Aktenzeichen: 3 Ss 256/98 OLG Hamm
Leitsatz: Eine Blutalkoholkonzentration unter 2,0 o/oo begründet für sich genommen keine Notwendigkeit, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht zu ziehen. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn weitere Auffälligkeiten hinzutreten, die auf eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit hindeuten.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: § 21 StGB, BAK unter 2,0 o/oo, Besonderheiten, unzureichender Ausschluß der verminderten Schuldfähigkeit, Blutalkohol, Blutalkoholkonzentration, Teilaufhebung
Normen: StGB 21
Beschluss: Strafsache gegen D.P.,wegen gefährlicher Körperverletzung.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VIII. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 10.09.1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.04.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der weitergehenden Revision im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 14.06.1997 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte (wegen gefährlicher Körperverletzung) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wird.
Nach den zugrundeliegenden Feststellungen hatte der zur Tatzeit alkoholisierte Angeklagte, für den die Berufungskammer eine Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von 1,9 o/oo errechnet hat, am 29.09.1996 gegen 01.30 Uhr im Zuge einer Wirtshausstreitigkeit den Nebenkläger und Zeugen S. angegriffen, nachdem dieser ihn zuvor möglicherweise erheblich beleidigt und provoziert hatte. Zum eigentlichen Kerngeschehen der Tat enthält das angefochtene Urteil folgende Feststellungen:
"Der Angeklagte geriet in Wut. Er griff - als Linkshänder - sein teilweise gefülltes Bierglas mit der linken Hand und stieß es S. von oben herab ins Gesicht. Dabei zersplitterte das Glas. S. stürzte nach hinten vom Stuhl und fiel auf den Boden. Der Angeklagte trat zweimal gegen Körper oder Kopf des auf dem Boden liegenden Nebenklägers."
Nach den weiteren Urteilsfeststellungen ließ der Angeklagte von dem Nebenkläger ab, weil ein Zeuge zum Schutz des Nebenklägers einschritt und dem Angeklagten möglicherweise mit einer Billardkugel gegen den Hinterkopf schlug. Durch die Körperverletzung wurde das linke Auge des Nebenklägers erheblich verletzt. Auf diesem Auge besteht nur noch eine Sehkraft von 30 %. Der Nebenkläger wurde vom 29.09.1996 bis zum 21.10.1996 stationär behandelt. Am 29.09.1996, am 04.10.1996 und am 11.10.1996 wurde er operiert. Auch der Angeklagte wurde wegen der durch die Billardkugel erlittenen Kopfverletzung am 29.09.1996 stationär im Krankenhaus behandelt.
Die Berufungskammer hat weiter festgestellt, dass der Angeklagte alkoholungewohnt war und dass sich Anlass und genauer Verlauf des Streites mit dem Nebenkläger nicht mehr feststellen ließen, da sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger angegeben hätten, dazu keine Erinnerung mehr zu haben und Zeugen hierfür nicht zur Verfügung stünden. Die Berufungskammer ist aber davon ausgegangen, dass der Angeklagte vor der Tat in einem für ihn unüblichen Umfang Alkohol getrunken habe, der bei ihm zu einer erheblich enthemmenden Wirkung und zu einem Handeln geführt habe, das für den Angeklagten sonst wesensuntypisch sei. Den Angeklagten habe noch zum Zeitpunkt der gegen den auf dem Boden liegenden Nebenkläger geführten Tritte "ein Gefühl der Wut beherrscht, das er nicht zu bändigen vermochte". Aus diesen weiteren Angriffen gegen den am Boden liegenden Nebenkläger sowie aus der Intensität des mit dem Bierglas gegen den Nebenkläger geführten Schlages hat die Berufungskammer weiter geschlossen, dass der Angeklagte den Nebenkläger vorsätzlich mit dem Bierglas in der geschehenen Weise verletzt hatte. Hinzu komme, dass der Angeklagte dem Zeugen Stichling gegenüber noch kurz vor der Tat geäußert habe, er werde den Nebenkläger "gleich vom Hocker hauen".
Die Voraussetzungen des § 21 StGB oder des § 20 StGB hat die Berufungskammer ausgeschlossen. Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich der Angeklagte zur Tatzeit in einem Zustand erheblich verminderter oder gar ausgeschlossen er Schuldfähigkeit befunden habe. Unter Zugrundelegung des dem Angeklagten günstigsten Abbauwertes von 0,2 o/oo pro Stunde zuzüglich eines einmaligen Zuschlages von 0,2 o/oo für die ersten beiden Stunden ermittele sich für den Tatzeitpunkt ein Blutalkoholgehalt des Angeklagten von 1,9 o/oo. Eine Blutalkoholkonzentration unter 2,0 o/oo begründe keine Notwendigkeit, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht zu ziehen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten mit der nicht näher ausgeführten Verfahrensrüge sowie mit der Sachrüge. Im Rahmen der Sachrüge trägt die Revision insbesondere vor, dass die Berufungskammer zu Unrecht von einem vorsätzlichen Vorgehen des Angeklagten bei dem Angriff auf den Nebenkläger ausgegangen sei. Insbesondere habe sie die Alkoholisierung des Angeklagten in diesem Zusammenhang nicht hinreichend berücksichtigt. Fehlerhaft sei weiterhin, dass die Berufungskammer den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung auch durch die seitens des Angeklagten gegen den am Boden liegenden Nebenkläger geführten Tritte als erfüllt angesehen habe, da die Kammer insoweit keine Feststellungen zur Beschaffenheit des Schuhwerks des Angeklagten getroffen habe. Darüber hinaus habe die Berufungskammer eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht allein mit der Begründung ablehnen dürfen, dass die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit unter 2,0 o/oo gelegen habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache teilweise einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch sowie zur Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts.
Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, da die Ablehnung des Vorliegens einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB zu durchgreifenden rechtlichen Bedenken Anlass gibt.
Die Berufungskammer hätte sich insoweit nicht mit dem Hinweis darauf begnügen dürfen, dass die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit unter 2,0 o/oo gelegen hatte. Zwar ist richtig, dass eine Blutalkoholkonzentration unter 2,0 o/oo für sich genommen keine Notwendigkeit begründet, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Betracht zu ziehen, dies gilt jedoch dann nicht, wenn - wie hier von der Berufungskammer ausdrücklich festgestellt - weitere Auffälligkeiten hinzutreten, die auf eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit - allein eine solche kommt hier ernsthaft in Betracht - hindeuten. Der Tatrichter muss nämlich bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB vorliegen, neben einer festgestellten Blutalkoholkonzentration auch alle wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen, beurteilen und gegeneinander abwägen (ständige Rechtsprechung des BGH, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 4, Urteil vom 06.03.1987; vgl. auch BGHR, a.a.O., Ursachen, mehrere 9, Beschluss vom 01.09.1988; BGHR, a.a.O, Ursachen, mehrere 11, Urteil vom 26.07.1990). Treten solche Umstände hinzu, ist auch bei einer Blutalkoholkonzentration von ca. 1,9 o/oo zur Tatzeit das Gesamtverhalten des Angeklagten eingehend zu würdigen und nicht getrennt von seiner alkoholischen Beeinflussung, sondern im Zusammenhang mit dieser zu betrachten (BGHR StGB § 21, Ursachen, mehrere 9, Beschluss vom 01.09.1988). Diesen psychodiagnostischen Beurteilungskriterien kommt daher neben der festgestellten Blutalkoholkonzentration maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BGH, NJW 1997, 2460).
Hier hatte das Landgericht neben der erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten von 1,9 o/oo weiter festgestellt, dass dieser alkoholungewohnt war. Bei einem alkoholungewohnten Menschen ist aber bereits eine derartige Alkoholisierung mit einem Blutalkoholgehalt von 1,9 o/oo nicht zu erwarten und führt möglicherweise zu einer ganz erheblichen Beeinträchtigung durch den genossenen Alkohol. Regelmäßig werden Alkoholwerte um 2,0 o/oo nämlich ohnehin nur von Menschen erreicht, die bereits alkoholgewöhnt sind (vgl. BGH, NJW 1997, 2460, 2462). Weiter hat die Berufungskammer festgestellt, dass die von ihm gezeigte gewalttätige Vorgehensweise für den Angeklagten wesensuntypisch war. Auch dies deutet auf eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten durch den genossenen Alkohol hin. Hinzu kommt, dass sich Anlass und Verlauf des Streites zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger nicht mehr feststellen ließen, die Berufungskammer aber davon ausgeht, dass der Angeklagte durch eine erneute erhebliche Beleidigung seitens des Nebenklägers zu der Tat hingerissen worden ist. Dies hätte im Zusammenhang mit der alkoholischen Enthemmung des Angeklagten ebenfalls näher gewürdigt werden müssen. Das gleiche gilt für das weitere Verhalten des Angeklagten, der trotz der erheblichen Verletzung des Nebenklägers und obwohl die Gewalthandlungen selbst für ihn wesensuntypisch waren, weiter auf den Nebenkläger eintrat und möglicherweise erst durch einen Schlag mit einer Billardkugel gegen den Hinterkopf von weiteren Angriffen abgehalten werden konnte. Angesichts dieser Umstände hätte hier das Vorliegen eines möglicherweise erheblichen effektiven Ausnahmezustandes des Angeklagten aufgrund der vorangegangenen Beleidigungen durch den Nebenkläger in Gesamtschau mit der Alkoholisierung des Angeklagten vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeitsstruktur näher erörtert werden müssen. Allein mit dem Hinweis darauf, dass die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten zur Tatzeit unter 2,0 o/oo lag, konnte jedenfalls eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht ausgeschlossen werden.
Dagegen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte zur Tatzeit steuerungsunfähig gewesen wäre. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils konnte daher Bestand haben. Auch im Übrigen weist dieses insoweit keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Jedenfalls aufgrund des Schlages mit dem Bierglas ist der Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 323 a StGB erfüllt. Das Landgericht hat aus den von ihm festgestellten und erörterten Indizien auch rechtsfehlerfrei auf eine vorsätzliche Begehungsweise durch den Angeklagten geschlossen.
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