnungswidrigen Art und Weise der Bodenablagerung am 21. Februar 1994 nichts Ausreichendes unternommen hat, die Bodenaufschüttungen, die zu einer Beeinträchtigung der geschützten Bäume geführt haben, zu beseitigen. Insoweit hat das Amtsgericht außer auf das Telefonat vom 21. Februar 1994 auf den Ortstermin vom 13. April mit Fristsetzung zur Beseitigung bis zum 20. April 1994 und auf das Anhörungsschreiben vom 19. April 1994 abgestellt. Es hat ausgeführt, dass der Betroffene als Geschäftsführer der bauausführenden Firma verpflichtet gewesen sei, für die Einhaltung der maßgeblichen öffentlichrechtlichen Vorschriften zu sorgen und die dazu erforderlichen personellen und organisatorischen Anweisungen zu erteilen. Soweit der Betroffene sich dahin eingelassen habe, einem Bauleiter entsprechende Anweisungen erteilt zu haben, könne er sich darauf nicht berufen. Ihm habe es oblegen, die weitere Aufsicht über die Durchführung der Arbeiten auszuüben und die Befolgung seiner Anweisungen zu überwachen. Das Amtsgericht ist von fahrlässiger Begehungsweise durch Unterlassen ausgegangen. Es hat in Verkennung des Umstandes, dass vor Inkrafttreten der Baumschutzsatzung für die Stadt Bielefeld vom 19. September 1994 die Baumschutzsatzung für die Stadt Bielefeld vom 3. April 1987 galt, die hinsichtlich der vorliegend in Rede stehenden Vorschriften gleichlautend ist, dem Betroffenen ein ordnungswidriges Verhalten lediglich für die Zeit vom Inkrafttreten der Neufassung der Baumschutzsatzung vom 19. September 1994 bis zum Ausscheiden des Betroffenen aus der GmbH im Dezember 1994 zur Last gelegt - dies, obwohl das Amtsgericht in der Hauptverhandlung einen Gerichtsbeschluss verkündet hatte, wonach die Baumschutzsatzung gerichtsbekannt sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung formellen und materiellen Rechts mit näheren Ausführungen gerügt wird.

Die Rechtsbeschwerde hat - zumindest vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.

Zu Unrecht rügt die Verteidigung, dass die Feststellungen zum Schuldspruch in sich lückenhaft und widersprüchlich seien. dass die Grundstücksverhältnisse anders gewesen seien als vom Amtsgericht festgestellt, kann mit der Rechtsbeschwerde angesichts der eindeutigen tatrichterlichen Feststellungen nicht mit Erfolg angegriffen werden. Ebenso verhält es sich zu dem vom Amtsgericht festgestellten Teilgeständnis des Betroffenen.

Es bedeutet keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen, dass das Amtsgericht anstelle einer Tatbestandsverwirklichung durch aktives Tun ein pflichtwidriges Unterlassen des Betroffenen angenommen hat. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist insoweit Tatidentität i.S.v. § 264 StPO zu bejahen. Unter Tat i.S.d. § 264 StPO ist der geschichtliche und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte Vorgang zu verstehen, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluß (im Bußgeldverfahren der Bußgeldbescheid) hinweisen. Nicht nur die einzelne im Eröffnungsbeschluß/Bußgeldbescheid hervorgehobene Betätigung, sondern das gesamte Tun eines Angeklagten/Betroffenen ist zu berücksichtigen, soweit es mit dem durch den Eröffnungsbeschluß (Bußgeldbescheid) bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang bildet (vgl. hierzu BGH, NStZ 1984/469 f; BGHSt 23/141, 145; BVerfGE 56/22, 28 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Das bußgeldbewehrte Aufschütten von Bodenaushub i.S.d. § 4 Abs. 3 Ziffer b der Baumschutzsatzung für die Stadt Bielefeld vom 3. April 1987 und 19. September 1994 und deren Nichtbeseitigung oder Veranlassung der Nichtbeseitigung durch den Betroffenen bilden denselben geschichtlichen Vorgang, dieselbe Tat i.S.d. § 264 StPO (vgl. hierzu BGH, StV 1984, S. 367 für den Fall des Betruges: Tatbestandsmerkmal der Vorspiegelung falscher Tatsachen statt durch positives Tun durch pflichtwidriges Unterlassen; BGH, NStZ 1984/469 f; OLG Celle, NJW 1961, 1080 f, BGH, NStZ 1993/50 f). Dass das im Bußgeldbescheid angenommene vom Betroffenen zu verantwortende Ablagern zeitlich vor dem erst nach Kenntniserlangung seitens des Betroffenen von der Ablagerung vorwerfbaren Unterlassen der Beseitigung liegt, ist unschädlich. Sachlich Zusammengehöriges kann in erheblichem zeitlichen Abstand sich abspielen (BGH, NStZ 1984/469). Der sachliche Zusammenhang wird auch dadurch deutlich, dass das Amtsgericht lediglich aus Gründen nicht ausreichenden Nachweises denselben Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt des pflichtwidrigen Unterlassens geprüft hat.
Allerdings hätte es eines Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO in der Hauptverhandlung bedurft. Dies ist indessen von der Verteidigung erst im Schriftsatz vom 11. Dezember 1997 und somit nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist gerügt worden.
Gegen die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene sei als Geschäftsführer der ASK-GmbH für die Beseitigung/Veranlassung der Beseitigung des Bodenaushubs verantwortlich gewesen, bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die Stellung des Betroffenen als Geschäftsführer der GmbH begründet seine Garantenstellung für das unechte Unterlassungsdelikt.

Gleichwohl kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Feststellungen zum Schuldumfang erweisen sich als lückenhaft. Das Amtsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, in welchem Umfang die Bodenaufschüttung bis Ende Mai 1994 beseitigt war. Die in zulässiger Weise in Bezug genommenen Fotos Bl. 30 ff. d.A. geben ersichtlich den Zustand wieder, der zum Zeitpunkt der Ortsbesichtigung am 19. April 1994 bestanden hat.
Für die Folgezeit heißt es im angefochtenen Urteil: "Bis Ende Mai 1994 war jedoch erst ein Teil der Bodenaufschüttung beseitigt. Das Amtsgericht hat dem Betroffenen rechtsirrtümlich lediglich als Tat- bzw. Unterlassungszeitraum die Zeitspanne zwischen dem Inkrafttreten der Baumschutzsatzung vom 19. September 1994 und dem Ausscheiden aus der GmbH zur Last gelegt. Daher war folgerichtig für die Bemessung der Geldbuße entscheidend, welchen Umfang die Bodenablagerungen im Bereich der Bäume auf dem näher bezeichneten Grundstück während dieser Zeitspanne hatten. ohne derartige Feststellungen ist keine ausreichende Basis für die Bußgeldzumessung gegeben.

Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bielefeld zurückzuverweisen.

Für die erneute Hauptverhandlung wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass vor Inkrafttreten der Baumschutzsatzung vom 19. September 1994 die Baumschutzsatzung vom 3. April 1987 galt und dass sich bei der Prüfung, ob ein bußgeldbewehrtes Verhalten durch positives Tun des Betroffenen vorlag, die Einvernahme der im angefochtenen Urteil benannten Personen als Zeugen empfehlen dürfte.


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