Aktenzeichen: 3 Ws 256/98 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Eine Reststrafenaussetzung gemäß § 57 StGB stehe dem Eintritt von Führungsaufsicht gemäß § 68 f StGB nicht entgegen.
2. Im Falle der Anschlußvollstreckung ist unter "Entlassung" im Sinne von § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB die endgültige Entlassung in die Freiheit zu verstehen.
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Anordnung von Führungsaufsicht, Reststrafenaussetzung, verfrühte Entscheidung, Einzelstrafen von mindestens 2 Jahren, Gesamtstrafe, Vollverbüßung nach Widerruf eines Strafrestes
Normen: StGB 57 Abs. 1, StGB 68 f
Beschluss: Strafsache gegen H.G.,
wegen schweren Raubes u.a.
hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Anordnung von Führungsaufsicht.
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 7. Mai 1998 gegen den Beschluss der 17 a. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 30. April 1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. Juni 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird auf Kosten der Landeskasse aufgehoben.
Gründe:
I. Gegen den Verurteilten ist unter anderem durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Juni 1989 - 2 KLs 22 Js 581/87 - G 3/88 II - wegen Diebstahls in vier Fällen und wegen schweren Raubes in drei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verhängt worden. Dabei hat die Strafkammer für jede der Diebstahlstaten auf Einzelstrafen von neun Monaten und für die Raubtaten auf solche von jeweils vier Jahren erkannt. Nach Verbüßung von mehr als zwei Dritteln dieser Strafe ist der Verurteilte durch Beschluss der 17 a. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 9. Juni 1994 gemäß § 57 Abs. 1 StGB bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. Der ausgesetzte Strafrest betrug 389 Tage.
In der Folgezeit wurde der Verurteilte erneut straffällig. Durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 5. Mai 1995 - 10 Ls 31 Js 764/94 - G 9/95 - wurde er wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
Eine weitere Verurteilung erfolgte durch das Amtsgericht Bielefeld - 35 Ds 23 Js 2509/94 - wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten.
In beiden Fällen wurden die zugrundeliegenden Straftaten während der laufenden Bewährungszeit begangen. Die Aussetzung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Juni 1989 wurde daraufhin durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 12. September 1995 widerrufen.
Schließlich wurde gegen den Verurteilten durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 19. März 1996 - 35 Ds 23 Js 861/95 - eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten, offenbar unter Einbeziehung der genannten Urteile vom 20. Februar und vom 5. Mai 1995, festgesetzt.
Aus dem letztgenannten Erkenntnis sind zunächst zwei Drittel der beiden erkannten Strafen bis zum 29. Juli 1996 bzw. 16. Februar 1997 vollstreckt worden. Anschließend erfolgte die vollständige Vollstreckung des widerrufenen Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Juni 1989 bis zum 12. März 1998. Sodann ist die Vollstreckung der Strafreste aus dem Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 19. März 1996 bis zum 23. Dezember 1998 notiert.
Durch den angefochtenen Beschluss vom 30. April 1998 hat die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass nach vollständiger Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Juni 1989 Führungsaufsicht eintrete, die auch nicht gemäß § 68 f Abs. 2 StGB entfalle. Weiter hat die Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht auf drei Jahre festgesetzt und dem Verurteilten Weisungen für die weitere Lebensführung erteilt.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II. Die fristgerecht eingelegte und auch sonst statthafte sofortige Beschwerde des Verurteilten hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
Der Streit, ob bei der vollständigen Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe mindestens eine der wegen vorsätzlicher Straftat erkannten Einzelstrafen wenigstens zwei Jahre betragen muss, was der Senat weiterhin bejaht, (so auch Senat, Beschluss vom 8. Juni 1995, NStZ-RR 1996, 31; OLG Köln, NStZ 1997, 4 jeweils mit weiteren Nachweisen zum Streitstand), kann vorliegend auf sich beruhen, weil durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 14. Juni 1989 drei Einzelstrafen wegen schweren Raubes auf jeweils vier Jahre festgesetzt worden sind.
Der angefochtenen Entscheidung steht auch nicht entgegen, dass die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten zunächst gemäß § 57 Abs. 1 StGB unterbrochen worden war. In der Kommentierung bei Tröndle, StGB, 48. Auflage, § 68 f Rdnr. 2 a wird zwar der Senatsbeschluss vom 8. Juni 1995 (NStZ-RR 1986, 31) als Beleg dafür angeführt, der Senat vertrete entgegen der ganz herrschenden Ansicht (Schönke-Schröder-Stree, StGB, 25. Auflage, § 68 f Rdnr. 5; Tröndle, StGB, 48. Auflage, § 68 f Rdnr. 2 a; Leipziger Kommentar, StGB, 10. Auflage, § 68 f Rdnr. 15; OLG Köln, NStZ-RR 1997, 4, 5 ) die Auffassung, eine Reststrafenaussetzung gemäß § 57 StGB stehe dem Eintritt von Führungsaufsicht gemäß § 68 f StGB entgegen. Indes handelt es sich insoweit um eine unzutreffende Interpretation des genannten Senatsbeschlusses. In diesem Beschluss ging es einzig und allein um die vom Senat bejahte Frage, ob bei vollständiger Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe eine der erkannten Einzelstrafen mindestens zwei Jahre betragen muss, damit gemäß § 68 f StGB Führungsaufsicht eintreten kann. Nur zur Beantwortung dieser Frage hat der Senat in der zitierten Entscheidung als eines von mehreren Argumenten die Widersinnigkeit aufgezeigt, auch dann gemäß § 68 f StGB Führungsaufsicht eintreten zu lassen, wenn keine der verhängten Einzelstrafen mindestens zwei Jahre erreicht und sich der Verurteilte zudem aufgrund einer später widerrufenen Strafaussetzung nicht einmal ununterbrochen in Strafhaft befunden hat. In einem derartigen Fall, so hat der Senat in der genannten Entscheidung ausgeführt, könne der Hinweis auf die Notwendigkeit der Wiedereingliederungshilfe die Abweichung vom Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB nicht rechtfertigen. Der Senat hat sich damit indes nicht zu der Frage geäußert, ob eine später widerrufene Strafaussetzung gemäß § 57 StGB dem Eintritt von Führungsaufsicht gemäß § 68 f StGB entgegensteht oder nicht. Der Senat stimmt vielmehr nach wie vor der ganz herrschenden Meinung zu, wonach es in einem solchen Falle erst Recht einer Wiedereingliederungshilfe durch Anordnung von Führungsaufsicht bedarf.
Die angefochtene Entscheidung war jedoch aufzuheben, weil sie verfrüht getroffen worden ist. Im Falle der Anschlußvollstreckung ist unter "Entlassung" im Sinne von § 68 f Abs. 1 Satz 1 StGB die endgültige Entlassung in die Freiheit zu verstehen. Dass nur diese Auslegung zutreffend sein kann, ergibt sich zunächst aus § 68 f Abs. 1 Satz 2 StGB, wonach im Falle einer im Anschluß an die Strafvollstreckung zu vollziehenden freiheitsentziehenden Maßregel nach der Verbüßung der Strafhaft Führungsaufsicht noch nicht eintritt, und aus § 68 c Abs. 2 Satz 2 StGB, wonach bei Führungsaufsicht aufgrund richterlicher Anordnung klargestellt wird, dass diese regelmäßig erst nach dem Strafvollzug wirksam wird. Schließlich ist diese Auslegung auch nach dem Sinn und Zweck der Führungsaufsicht, Wiedereingliederungshilfe zu bieten, geboten (so auch Tröndle, StGB, 48. Auflage, § 68 f Rdnr. 2 b mit weiteren Nachweisen; OLG Nürnberg, OLGSt, § 68 f StGB Nr. 8; OLG Düsseldorf, NStE, § 68 f StGB Nr. 6).
Da die Strafvollstreckung voraussichtlich erst am 23. Dezember 1998 beendet sein wird, ist die Entscheidung über den Eintritt der Führungsaufsicht wesentlich zu früh getroffen worden. Eine solche Entscheidung ist rechtsfehlerhaft, weil sich die Sozialprognose bis zum Zeitpunkt der Entlassung noch ändern kann (vgl. OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Düsseldorf a.a.O.; Schönke-Schröder-Stree, StGB, 25. Auflage § 68 f Rdnr. 10).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.
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