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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 242/98 OLG Hamm

Leitsatz: Ab Blutalkoholkonzentrationswerten von 2,o/oo ist in den Urteilsgründen die Frage der verminderten Schuldfähigkeit stets zu erörtern. Will das Gericht hingegen - auch schon bei einer an der Grenze zu dem Wert von 2,o/oo liegenden Blutalkoholkonzentration - volle Schuldfähigkeit annehmen, bedarf es einer eingehenden Würdigung des Gesamtverhaltens des Angeklagten.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Gericht: OLG Hamm

Stichworte: § 21 StGB, Tatzeitblutalkohol, verminderte Schuldfähigkeit

Normen: StGB 21

Beschluss: Strafsache gegen A.H.,
wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.

Auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 24.06.1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.05.1998 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht auf Antrag (nach Anhörung) der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß §§ 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:
I. Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nach den zugrundeliegenden Feststellungen war der Angeklagte am 16.12.1996 zwischen 22.30 Uhr und 23.15 Uhr nach einem Streit mit mehreren Mitbewohnern seines Wohnhauses auf die von den Mitbewohnern hinzugerufenen Polizeibeamten S. und B. mit einem am nach oben gestreckten Arm gegen die Beamten gerichteten Küchenmesser zugegangen, als die Beamten zum Schutze der Mitbewohner gegen ihn einschreiten wollten. Nachdem er sich weniger als 3 - 4 Meter von den Polizeibeamten entfernt befand und auf ihre Aufforderung, stehen zu bleiben und das Messer abzulegen, nicht reagierte, obwohl er die Aufforderung verstanden und die Zeugen als Polizeibeamten erkannt hatte, mußte er von dem Zeugen Barella durch einen Tritt in den Bauch überwältigt werden.

Nach den Urteilsfeststellungen ergab eine dem Angeklagten um 23.15 Uhr entnommene Blutprobe eine Blutalkoholkonzentration von 1,69 o/oo. Mit der Frage einer alkoholbedingten Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten setzt sich das angefochtene Urteil, das einen besonders schweren Fall i.S.v. § 113 Abs. 2 StGB bei der Strafzumessung zugrundelegt, nicht auseinander.

Der Angeklagte rügt mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Revision die Verletzung materiellen Rechts. Er beanstandet insbesondere die fehlende Erörterung und Anwendung des § 21 StGB.

II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs des angefochtenen Urteils auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsqerichts Essen.

Allerdings lässt der Schuldspruch des angefochtenen Urteils, der von der Revision auch nicht ausdrücklich angegriffen wird, Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. Insoweit erweist sich die Revision als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift folgendes ausgeführt:

"Die Revision rügt zutreffend, dass das Amtsgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht erörtert hat. Die Urteilsgründe weisen aus, dass der Angeklagte am 16.12.1996 gegen 22.30 Uhr in einen Streit mit Mitbewohnern verwickelt war, der kurze Zeit später zu einem Einsatz der Polizeibeamten führte. Dem Angeklagten wurde um 23.15 Uhr eine Blutprobe entnommen, die ausweislich des Alkoholuntersuchungsbefundes vom 17.12.1996 - für den Zeitpunkt der Entnahme - eine Blutalkoholkonzentration von 1,69 o/oo auswies. Ein Hinweis auf die Feststellungen der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Bei der Strafzumessung stellt das Amtsgericht strafmildernd zugunsten des Angeklagten eine Enthemmung durch den Streit mit den Mitbewohnern sowie den genossenen Alkohol fest. Angesichts dieser Feststellungen bestand für das Amtsgericht Anlass, die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit gem. § 21 StGB zu erörtern und die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit durch Rückrechnung - ggf. nach sachverständiger Beratung - festzustellen. Unter Zugrundelegung der nach der Rechtsprechung anerkannten Rückrechnungsregeln (zu vgl. Tröndle, aaO, § 20 Rdnr. 9 f m.w.N.) ist zur Prüfung der Schuldfähigkeit des Täters von einem maximalen Abbauwert auszugehen, der sich aus einem stündlichen Abbauwert von 0,2 o/oo und einem (einmaligen) Sicherheitszuschlag von 0,2 o/oo ergibt. Diese Rückrechnungsregel gilt auch, wenn zwischen der Blutentnahme und der Tatzeit nur ein kurzer Zeitraum liegt (BayObLG BA 1989, 288). Es erscheint daher auch angesichts eines Zeitraumes von 45 Minuten zwischen der Tatzeit und der Blutentnahme nicht ausgeschlossen, dass die Rückrechnung eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2 o/oo ergibt.

Ab Blutalkoholkonzentrationswerten von 2,o/oo ist aber in den Urteilsgründen die Frage der verminderten Schuldfähigkeit stets zu erörtern (BGH NStZ 1997, 383; BGHSt 37, 231 ff; BayObLG BA 1989, 288; OLG Hamm, Urteil vom 25.04.1978 - 5 Ss 97/78 -; Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 20 Rdnr. 9 b m.w.N.). Will das Gericht - auch schon bei einer an der Grenze zu dem Wert von 2,o/oo liegenden Blutalkoholkonzentration - volle Schuldfähigkeit annehmen, bedarf es eingehender Würdigung des Gesamtverhaltens des Angeklagten (BGH StV 1989, 14). Die Notwendigkeit dieser Prüfung kann nur bei dem Vorliegen ganz besonderer Ausnahmeumstände entfallen (BayObLG aaO; OLG Hamm VRS 59, 415). Die Höhe der festgestellten Blutalkoholkonzentration hat auch bei Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage alkoholbedingter Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit (zu vgl. BGH NJW 1997, 2460, danach kann nicht mehr als gesicherter Erfahrungswert angesehen werden, dass ab einem bestimmten Grenzwert des Blutalkoholwertes die Steuerungsfähigkeit in aller Regel erheblich gemildert ist) nach wie vor insofern Bedeutung, als sie Aufschluß über die Stärke der alkoholisierten Beeinflussung gibt und in diesem Sinne ein zwar nicht allgemein gültiges, aber immerhin gewichtiges Beweisanzeichen neben anderen ist (zu vgl. BGH NStZ 1997, 592).

Unabhängig von der Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit hätte das Gericht auch prüfen und in den Urteilsfeststellungen ausfahren müssen, ob die angenommenen erheblichen Strafmilderungsgründe die Regelwirkung des § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB entkräften mit der Folge, dass der erhöhte Strafrahmen mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten unangemessen ist.

Zwar nötigen diese sachlich-rechtlichen Mängel nicht grundsätzlich zur Aufhebung des Urteils, wenn bei der konkret gefundenen Strafe ausgeschlossen ist, dass das Urteil auf den Mängeln beruht (§ 337 Abs. 1 StPO). Bei der Beurteilung dieser Frage ist auch zu prüfen, ob der Tatrichter ohne die Gesetzesverletzung ebenso oder möglicherweise anders entschieden hätte (zu vgl. HansOLG Bremen MDR 1960, 698), wobei dies auch in bezug auf das gefundene Strafmaß gilt. Vorliegend kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gericht - wenn es die Voraussetzungen des § 21 StGB bejaht hätte - von der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit dieser Vorschrift i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht hätte und zu einer geringeren Strafe gekommen wäre. Auch ist nicht auszuschließen, dass selbst bei Nichtannahme der Voraussetzungen des § 21 StGB die angeführten Strafmilderungsgründe dazu geführt hätten, einen besonders schweren Fall im Sinne des § 113 Abs. 2 StGB nicht anzunehmen."

Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat aufgrund eigener Prüfung bei und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.


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