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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss 895/98 OLG Hamm

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Fahrlässigkeit, grobe Einwirkung von einigem Gewicht (§ 315 b StGB), Vorhersehbarkeit

Normen: StGB 315 b, StGB 142, StPO 265]
Leitsatz1. Zum Tatbestandsmerkmal der groben Einwirkung von einigem Gewicht beim Tatbestand des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
2. Zum belanglosen Schaden bei der Verkehrsunfallflucht.


Beschluss: Strafsache gegen G.G.,
wegen Verkehrsunfallflucht u.a.

Auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 24.02.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.08.1998 durch den Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer zurückverwiesen.

Gründe:
I. Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40,- DM verurteilt und ihm für die Dauer von drei Monaten verboten, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.

Der Verurteilung lag nach den Feststellungen des Amtsgerichts folgender Sachverhalt zugrunde:

"Der Angeklagte besuchte seit vielen Jahren die Fußballbundesligaspiele des FC Schalke 04 im Gelsenkirchener Parkstadion. Regelmäßig parkt er dort auf dem Parkplatz hinter dem sogenannten Marathontor. Die Fahrzeuge parken auf diesem Parkplatz üblicherweise parallel in mehreren Reihen, die alle auf einen Hauptweg münden. Der Parkplatz kann nur über diesen Hauptweg verlassen werden, der dann am sogenannten Marathontor vorbeiführt. Am 12.04.1997 besuchte der Angeklagte ein Fußballspiel des FC Schalke 04. Wie üblich ging er etwa fünf Minuten vor Spielende zu seinem Fahrzeug zurück, um zu vermeiden, beim dem Verlassen des Parkplatzes in einen Stau zu geraten. Er stand gegen 17.45 Uhr in seiner Parkreihe an erster Stelle und wollte soeben auf den Hauptweg einfahren, als er von dem Zeugen S., der als Platzordner und Sicherheitskraft dort eingesetzt war, gestoppt wurde. S. hatte gemeinsam mit den Zeugen W. und S. die Aufgabe, vier Busse, mit denen Ehrengäste vom Marathontor abgeholt werden sollten, vorrangig und zügig vom Parkplatz zu lenken. Der Angeklagte war verärgert über diese Wartezeit und versuchte mehrfach durch langsames Anfahren, sich Durchfahrt zu verschaffen. Dabei berührte er leicht mit seinem Pkw die Beine S.. Nachdem der erste Bus an der Reihe des Angeklagten vorbei war, ging Herr S. vor dem Bus her, um ihm den Weg frei zu machen. So kam es, dass sein Kollege W. seine Position einnahm. Der Angeklagte war weiterhin verärgert, stieg aus seinem Pkw aus und beschimpfte W.. Dieser versuchte ihm zu erklären, dass diese Aktion nur der Sicherheit aller dienen würde und in Kürze vorbei sein würde. Der Angeklagte stieg daraufhin wieder ein. Als er eine Lücke zwischen den Bussen sah, wollte er sich dazwischen drängen. W. stand ihm jedoch im Weg. Um ihn zu veranlassen, ihm den Weg freizumachen, fuhr er deshalb mit geringer Geschwindigkeit auf ihn zu. Da W. seitlich schräg und nur etwa 0,5 m entfernt von seinem Pkw stand und zudem den Verkehr auf dem Hauptweg beobachtete, konnte er nicht mehr ausweichen. Der Pkw streifte daher das rechte Knie W. Hierdurch verdrehte sich dessen Fuß und er ging in die Knie. Er erlitt dadurch eine Distorsion des rechten Knies mit Prellungen des rechten Fußes. W. stand kurz danach wieder auf und führte zunächst seine Arbeit zu Ende, ohne sich weiter um den Angeklagten oder seine Verletzungen zu kümmern. Obwohl der Angeklagte den Sturz W. bemerkt hatte, ordnete er sich nun auf dem Hauptweg ein und entfernte sich ohne anzuhalten von der Unfallstelle. Mittlerweile waren sowohl S. und W., als auch der Angeklagte in Höhe des Marathontores angekommen. Als S. und W. den Angeklagten bemerkten, versuchten sie, ihn mit Anhaltezeichen aufzuhalten, um ihn auf die Verletzung aufmerksam zu machen. Obwohl der Angeklagte in diesem Moment eine Verletzung W. durch das Anfahren für möglich hielt, verließ er ohne anzuhalten den Parkplatz."

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und begründete Sprungrevision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

II. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen zunächst nicht den Schuldspruch wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß §§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB. Ein Fahrzeugführer erfüllt im fließenden Verkehr in besonderen Fällen das Merkmal der Vornahme eines "ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriffs" i.S.d. § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB, wenn er das von ihm gesteuerte Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig als Mittel der Gefährdung oder Verletzung eines Menschen einsetzt (BGH, NZV 1998, 36 m.w.N.; BGH, NJW 1983, 1624 m.w.N.; BGH, VRS 40, 104, 105 m.w.N.).

Dabei setzt die Tatbestandserfüllung eine grobe Einwirkung von einigem Gewicht voraus (BGH, NStZ 1987, 225 m.w.N.; BGH, NJW 1983, 1624 m.w.N.), während bei Verstößen geringeren Gewichts bereits die Tatbestandsmäßigkeit ausscheidet (BGH, NStZ 1987, 225; NJW 1983, 1624 m.w.N.). Der "ähnliche, ebenso gefährliche Eingriff" muss nämlich an der Begehungsform der Nr. 1 und 2 des § 315 b Abs. 1 StGB ausgerichtet, insbesondere von ebensolcher, also erheblicher Gefährlichkeit sein (BGH, VRS 40, 104, 105 m.w.N.). Im Falle des langsamen Zufahrens auf einen Fußgänger liegt eine grobe Einwirkung von einigem Gewicht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dann nicht vor, wenn der Fußgänger ohne Schwierigkeit und ohne Gefahr ausweichen kann (BGH, NStZ 1987, 225; BGHSt 28, 87,90; BGHSt 26, 176, 178). Allein dem Umstand, dass der Fußgänger durch das Kraftfahrzeug tatsächlich berührt wird, kommt dabei keine maßgebliche Bedeutung für die Beurteilung der Erheblichkeit des Eingriffs in den Straßenverkehr zu (vgl. BGH, VRS 40, 104, 105; VRS 44, 437, 438). Erforderlich ist vielmehr eine besondere, subjektive Komponente hinsichtlich der Gefährdung des Fußgängers. Eine Tatbestandserfüllung des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB kommt danach vor allem dann in Betracht, wenn der Täter die Gefährdung absichtlich herbeiführt (BGHSt 28, 87, 91) oder zumindest die durch gezieltes Zufahren bedingte nicht unerhebliche tatsächliche Gefährdung bewusst in Kauf genommen hat (BGH, VRS 64, 267, 268). Nach diesen Grundsätzen kann die Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB hier keinen Bestand haben. Das Amtsgericht geht ausweislich der Urteilsgründe selbst davon aus, dass der Angeklagte die Gefährdung des Geschädigten Wronker lediglich fahrlässig verursacht hat (§ 315 b Abs. 4 StGB) und sieht auch hinsichtlich der eingetretenen Körperverletzung dieses Zeugen lediglich den Fahrlässigkeitsvorwurf als erfüllt an, wie die Verurteilung des Angeklagten allein wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 230 StGB zeigt. Hatte der Angeklagte aber hinsichtlich der Gefährdung noch nicht einmal mit bedingtem Vorsatz gehandelt, kann sein Verhalten nicht als "bewusst verkehrsfeindlich" bzw. als grobe Einwirkung in den Verkehrsablauf von einigem Gewicht gewertet werden.
Der festgestellte Rechtsfehler im Hinblick auf die Annahme der Voraussetzungen des § 315 b StGB führt zur Urteilsaufhebung auch hinsichtlich der tateinheitlich dazu erfolgten Verurteilung nach § 230 StGB.

Darüber hinaus tragen die Urteilsfeststellungen aber auch nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung gemäß § 230 StGB.

In dem angefochtenen Urteil fehlen Ausführungen zur Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung für den Angeklagten. Erst die Einbeziehung aller besonderen Gesichtspunkte ermöglicht aber eine zutreffende Beurteilung der Frage, ob dem Angeklagten fahrlässiges Verhalten, nämlich Pflichtwidrigkeit und Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung, vorzuwerfen ist (vgl. OLG Hamm, NJW 1996, 1295).
Vorhersehbar ist nach allgemeiner Meinung alles das, was nicht so sehr außerhalb des Bereichs jeglicher Wahrscheinlichkeit und des nach der Lebenserfahrung Möglichen liegt, dass vernünftiger- und billigerweise niemand damit zu rechnen braucht. Zwar liegt die Voraussehbarkeit der Verletzung eines Fußgängers im Zusammenhang mit einer Kraftfahrzeugberührung nahe, jedoch hat das Amtsgericht diesbezüglich keine konkreten Feststellungen getroffen. Solche Feststellungen wären aber angesichts der folgenlos gebliebenen Berührung des Zeugen S. durch den PKW des Angeklagten unmittelbar vor dem Vorfall mit dem Zeugen W.r erforderlich gewesen.

Endlich tragen die getroffenen Feststellungen auch nicht den Schuldspruch wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Tathandlung des § 142 Abs. 1 StGB ist das Sich-Entfernen vom Unfallort. Unfallort ist nach allgemeiner Meinung die Stelle, an der sich der Unfall, d.h. ein plötzlich stattfindendes Ereignis, das zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt, ereignet hat.

Hier liegt objektiv ein beachtlicher Personenschaden als Folge der Kraftfahrzeugberührung vor. Unfallort war aber nicht der Ort, an dem der Angeklagte von dem Geschädigten mit Handzeichen aufmerksam gemacht wurde, sondern der, an dem der Angeklagte mit seinem Kraftfahrzeug den Geschädigten berührte. dass der Angeklagte bei seiner Weiterfahrt von dem Unfallort es zumindest für möglich gehalten hat, einen nicht völlig belanglosen Schaden verursacht zu haben, ist vom Amtsgericht weder ausdrücklich noch nach dem Inbegriff der Urteilsgründe festgestellt. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, welche Vorstellungen der Angeklagte hinsichtlich eines möglicherweise durch die Fahrzeugberührung eingetretenen Schadens zu dem Zeitpunkt hatte, als er den Unfallort verließ. Die Feststellungen lassen vielmehr die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte von einem belanglosen Schaden ausging und die Unfallstelle in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB verlassen hatte. Möglich erscheint auch, dass er aufgrund der fehlenden unmittelbaren Reaktion des Geschädigten Wronker irrig von einem konkludenten Verzicht des Geschädigten auf die Ermöglichung der Feststellungen am Unfallort und somit von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis oder zumindest von einer rechtfertigenden Einwilligung (vgl. BayObLG, VRS 71, 189, 190) ausging. Jedenfalls verließ der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen die Unfallstelle unvorsätzlich, was eine Verurteilung nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausschließt. Bei einer solchen Fallgestaltung kommt allerdings ein Schuldspruch nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht.

Nach der Entscheidung des BGH vom 30.08.1978 (BGHSt 28, 129, 131) trifft auch den Kraftfahrer die besondere Pflicht zu unverzüglichen Ermöglichung nachträglicher Feststellungen, der sich ohne Kenntnis von dem Unfall von der Unfallstelle entfernt hatte. Nach dieser Rechtsprechung ist das nicht vorsätzliche Sich-Entfernen dem "berechtigten" oder dem "entschuldigten" Sich-Entfernen gleichzusetzen, wenn der Kraftfahrer noch innerhalb eines zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs von dem Unfall Kenntnis erlangt. Dabei ist zu beachten, dass ein Unfallbeteiligter nach Verlassen der Unfallstelle von dem ihm bisher unbekannten Schaden nur dann mit bedingtem Vorsatz Kenntnis genommen hat, wenn er neue Umstände erfährt, die in Verbindung mit den ihm schon bekannten Tatsachen ihn nun zu der Annahme drängen müssen, dass durch das Vorgeschehen ein nicht ganz belangloser Schaden entstanden sein kann (OLG Frankfurt, VRS 64, 265, 266 m.w.N.).

Dies ist hier nach den Urteilsfeststellungen zwar der Fall. Danach haben der Geschädigte W. und der Zeuge S. versucht, den Angeklagten in Höhe des Marathontores mit Handzeichen zum Anhalten zu bewegen. Der Angeklagte, der die Personen am Straßenrand bemerkte und jedenfalls jetzt eine Verletzung Wronkers durch das Anfahren für möglich hielt, reagierte nicht und ermöglichte auch später keine Feststellungen.

Trotz Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB sieht sich der Senat nicht in der Lage, den Schuldspruch zu berichtigen. Der Angeklagte ist nicht gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB hingewiesen worden. Ein solcher Hinweis wäre aber aufgrund der anderen Begehungsform des § 142 StGB geboten gewesen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 265 Rdnr. 12 m.w.N.), da sich der Angeklagte gegen über dem geänderten Schuldvorwurf anders hätte verteidigen können.

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass auch die Verhängung des Fahrverbotes gemäß § 44 StGB der Begründung in den Urteilsgründen bedarf (vgl. OLG Köln, VRS 81, 21). Entsprechende Ausführungen fehlen in dem angefochtenen Urteil.


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