Aktenzeichen: 3 Ws 40, 41/96
Leitsatz: Nach der Abgabe der Vollstreckung einer nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogenen Jugendstrafe an die Staatsanwaltschaft gem. § 85 Abs. 6 JGG hat die Strafvollstreckungskammer die Prüfung, ob die Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung in Betracht kommt, nicht nach § 57 StGB sondern weiterhin nach Maßgabe des § 88 JGG vorzunehmen (gegen OLG Düsseldorf, JMBI. NW 1995, 258).
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: bedingte Entlassung, Erstverbüßer, Jugendstrafe, Vollzug im Erwachsenenvollzug, anzuwendendes Recht
Normen: StGB 57 StGB, JGG 85 Abs. 6 JGG, JGG 88 JGG
Fundstelle: StV 1996, 277
Beschluss: Beschluss des OLG Hamm vom 02.02.1996
Sachverhalt:
Der Verurteilte wendet sich mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung einer Restjugendstrafe aus dem Urt. des AG M. v. 10.01.1992 und einer Restfreiheitsstrafe aus dem Urt. des AG M. v. 06.06.1994 nach Verbüßung von jeweils der Hälfte der erkannten Strafen. Dabei war zunächst die Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urt. v. 06.6.1994 und sodann im Wege der Anschlußvollstreckung die der Jugendstrafe aus dem Urt. v. 10.01.1992 im Erwachsenenvollzug erfolgt. Das Rechtsmittel blieb im Ergebnis wegen der ungünstigen Sozialprognose erfolglos.
Aus den Gründen:
Ill. Dagegen scheitert die Aussetzung der Strafreste entgegen offenbar der Ansicht der GStA im vorliegenden Fall nicht bereits daran, dass der Verurteilte nur hinsichtlich der in der Reihenfolge der Vollstreckung an erster Stelle stehenden Freiheitsstrafe aus dem Urteil des AG M. v. 06.06.1994 als Erstverbüßer i. S. v. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB anzusehen ist mit der Folge, dass die Aussetzung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des AG M. v. 10.01.1992 nach Verbüßung der Hälfte dieser Strafe nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 Ziff. 2 StGB - Vorliegen besonderer Umstände - zulässig wäre. Zwar hält der Senat an der Rspr. des erkennenden OLG fest, wonach bei mehreren nacheinander zu vollstreckenden Freiheitsstrafen, aus denen eine Gesamtstrafe nicht gebildet werden kann, ein Verurteilter, der sich erstmals im Strafvollzug befindet, nur hinsichtlich der in der Reihenfolge der Vollstreckung an erster Stelle stehende Freiheitsstrafe als öErstverbüßer i.S.v. § 57Abs. 2 Nr. 1 StGB anzusehen ist (OLG Hamm, MDR 1987,512). Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass sich die Aussetzung der Restjugendstrafe aus dem Urteil des AG M. v. 10.01.1992 nicht nach § 57 StGB, sondern nach § 88 Abs. 1, Abs. 2 JGG richtet und damit nach einer Bestimmung, die die Aussetzung der Restjugendstrafe allein vom Vorliegen einer günstigen Sozialprognose nach Verbüßung von mindestens sechs Monaten bzw. einem Drittel der Jugendstrafe, nicht aber darüber hinaus von dem Vorliegen besonderer Umstände i.S.v. § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB abhängig macht.
Entgegen der Ansicht des OLG Düsseldorf (JMBI. NW 1995, 258) hat die mit der Abgabe der Vollstreckung einer nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogenen Jugendstrafe an die StA zuständig gewordene STVK die Prüfung, ob die Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung in Betracht kommt, nicht nach § 57 StGB, sondern weiterhin nach § 88 JGG vorzunehmen. Dies entspricht sowohl der st. Rspr. des 2. Strafsenats des OLG Hamm (vgl. Beschl. v. 28.10.1992 - 2 Ws 238, 239/92 und v. 06.01.1995 - 2 Ws 469/94) als auch der im Übrigen einhelligen Kommentar- und Literaturmeinung (Kühn NStZ 1992, 526; Bauer, Rpfl 1992, 145, Hamann, Rpfl 1992, 147 gegen Hamann, Rpfl 1991, 406; Ostendorf, JGG, 3. A., § 88 Rdnr. 1; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 2. A., § 88 Rdnr. 1; Eisenberg, JGG, 6. A., § 85 Rdnr. 17; unklar insoweit Dreher/Tröndle, StGB, 47. A., § 57 Rdnr. 2).
Die gegenteilige Ansicht des OLG Düsseldorf führt zwar zu einer Verfahrensvereinfachung, da die StVK dann in sämtlichen Aussetzungsverfahren, mit denen sie befaßt ist, nach einheitlichen Grundsätzen, nämlich nach den Grundsätzen des § 57 StGB, entscheiden könnte. Sie findet aber weder im Wortlaut des § 85 Abs. 6 JGG noch in der Begründung der Bundesregierung für den öEntwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des JGG (1. JGGÄndG in BT-Drucks. 11/5829) eine Stütze und steht in Widerspruch zu der Rechtskraft des auf Jugendstrafe lautenden Erkenntnisses, die eine nachträgliche Veränderung der rechtskräftig gegen den Verurteilten erkannten Rechtsfolgen zu seinem Nachteil nicht zuläßt. § 85 Abs. 6 S. 2 JGG erklärt für den Fall der Abgabe der Vollstreckung einer nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogenen Jugendstrafe an die nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Vollstreckungsbehörde gem. § 85 Abs. 6 S. 1 JGG ausdrücklich allein die Vorschriften der StPO und des GVG über die Strafvollstreckung für anwendbar. Ein Verweis auf die Anwendbarkeit auch der materiellrechtlichen Vorschriften etwa über die Aussetzung von Reststrafen erfolgt hingegen gerade nicht. Auch in der amtlichen Begründung der Bundesregierung zum 1. JGGÄndG, insbesondere zu Art. 1 Nr. 33 bis 38 (§§ 85 bis 89 a JGG), findet sich kein Hinweis darauf, dass unter den Voraussetzungen des § 85 Abs. 6 JGG statt der Bestimmungen des § 88 JGG nunmehr die des § 57 StGB auf die Aussetzung einer Restjugendstrafe, die im Erwachsenenvollzug vollstreckt wird, anzuwenden sein sollen, obwohl die amtliche Begründung (vgl. Drucks. 11/5829, S. 37 zu Art. 1 Nn 38 - _89 a JGG -) die deutlich frühere Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Jugendstrafe gem. §§ 88, 89 JGG gegenüber den §§ 56, 57 StGB betont. Gerade angesichts dieses vom Gesetzgeber deutlich hervorgehobenen Unterschiedes, zwischen den materiellrechtlichen Bestimmungen über die Aussetzung von Reststrafen nach dem StGB einerseits und dem JGG andererseits wären aber besondere Ausführungen in der Begründung des 1. JGGÄndG zu erwarten gewesen, hätte der Gesetzgeber über die Verweisung in § 85 Abs. 6 S. 2 JGG auch die materiell-rechtlichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches betreffend die Aussetzung von Strafresten für anwendbar erklären wollen. Dafür, dass dies tatsächlich nicht der Wille des Gesetzgebers war, spricht neben der gerade genannten Erwägung zudem, dass die Begründung zum 1. JGGÄndG an anderer Stelle die Geltung der allgemeinen Vorschriften gem. § 85 Abs. 6 JGG ausdrücklich nur mit einer öeinheitlichen Zuständigkeit für Unterbrechung und Aussetzung gleichsetzt (Drucks. 11/5829, S. 37). Schließlich sehen auch die Richtlinien zu §§ 82 - 85 JGG ausdrücklich (Ziff . VI. 2 der Richtlinien) vor, dass die StVK die Prüfung der Aussetzung des Restes der Jugendstrafe im Fall des § 85 Abs. 6 JGG nach § 88 Abs. 1 - 3 JGG vorzunehmen hat.
Demgegenüber verfängt der Hinweis des OLG Düsseldorf auf die in der amtlichen Begründung ebenfalls hervorgehobene Erwägung, dass als Altersgrenze für die Abgabe der Vollstreckung die Vollendung des 24. Lebensjahres bestimmt sei, öweil bis zu diesem Alter die Beachtung der besonderen entwicklungsbedingten Aspekte bei dem betroffenen jungen Menschen durch den Jugendrichter notwendig erscheint , nicht. Diese Erwägung zielt nämlich erkennbar auf die besondere Rolle des Jugendrichters, dem nach dem JGG in besonderem Maße Erziehungsaufgaben zukommen, für deren Wahrnehmung er im besonderen Maße qualifiziert sein soll, § 37 JGG. Diese besondere Qualifikation weisen die Mitglieder der STVK in der Regel nicht auf. Nur deshalb bedurfte es des Hinweises des Gesetzgebers darauf, dass bei Straftätern, die das 24. Lebensjahr vollendet haben, die Beachtung der besonderen entwicklungsbedingten Aspekte, für die der Jugendrichter in besonderem Maße qualifiziert ist, nicht mehr erforderlich erscheint. Auch hier handelt es sich mithin um eine Erwägung, die auf die veränderte Zuständigkeit gem. § 85 Abs. 6 JGG zielt, nicht aber auf die materiell-rechtliche Grundlage der Strafaussetzung.
Endlich - und dies ist die letztlich entscheidende Erwägung - lässt sich die Anwendung von § 57 StGB auf die Aussetzung des Restes im Erwachsenenvollzug verbüßter Jugendstrafen nach Abgabe der Vollstreckung gem. § 85 Abs. 6 JGG nicht mit der Rechtskraft des der Vollstreckung der Jugendstrafe zugrundeliegenden Strafurteils in Einklang bringen. Die materielle Rechtskraft des die Jugendstrafe verhängenden Strafurteils beinhaltet, dass die Rechtsfolgenentscheidung dieses Urteils unabänderlich und gleichzeitig gem. §§ 2 JGG, 449 StPO Grundlage für die Strafvollstreckung wird. Die Anwendung von § 57 StGB auf die Aussetzung des Restes der Jugendstrafe würde aber zu einer unzulässigen Veränderung der Rechtsfolgenentscheidung des die Jugendstrafe verhän- (279) -genden Strafurteils zum Nachteil des Verurteilten führen. Insoweit hat der BGH (BGHSt 29, 269) bereits zum Verbot der Schlechterstellung entschieden, dass es gegen dieses Verbot verstoße, wenn anstelle einer im ersten Urteil verhängten Jugendstrafe in dem nach Aufhebung und Zurückverweisung ergangenen zweiten Urteil auf eine gleich hohe Freiheitsstrafe erkannt wird. Dies hat der BGH im wesentlichen damit begründet, dass das Gesetz den zu einer Jugendstrafe Verurteilten hinsichtlich der Aussetzung einer Reststrafe zur Bewährung ungleich besser stellt als den zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten (BGH, a.a.O., 272). Der BGH hat in diesem Zusammenhang betont, dass es nicht darauf ankommen könne, dass die mit der Verhängung einer gleich hohen Freiheitsstrafe verbundene Verschlechterung gegenüber der Verhängung der Jugendstrafe nicht den Rechtsfolgenausspruch nach Art und Höhe selbst sondern die Kraft Gesetzes eintretenden Rechtsfolgen bzw. dem Vollstreckungsverfahren vorbehaltene Anordnungen betreffe (BGH, a.a.O., 273). Für die Frage, welches Gewicht nachteilige Rechtsfolgen für einen Angekl. hätten und ob sie geeignet seien, ihn von der Einlegung eines Rechtsmittels abzuhalten, sei es nämlich unerheblich, ob sie vom Gericht im Urteil unmittelbar verhängt würden oder sich als Folge diese Urteils kraft Gesetzes einstellten (ebda).
Diese Erwägungen verbieten die Anwendung des § 57 StGB bei der Entscheidung über die Aussetzung von Restjugendstrafen im Verfahren nach § 85 Abs. 6 JGG. Die mit der Anwendung des § 57 StGB verbundene Schlechterstellung des Verurteilten würde in ihren Auswirkungen genau derselben entsprechen, die ihn im Falle der Verhängung einer gleich hohen Freiheitsstrafe statt der im ersten Urteil verhängten Jugendstrafe getroffen hätte. Die bereits vor Rechtskraft des Strafurteils nach dem Verschlechterungsverbot unzulässige Schlechterstellung ist nach Rechtskraft des Strafurteils aber erst recht untersagt, zumal nach der Rspr. des BGH das Schlechterstellungsverbot eine einseitige, nur zu Gunsten des Angekl. wirksame Rechtskraft begründet, die von den für die Rechtskraft überhaupt maßgebenden Grundsätzen beherrscht wird (BGHSt 11, 319, 322; NJW 1979, 936; GA 1970, 84). Darüber hinaus wäre eine nachträgliche Verschlechterung der Rechtsfolgen des rechtskräftig gegen den Verurteilten ergangenen Erkenntnisses auch mit Art. 5 Abs. 1 Satz 2 lit. a EMRK unvereinbar, dem der rechtsstaatliche Grundsatz zu entnehmen ist, dass eine Freiheitsentziehung, die nach dieser Bestimmung nur aufgrund einer Verurteilung durch ein zuständiges Gericht zulässig ist, damit auch nur nach Maßgabe der dort verhängten Rechtsfolgen erfolgen darf. Über die Anwendung des § 57 StGB würde die gegen den Verurteilten allein verhängte Jugendstrafe aber nachträglich de fakto in eine Freiheitsstrafe umgewandelt (ebenso Kühn, NStZ, 1992, 527 u. dort Rdnr. 4).
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