Aktenzeichen: 3 Ss OWi 1593/97 OLG Hamm
Senat: 3
Gegenstand: OWi
Stichworte: Straßensicherheitsverordnung, mittelbare Verschmutzung von Straßen durch Vögelfütterung
Normen: OWiG 118, StSVO 19, StSVO 15
Beschluss: Bußgeldsache gegen C.M.,
wegen Zuwiderhandlung gegen §§ 19, 15 Straßensicherheitsverordnung der Stadt Marl.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen vom 30. Mai 1997 gegen das Urteil des Amtsgerichts Marl vom 27. Mai 1997 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 18.08.1998 durch den Richter am Oberlandesgericht , die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3 und 5 OWiG beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Betroffene wird auf Kosten der Landeskasse freigesprochen.
Gründe:
I. Die Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Marl vom 27. Mai 1997 wegen "Verstoßes gegen §§ 118 OWiG, §§ 15, 19 StSVO" zu einer Geldbuße von 400,00 DM kostenpflichtig verurteilt worden. Das Amtsgericht hat insoweit festgestellt, dass die Betroffene am 27. Juli 1996 eine unbekannte dritte Person veranlaßt habe, vor dem von ihr und ihren Ehemann betriebenen Kiosk in der Bergstraße/Ecke Lipper Weg in Marl Wildtauben zu füttern, indem sie an die dritte Person einen Eimer mit Vogelfutter ausgehändigt und diese angewiesen zu haben, das Vogelfutter auszustreuen. Unmittelbar danach habe die Betroffene den Eimer wieder an sich genommen. Das Amtsgericht ist insoweit davon ausgegangen, dass das ausgestreute Futter von den Wildtauben alsbald vollständig aufgepickt worden sei. Die hierdurch mittelbar verursachte Verunreinigung durch Vogelkot sei der Betroffenen jedoch zuzurechnen. Auch der Umstand, dass unmittelbar ein Dritter gehandelt habe, ändere an der Vorwerfbarkeit nichts, weil diese Person von ihrem Willen bestimmt und von ihr gesteuert das Vogelfutter verstreut habe.
Gegen dieses Urteil hat die Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diesen Antrag ausweislich der Begründung in der Sache u.a. mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts näher begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt wie erkannt.
II. Die statthafte, rechtzeitig eingelegte und fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Freisprechung der Betroffenen, § 79 Abs. 6 OWiG.
1. Die Betroffene kann wegen des ihr vorgeworfenen Verhaltens nicht mit einer Geldbuße aufgrund der Vorschriften der Straßensicherheitsverordnung der Stadt Marl (StSVO) vom 23. März 1978 belegt werden.
Nach § 19 StSVO können vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften dieser Verordnung mit Geldbußen bis zu 1.000,00 DM geahndet werden, soweit sie nicht nach Bundes- oder Landesrecht mit Strafe oder Geldbuße bedroht sind. Bei Fahrlässigkeit verringert sich die Geldbuße um die Hälfte.
Unabhängig davon, dass es das Amtsgericht versäumt hat, Feststellungen hinsichtlich der Schuldform und zum Umfang der der Betroffenen zugerechneten Verunreinigungen zu treffen, nicht hinreichend erkennbar ist, dass sich die Verschmutzungen auf Straßen oder in Anlagen im Sinne von § 1 StSVO befunden haben und auch nicht ausreichend dargelegt ist, wann aufgrund welchen Verhaltens Bußgelder in welcher Höhe zuvor rechtskräftig gegen die Betroffene festgesetzt worden sind, unterfällt das der Betroffenen vorgeworfene Verhalten nicht einer wirksamen Bußgeldbestimmung der Straßensicherheitsverordnung der Stadt Marl.
§ 8 Abs. 1 dieser Verordnung kommt ersichtlich nicht in Betracht, weil insoweit nur eine Regelung über Verschmutzungen getroffen worden ist, die von Hunden stammen und die vom Hundehalter unverzüglich zu beseitigen sind.
Somit kommt, wie auch vom Amtsgericht angenommen, nur ein Verstoß gegen § 15 StSVO in Betracht. § 15 StSVO hat folgenden Wortlaut:
"(1) Jede Verunreinigung der Straßen, Anlagen und sonstigen öffentlichen Einrichtungen ist untersagt. Der Verursacher ist zur sofortigen Reinigung verpflichtet.
(2) Verboten ist insbesondere:
Abfälle aus Haushaltungen und Gewerbebetrieben in öffentliche Papier- und Abfallkörbe zu werfen,
Kehricht, Straßenschmutz oder sonstigen Unrat in Straßenrinnen, Straßenkanälen und Kanalschächte einzubringen,
Haus- und Wirtschaftsabwässer den Straßen, Straßenrinnen, Gräben und Anlagen zuzuführen,
Gefäße u.a. Gegen stände auf Straßen und Anlagen zu waschen, zu spülen oder sonstwie zu reinigen,
Öl, Altöl, Benzin und ähnliche Stoffe auf den Straßen oder in den Anlagen abzulassen bzw. der Kanalisation oder den Gewässern zuzuführen."
Einer der in Abs. 2 dieser Vorschrift genannten Fälle liegt ersichtlich nicht vor. Auch ein diesen Regelungen ähnlicher Fall, der möglicherweise zur Auslegung von § 15 Abs. 1 StSVO herangezogen werden könnte, ist hier nicht gegeben.
Somit kommt als Bußgeldtatbestand vorliegend nur ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 StSVO in Betracht. Diese Regelung ist indes so allgemein gefaßt, dass sie nach Auffassung des Senats mit Art 103 Abs. 2 GG nicht mehr vereinbar ist. Dieses Grundrecht, das auch für Bußgeldtatbestände gilt (BVerfGE 38, 348, 371 f.; 41, 314, 319; 42, 261, 263; 55, 144, 152), verpflichtet den Gesetz- bzw. Verordnungsgeber die Voraussetzungen der Straftat oder Ordnungswidrigkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Dadurch soll zweierlei bewirkt werden: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe oder Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist. Außerdem soll sichergestellt werden, dass der Gesetz- bzw. Verordnungsgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet. Insoweit enthält Art 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung oder der Auferlegung eines Bußgeldes selbst zu entscheiden (BVerfG NStZ 1986, 261 m.w.N.). Wenn hiernach Straf- und Bußgeldvorschriften in der dargelegten Weise bestimmt sein müssen, so schließt dies nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Dabei ist wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidbar, dass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar oder ordnungswidrig ist (BVerfG NStZ 1986, 261).
Unter Anlegung dieser Maßstäbe wird die in § 15 Abs. 1 StSVO getroffene allgemeine Regelung, soweit sie nicht durch Abs. 2 dieser Vorschrift konkretisiert wird, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.
§ 15 Abs. 1 StSVO erfaßt dem Wortlaut nach jede Verunreinigung der Straßen und Anlagen, somit auch solche, die mit dem widmungsgemäßen Gebrauch und einem sozialadäquaten Verhalten verbunden sind, unabhängig davon, ob es sich um umfangreiche oder nur geringfügigste Verunreinigungen handelt. So ist dem Wortlaut nach sogar das Betreten der Straße mit verschmutzten Schuhen, von denen sich Schmutz ablöst, erfaßt. Eine derartig weit gefaßte Vorschrift wird ihrer Aufgabe, ihren Regelungsgehalt für jedermann erkennbar zu machen, nicht mehr gerecht. Das wird vorliegend in besonderem Maße deutlich: Die Fütterung von Wildtauben, mag sie vielerorts ungern gesehen sein oder als lästig empfunden werden, stellt in weiten Teilen des Bundesgebietes ein übliches und sozialadäquates Verhalten dar. Soll dies untersagt werden, bedarf es einer eindeutigen und unmißverständlichen Regelung, damit der Normadressat ein entsprechendes Verbot hinreichend erkennen kann.
Wollte man, wie Bußgeldbehörde und Amtsgericht, den Bußgeldtatbestand aus §§ 15 Abs. 1, 19 StSVO aufgrund des Verhaltens der Betroffenen als erfüllt ansehen, würde das dazu führen, dass letztlich Bußgeldbehörde und Amtsgericht und nicht der Verordnungsgeber über die Voraussetzungen des Bußgeldtatbestandes entschieden hätten. Auch dieses ist mit Art 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
2. Andere Normen, die das Verhalten der Betroffenen erfassen, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere der Auffangtatbestand aus § 118 Abs. 1 OWiG ist ersichtlich nicht erfüllt.
Bei dieser Sachlage konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden. Die Betroffene war freizusprechen.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.
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