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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 BL 128/98 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Bejahung eines wichtigen Grundes, wenn sich erst in der Hauptverhandlung die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens ergibt.

Senat: 3

Gegenstand: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht BL 6

Stichworte: Aussetzung der Hauptverhandlung, Gutachten, Schuldfähigkeit, stationäre Untersuchung

Normen: StPO 121

Beschluss: Strafsache gegen W.W.,
wegen versuchter Vergewaltigung u.a.,
(hier:Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.06.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe: I. Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Marl vom 07.10.1997 - 5 Gs 407/97 - seit diesem Tage in Untersuchungshaft. Diese war während des Zeitraumes vom 02.04.1998 bis zum 29.05.1998 zum Zwecke der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe aus dem Verfahren 58 VRs 781-0/97 StA Essen unterbrochen.

Mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Essen vom 16.02.1998 (72 Js 26/98) wird dem Angeklagten zur Last gelegt, am 21.08.1997 in Haltern gegen 04.00 Uhr die Zeugin B.I. von hinten überfallen, sie auf den Boden geworfen und mit einem Strick, den er um ihren Hals festgezogen hatte, etwa fünf Minuten lang gewürgt zu haben. Während dieses Zeitraumes soll sich der Angeklagte selbst befriedigt haben. Nachdem die Zeugin I. unter dem Eindruck der Gewaltanwendung geäußert haben soll, sie wolle alles machen, was der Angeklagte von ihr verlange, soll dieser von der Zeugin nunmehr die Herausgabe ihres Geldes verlangt haben, worauf die Zeugin ihm ihr Kleingeld im Werte von 2,- DM überreicht haben soll.

Dem Angeklagten wird außerdem vorgeworfen, an einem nicht mehr näher feststellbaren Tag im September 1997 in Haltern versucht zu haben, die ihm bereits seit längerer Zeit bekannte Zeugin M.B. zu vergewaltigen. Er soll die Zeugin, nachdem er ihr mit einem Knüppel einen Schlag auf den Kopf versetzt hatte, unter Brombeerbüsche gezerrt, sie dort gewürgt und gewaltsam entkleidet haben. Anschließend soll er versucht haben, mit der Zeugin den Geschlechtsverkehr auszuüben, was aber mangels einer Erektion bei dem Angeklagten mißlang.

Dem Angeklagten wird außerdem mit der weiteren Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 23.01.1998 (28 Js 584/97) zur Last gelegt, am 10.06.1997 in Haltern die Zeugin C.T. überfallen zu haben. Er soll mit beiden ausgestreckten Händen nach dem Hals der Zeugin gegriffen und zugedrückt haben. Dabei soll er die Zeugin gleichzeitig ca. 1 m weit über ein Kornfeld geschoben, diese dann aber aufgrund ihrer heftigen Gegenwehr schließlich losgelassen haben, so dass diese fliehen konnte.

Durch Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 13. März 1998 wurden die beiden Verfahren (72 Js 26/98 und 28 Js 584/97 StA Essen) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Durch Beschluss der Strafkammer vom selben Tag wurden außerdem die beiden Anklagen der Staatsanwaltschaft Essen vom 23.01.1998 und 16.02.1998 zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hauptverhandlungstermin wurde auf den 06.05., 07.05. und 11.05.1998 anberaumt.

In der mündlichen Verhandlung am 6. Mai 1998 vor der 5. Strafkammer wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt. Es erging der Beschluss, dass ein psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten zu der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten sowie zu der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 63, 66 StGB eingeholt werden solle. Durch weiteren Beschluss der 5. Strafkammer vom 06.05.1998wurde außerdem unter Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Marl vom 07.10.1997 ein neuer, den Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Essen vom 23.01.1998 und 16.02.1998 angepaßter Haftbefehl erlassen, der dem Angeklagten am 29.05.1998 verkündet worden ist.

Mit Beschluss vom 26.05.1998 ordnete die Strafkammer zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Angeklagten gemäß § 81 StPO dessen Unterbringung in den Rheinischen Kliniken Langenfeld unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Haftbefehls vom 06.05.1998 an. In den Gründen dieses Beschlusses ist u.a. ausgeführt, das auffällige Verhalten des Angeklagten im ersten Hauptverhandlungstermin am 06.05.1998 habe das Gericht veranlaßt, den Angeklagten durch die Sachverständige Dr. med. W. auf seine strafrechtliche Verantwortung untersuchen zu lassen. Die Sachverständige sei, nachdem sie den Angeklagten am 08. und 09.05.1998 in der Justizvollzugsanstalt Essen aufgesucht habe, zu dem auch für die Kammer überzeugenden Ergebnis gelangt, dass eine ambulante Begutachtung des Angeklagten nicht ausreichend sei, sondern vielmehr eine eingehende stationäre Untersuchung erforderlich sei.

II. Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus war hier anzuordnen.

Der Angeklagte ist der ihm mit dem neu gefaßten Haftbefehl vom 07.05.1998 zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den Inhalt der Anklageschriften der Staatsanwaltschaft Essen vom 23.01.1998 und 16.02.1998 Bezug genommen, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend wiedergeben.

Bei dem Angeklagten besteht konkrete Gefahr, dass er sich dem Verfahren durch Flucht entzieht, würde er freigelassen. Er verfügt weder über eine Wohnung noch über tragfähige soziale oder berufliche Bindungen. Den Kontakt zu seinen Angehörigen hat er abgebrochen. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung lebte er bereits längere Zeit auf der Straße, und zwar zuletzt unter einer Straßenbrücke an den Bahngleisen in der Nähe des Halterner Bahnhofs.

Der Zweck der Untersuchungshaft lässt sich deshalb auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO erreichen.

Der Angeklagte hat im Verurteilungsfall mit einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen, und zwar auch dann, falls er zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten vermindert schuldfähig gewesen sein sollte. Von einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten kann nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht ausgegangen werden. Die bisher gegen diesen vollzogene Untersuchungshaft steht daher auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Verurteilungsfall möglicherweise zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Es liegen auch die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO vor.
Die Ermittlungen sind zügig durchgeführt worden. Obwohl insbesondere bezüglich der Tat zu Lasten der Zeugin M.B., die der Angeklagte ebenso wie die beiden anderen ihm zur Last gelegten Taten in Abrede gestellt hat, eine große Anzahl von Zeugen aus dem Bekanntenkreis der Geschädigten zu vernehmen war, waren die polizeilichen Ermittlungen bereits im Dezember 1997 abgeschlossen. Die Ermittlungen in Bezug auf die außerdem dem Angeklagten mit dem ursprünglichen Haftbefehl zur Last gelegten Kraftfahrzeugeinbrüche wurden parallel geführt und hatten daher eine Verzögerung des Verfahrens nicht zur Folge. Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Eingang der Akten bei ihr am 19.12.1997 durch Verfügung vom 07.01.1998 das Verfahren hinsichtlich der Seriendiebstähle aus Kraftfahrzeugen abgetrennt und bereits unter dem 20.01.1998 vor dem Landgericht Essen - große Strafkammer - Anklage wegen der dem Angeklagten vorgeworfenen Taten zu Lasten der Zeuginnen B.I. und M.B., die ebenfalls Gegenstand des ursprünglichen Haftbefehls des Amtsgerichts Marl vom 07.10.1997 gewesen waren, erhoben. Auf Anregung des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Essen, ob nicht mit Rücksicht auf die große Anzahl der jugendlichen Zeugen Anklage vor der Jugendschutzkammer erhoben werden könnte, hat die Staatsanwaltschaft die Anklage zurückgezogen und sie umgehend unter dem 16.02.1998 nunmehr vor der Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen erhoben. Auch vor dieser ist das weitere Verfahren bis zu dem ersten Hauptverhandlungstermin am 06.05.1998 mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung betrieben worden, wie sich aus den vorangegangenen Ausführungen ergibt. Eine weitere Fortdauer der Untersuchungshaft ist trotz der nunmehr eingetretenen Verzögerung infolge der erforderlich gewordenen stationären psychiatrischen Untersuchung des Angeklagten gerechtfertigt. Diese stellt nämlich einen wichtigen Grund dar, der den Erlass eines Urteils innerhalb der Frist des § 121 Abs. 1 StPO nicht zugelassen hat. Entgegen der Ansicht der Verteidigung lässt sich nicht feststellen, dass die Staatsanwaltschaft oder das erkennende Gericht diese Verfahrensverzögerung durch eine frühere Anordnung der Untersuchung des Angeklagten auf seine Schuldfähigkeit hätten vermeiden können. Denn das Verhalten des Angeklagten bis zum Hauptverhandlungstermin am 06.05.1998 sowie die in den Akten befindlichen schriftlichen Äußerungen des Angeklagten waren nicht derart auffällig oder ungewöhnlich, dass es insbesondere auch unter Berücksichtigung der Art der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten zwingend geboten gewesen wäre, den Angeklagten auf seine strafrechtliche Verantwortung untersuchen zu lassen. Es lagen insbesondere keine deutlichen Anhaltspunkte für eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten vor. Es lässt sich daher nicht feststellen, dass die Verfahrensverzögerung auf eine fehlerhafte Sachbehandlung durch die Ermittlungsbehörden oder das erkennende Gericht zurückzuführen ist. Bei dieser Sachlage ist die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus gerechtfertigt.

Das als "Beschwerde" bezeichnete Schreiben des Angeklagten vom 15.06.1998 lag dem Senat vor. Er hat dieses zuständigkeitshalber an die Jugendschutzkammer beim Landgericht Essen weitergeleitet.

Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 S.3 StPO.


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