Aktenzeichen: 3 BL 247/98 OLG Hamm
Leitsatz: Kein wichtiger Grund im Sinn von § 121 Abs. 1 StPO, wenn das Verfahren wegen nicht ausreichender Strafgewalt des Amtsgerichts erst im Hauptverhandlungstermin verwiesen wird, obwohl schon vorher erkennbar war, dass die Strafgewalt des Amtsgerichts ggf. ncith ausreichen könnte.
Senat: 3
Gegenstand: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht, BL6
Stichworte: Aufhebung des Haftbefehls, Gutachten, Raub, kein wichtiger Grund, Verweisung
Normen: 121 Abs. 1 StPO
Beschluss: Strafsache gegen 1. H.G. und 2. M.G.,
wegen Raubes,
(hier: Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO).
Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29.09.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, der Verteidiger und der Angeklagten beschlossen:
Die Haftbefehle des Amtsgerichts Essen vom 27.03.1998 - 71 Gs 612/98 gegen H.G, 71 Gs 611/98 gegen M.G. - werden aufgehoben.
Gründe:
Die Angeklagten befinden sich in vorliegender Sache nach ihrer vorläufigen Festnahme am 26.03.1998 aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Essen vom 27.03.1998 - 71 Gs 611, 612/98 - seit demselben Tage in Untersuchungshaft. Mit den Haftbefehlen wird ihnen zur Last gelegt, am 17. und 18.03.1998 in Essen gemeinschaftlich in zwei Fällen jeweils einen Raubüberfall begangen zu haben, und zwar am Nachmittag des 17.03.1998 in dem Park in der Twentmannstraße zum Nachteil zweier sich dort befindlicher Männer (Beute: 48,- DM) sowie am Abend des 18.03.1998 zum Nachteil des Gastwirtes der Gaststätte "Bürgerhaus", Bäuminghausstraße 49 in Essen (Beute: ca. 1.050,- DM und zwei Flaschen Whisky).
Die Haftbefehle des Amtsgerichts Essen vom 27.03.1998 waren aufzuheben.
Die Angeklagten sind zwar aus den in dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 21.04.1998 dargelegten Gründen der ihnen zur Last gelegten Taten dringend verdächtig; auch bestehen gegen sie die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie der Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b StPO.
Die Haftbefehle waren jedoch gemäß § 121 Abs. 1 StPO aufzuheben, da kein wichtiger Grund vorliegt, der hinsichtlich beider Angeklagter die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus rechtfertigt. Die Sache ist vom Schöffengericht in Essen nämlich nicht mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung gefördert worden, und zwar insbesondere im Hinblick auf die durch das Schöffengericht im Termin vom 01.09.1998 erfolgte Verweisung gemäß § 270 StPO an die Strafkammer des Landgerichts in Essen.
Die Ermittlungsbehörden hatten das Verfahren zunächst zügig gefördert und nach Festnahme der Angeklagten am 26.03.1998 bereits mit Anklageschrift vom 21.04.1998 das Ermittlungsverfahren abgeschlossen. Die Anklageschrift ist den Angeklagten am 12.05.1998 bzw. am 22.05.1998 zugestellt worden. Am 25.05.1998 ging ein Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten M.G. beim Schöffengericht ein, in dem dieser die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Schuldfähigkeit dieses Angeklagten sowie zur Frage einer etwaigen Unterbringung gemäß § 64 StGB anregte.
Nicht verständlich ist aber bereits, aus welchen Gründen das Schöffengericht das Verfahren sodann bis zum 17.07.1998 in keiner Weise mehr gefördert hat. Erst am 17.07.1998 erfolgte nämlich durch das Schöffengericht die Anfrage an die Staatsanwaltschaft in Essen, ob diese mit der Beauftragung der Sachverständigen Dr. W. mit der Begutachtung des Angeklagten M.G. einverstanden sei. Am 24.07.1998 nach Eingang der bejahenden Antwort der Staatsanwaltschaft damit aber fast 3 Monate nach der Anklageerhebung, erfolgte die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen beide Angeklagten unter Beauftragung der Sachverständigen Wiedemann mit der Begutachtung des Angeklagten M.G. sowie unter Bestimmung des Hauptverhandlungstermins auf den 25.08.1998. Damit verbleibt hier ein Zeitraum von fast 3 Monaten ohne erkennbare Verfahrensförderung (Eingang der Anklage vom 21.04.1998 beim Amtsgericht: 07.05.1998; Eröffnung des Hauptverfahrens: 24.07.1998).
In der Folgezeit ist der Hauptverhandlungstermin vom 25.08.1998 aufgrund der Terminslage der Sachverständigen sowie der Verteidigerin des Angeklagten H.G. auf den 01.09.1998 verlegt worden. Im Termin vom 01.09.1998 erfolgte sodann die Verweisung der Sache gemäß § 270 StPO an die Strafkammer des Landgerichts Essen mit der Begründung, angesichts der Vorstrafen der Angeklagten reiche die Strafgewalt des Amtsgerichts nicht aus. Eine Beweisaufnahme war zuvor durch das Schöffengericht nicht erfolgt. Allein die Verteidigerin des Angeklagten H.G. hatte im Hauptverhandlungstermin vom 01.09.1998 die Begutachtung auch dieses Angeklagten zur Frage der Schuldfähigkeit und einer etwaigen Unterbringung gemäß § 64 StGB beantragt.
Die Verweisung gemäß § 270 StPO erst im Hauptverhandlungstermin vom 01.09.1998 bei zum Nachteil der Angeklagten unveränderter Sachlage - die Vorstrafen waren bereits bei Anklageerhebung bekannt - stellt eine grob fehlerhafte Sachbehandlung durch das Amtsgericht dar, durch die das verfassungsrechtliche Gebot der beschleunigten Behandlung von Untersuchungshaftfällen verletzt worden ist (vgl. BVerfG, StV 1992, 522). Zwar mag angesichts der erheblichen und zum überwiegenden Teil einschlägigen Vorbelastungen insbesondere des Angeklagten M.G., der bereits wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und in einem anderen Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und zuletzt am 11.02.1998 aus der Haft entlassen worden war, von vornherein Anklageerhebung vor dem Landgericht geboten gewesen sein, zumal auch der Mitangeklagte H. G. bereits dreimal wegen Gewalttaten zu Freiheitsstrafen verurteilt und seinerseits zuletzt am 28.06.1997 aus der Strafhaft entlassen worden war. Die Entscheidung, die Sache an das Landgericht abzugeben, hätte das Schöffengericht aber nicht erst mit einer Verzögerung von knapp 5 Monaten nach Eingang der Anklage bei ihm im Hauptverhandlungstermin vom 01.09.1998, sondern bereits unmittelbar nach Eingang der Anklage gemäß § 209 Abs. 2 StPO im Zwischenverfahren treffen müssen (vgl. OLG Frankfurt, StV 1994, 328).
Infolge der Verweisung der Sache an die Strafkammer ist es darüber hinaus zu einer weiteren Verfahrensverzögerung von mehr als 3 Monaten gekommen, da die Strafkammer aufgrund der gebotenen Abstimmung mit den weiteren Verfahrensbeteiligten Hauptverhandlungstermine erst auf den 11. und 14.12.1998 anberaumen konnte.
Diese mehrmonatige Verzögerung des Verfahrens hat sich auch zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt. Es sind keine Umstände dafür erkennbar, dass die Strafkammer bei Übernahme des Verfahrens gemäß § 209 Abs. 2 StPO bereits im Mai 1998 auch erst Mitte Dezember 1998 gegen die Angeklagten hätte verhandeln können. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Verteidigerin des Angeklagten H.G. erst im Hauptverhandlungstermin vor dem Schöffengericht am 01.09.1998 die Einholung eines Sachverständigengutachtens betreffend die Schuldfähigkeit bzw. Unterbringung auch dieses Angeklagten beantragt hat. Die Einholung eines solchen Gutachtens hatte sich nämlich bereits im Anschluß an den Vermerk der Polizei vom 20.03.1998 aufgedrängt, nach dem der Angeklagte H.G. u.a. im Jahre 1995 wegen einer im Vollrausch begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war und als "gefährlicher Gewalttäter (einzuschätzen sei), der nach Alkoholgenuß zu Exzessen neigt." Hinzu kommt, dass beide Angeklagte nach den Angaben des geschädigten Wirtes zumindest den Raubüberfall vom 18.03.1998 unter nicht unerheblichem Alkoholeinfluß begangen haben und offenbar demselben dissozialen Milieu zuzurechnen sind. Bei der gebotenen Verfahrensförderung hätte deshalb jedenfalls bereits im Mai 1998 - ggf. nach Übernahme des Verfahrens durch das Landgericht - die Einholung eines Sachverständigengutachtens betreffend die Schuldfähigkeit und die Frage der Unterbringung beider Angeklagter veranlaßt werden und sodann zeitnah terminiert werden müssen.
Bei dieser Sachlage waren die Haftbefehle aufzuheben.
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