Aktenzeichen: 3 Ss 1/98 OLG Hamm
Leitsatz: Zum Tatbegriff im Sinn von § 264 StPO
Senat: 3
Gegenstand: Privatklage, Revision
Stichworte: Sachrüge, Sprungrevision, Begriff der Tat
Normen: 264 StPO
Beschluss: Privatklagesache des W.D. - Privatkläger -
gegen M.P. - Angeklagter -
wegen Beleidigung, (hier: Revision des Privatklägers).
Auf die Sprungrevision des Privatklägers vom 18.12.1997 gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 17.12.1997 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02.06.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, den Privatkläger am Nachmittag des 21.06.1997 anläßlich einer Gartengesellschaft auf dem Grundstück des Zeugen M.B. gegenüber anderen Gästen bei seinem Erscheinen ohne jeden Anlass mit den Worten beleidigt zu haben: "Da kommt das größte Arschloch von Essen"'.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten mit der Begründung freigesprochen, dass nach der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme eine solche Äußerung des Angeklagten in dem von der Privatklage geschilderten Zusammenhang - Erscheinen des Privatklägers mit seiner Ehefrau auf der Gesellschaft - nicht habe festgestellt werden können. Keiner der hierzu vernommenen Zeugen habe eine solche Äußerung bestätigt. Sodann heißt es in dem angefochtenen Urteil wörtlich:
"Das im Laufe der Veranstaltung der Privatbeklagte aufgrund von Gegebenheiten, an denen der Privatkläger beteiligt war, zwar laut, aber letztlich sich selbst gegenüber eine möglicherweise despektierliche Frage gestellt hat, die vielleicht auch beleidigenden Charakter gehabt haben mag, rechtfertigt keine Verurteilung, weil ein solcher Sachverhalt nicht Gegenstand der Privatklageschrift ist und war. Zu behandeln im Privatklagewege ist ausschließlich eine bestimmte Tat, begangen zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort. Die in der Klageschrift beschriebene Tat, wie oben dargestellt, war nicht festzustellen. Ersatzweise kann, so der Antrag des Privatklägers, durch diese Klageschrift nicht ein anderer Sachverhalt abgedeckt werden und sicherlich erst recht nicht zu einer Verurteilung führen. "
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Privatkläger mit am 18.12.1997 beim Amtsgericht Essen eingegangenen Schriftsatz Rechtsmittel eingelegt und dieses Rechtsmittel nach der Zustellung des schriftlichen Urteils an ihn am 27.01.1998 mit einem weiteren, am 20.02.1998 beim Amtsgericht Essen eingegangenen Schriftsatz als Revision bezeichnet. Der Privatkläger rügt die Verletzung materiellen Rechts und erhebt darüber hinaus die Rüge der Verletzung des § 264 StPO. Er führt hierzu im einzelnen aus, dass das Amtsgericht rechtsfehlerhaft die von dem Angeklagten auf der fraglichen Gartengesellschaft weiter gemachten Äußerungen nicht als von der Privatklage erfaßt angesehen habe. Der Angeklagte habe nämlich eingeräumt, auf der fraglichen Gartengesellschaft zu anderen Gästen in Betreff auf den Privatkläger gesagt zu haben: "Was ist das denn für ein Arschloch.
Der Angeklagte ist der Ansicht, die Revision sei unzulässig.
II. Die Revision des Privatklägers ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen.
Die Revision des Privatklägers ist begründet, weil die Urteilsgründe des angefochtenen Urteils nicht sicher erkennen lassen, dass das Amtsgericht seiner Verpflichtung nachgekommen ist, sich über den Wortlaut der Privatklageschrift hinaus mit der Frage strafbaren Verhaltens des Angeklagten im Rahmen der Gartengesellschaft vom 21.06.1997 auseinanderzusetzen und darüber zu entscheiden.
Die in der Anklage - insoweit gilt auch für die Privatklageschrift nichts anderes - bezeichnete Tat ist im Urteil unter allen rechtlichen Gesichtspunkten auszuschöpfen. Dazu gehört das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt (BGHR, StPO § 264 Abs. 1 Ausschöpfung 2, Urteil vom 03.11.1988 - 1 StR 476/88 - m.w.N.; OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 79; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 1996, 5). Der Tatrichter ist insoweit verpflichtet, den Unrechtsgehalt der Tat i.S.d. § 264 StPO voll auszuschöpfen. In der Revision kann die Staatsanwaltschaft oder der Privatkläger bereits mit der Sachrüge geltend machen, dass die Tat im Urteil nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend behandelt worden sei (BGH, StV 1981, 127, 128; OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Revision des Privatklägers hier bereits mit der Sachrüge Erfolg. Aus den Urteilsgründen ergibt sich, dass das Amtsgericht noch einen weiteren Vorfall im Rahmen der Gartengesellschaft vom 21.06.1997 festgestellt hat, in dessen Verlauf der Angeklagte den Privatkläger beleidigt haben könnte. Um welchen Vorfall es sich genau gehandelt hat, teilt das Amtsgericht in den Urteilsfeststellungen nicht mit. Der Senat kann hierzu ohne die ihm grundsätzlich verwehrte Rekonstruktion der Hauptverhandlung auch keinerlei eigene Feststellungen treffen, da es insbesondere an einer entsprechenden wörtlichen Protokollierung der Angaben des Angeklagten oder von Zeugen fehlt. Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen aber befürchten, dass das Amtsgericht diese weitere, möglicherweise beleidigende Äußerung des Angeklagten betreffend den Privatkläger nur deshalb nicht bei der Urteilsfindung verwertet hat, weil es davon ausgegangen ist, eine solche weitere Beleidigung sei nicht von der angeklagten Tat mit umfaßt.
Diese Ansicht des Amtsgerichts ist indes rechtsfehlerhaft. Sollte der Angeklagte den Privatkläger in demselben zeitlichen und örtlichen Rahmen - auf der Gartengesellschaft am Nachmittag bzw. Abend des 21.06.1997 - in ähnlicher wie der von der Privatklage geschilderten Weise beleidigt haben - etwa im Sinne des von der Revision geschilderten Sachverhaltes - würde eine solche zur gleichen Zeit und am gleichen Ort gegenüber demselben Verletzten begangene Ehrverletzung nach der Lebensauffassung mit der in der Privatklage genannten Beleidigung nämlich dergestalt eine Einheit bilden, dass ihre Behandlung in getrennten Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde. Das Amtsgericht konnte daher nicht mit der von ihm gegebenen rechtlichen Begründung von der Berücksichtigung weiterer ehrverletzender Äußerungen des Angeklagten bei der fraglichen Gartengesellschaft im Rahmen der Urteilsfindung absehen. dass es dies gleichwohl getan hat, lässt besorgen, dass es den von ihm festgestellten Sachverhalt nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt und damit gegen seine allseitige Erkenntnispflicht verstoßen hat.
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