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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 1097/98 OLG Hamm

Leitsatz: Ein Sachverständiger ist bereits dann ein geeignetes Beweismittel, wenn vorhandene Anknüpfungstatsachen ihm Schlußfolgerungen ermöglichen können, die für sich allein die unter Beweis gestellte Behauptung lediglich wahrscheinlicher machen.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Sachverständigengutachten, Ungeeignetheit, Verfahrensrüge

Normen: 244 StPO

Beschluss: Strafsache gegen den M.D.,
wegen Straßenverkehrsgefährdung u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 19. Mai 1998 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27.10. 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten "wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung und wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen in Höhe von je 20,- DM" verurteilt. Es hat ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Strafkammer hat die Berufung des Angeklagten verworfen.

Nach den Urteilsfeststellungen fuhr der Angeklagte mit seinem PKW Fiat Regata auf der Landstraße 685 von Arnsberg nach Sundern über den Berg "Ochsenkopf". Auf der kurvenreichen Strecke war auch der Zeuge W. mit seinem Motorrad unterwegs. Soziusfahrerin des Zeugen war die Zeugin R. Nachdem der Zeuge W. den Angeklagten, dann dieser wieder den Zeugen überholt hatte, überholte der Zeuge W. nach einiger Zeit wiederum den PKW des Angeklagten. Das folgende Geschehen hat die Strafkammer im einzelnen wie folgt festgestellt:

"Der Angeklagte ärgerte sich über das Fahrverhalten des Zeugen W. empfindlich und beschloß, ihm einen Denkzettel zu verpassen. Daher nutzte er seine gute Ortskenntnis, beschleunigte ausgangs einer der letzten scharfen Kurve vor einer etwas längeren Geraden und begann mit dem Überholen des vor ihm fahrenden Krades. Als sich der PKW des Angeklagten auf gleicher Höhe mit dem Krad, das etwa in der Mitte des rechten Fahrstreifens fuhr, befand, zog der Angeklagte abrupt mit seinem PKW nach rechts, um das Krad abzudrängen und die Kradfahrer zu gefährden und zu erschrecken. Gegenverkehr nahte zu diesem Zeitpunkt nicht, der Angeklagte hätte mühelos den Überholvorgang in ordnungsgemäßer Art und Weise zu Ende bringen können. Der Zeuge W. hatte zwar das Überholmanöver bemerkt, aber mit dem Abdrängen nicht gerechnet. Er versuchte instinktiv, durch Schwerpunktverlagerung des Oberkörpers nach rechts sein Krad aus dem Gefahrenbereich nach rechts an den Straßenrand zu bringen. Noch ehe ihm dies jedoch ganz gelungen war, kam es zur Berührung, und zwar berührte die rechte vordere Seite des PKW die Fußspitze des linken Fußes des Angeklagten. Diese Fußspitze war nach links außen gedreht und ragte nach links über die Verkleidung und sogar über den relativ schmalen Lenker des Krades hinaus. Da sich jedoch beide Fahrzeuge noch in der Vorwärtsbewegung befanden, kam es nicht zu einem folgenschweren Unfall, vielmehr wurde das Krad nur etwas instabil und schlingerte leicht infolge der abrupten Bewegung nach rechts, ohne jedoch außer Kontrolle zu geraten. Dem Zeugen W. gelang es jedoch, das Fahrzeug zu stabilisieren und sodann am rechten Fahrbahnrand zu stoppen. W. und die Beifahrerin R. waren beide aufs äußerste erschrocken, stiegen ab und blieben einige Minuten neben der Maschine stehen, um den Vorfall zu besprechen und sich angemessene Reaktionen zu überlegen. Als der Zeuge W. gerade wieder aufgestiegen war, kam der Angeklagte, der auf der nahegelegenen Bergkuppe des Ochsenkopf gewartet hatte, mit seinem PKW zurück. Der Angeklagte hielt auf der Höhe des Zeugen an, notierte sich in auffälliger Weise das amtliche Kennzeichen und rief den Zeugen, nachdem er die Scheibe herunter gedreht hatte, zu, er werde den Vorfall anzeigen. Der Zeuge W. erwiderte, er werde das gleiche tun. Dies wiederum brachte den Angeklagten noch weiter in Rage. Er stieg aus, beschimpfte die Zeugen und ging in bedrohlicher Weise auf sie zu. Er rief unter anderem, es sei eine Schande, dass man für solche Personen Steuern zahlen müsse, man müsse sie eigentlich totschlagen. Der Zeuge W., der auf der Maschine saß und eine Tätlichkeit des Angeklagten befürchtete, brüllte daraufhin den Angeklagten laut an, er solle verschwinden. Auch die Zeugin R. rechnete mit einer Auseinandersetzung. Dazu kam es dann nicht mehr, sondern der Angeklagte drehte sich kurz vor der Maschine des Zeugen um und ging zu seinem PKW zurück. Er fuhr dann weg und erstattete später Anzeige. Die Zeugen W. und R. fuhren zur Polizeiwache nach Sundern, die jedoch nicht besetzt war. Sie erstatteten dann an ihrem Wohnort Soest bei der dortigen Polizei Anzeige."

Der Angeklagte, der "nach mehrfachem Vorhalt die Beleidigungen eingeräumt hat", hat sich dahin eingelassen, er sei von dem Zeugen W. mit dem Krad ausgebremst worden, er habe nicht abgedrängt und zu einer Berührung sei es nicht gekommen.

Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten durch die Bekundungen der Zeugen W. und R. als widerlegt erachtet. Auf die insoweit in dem angefochtenen Urteil niedergelegte Beweiswürdigung wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten als "vorsätzlichen Verstoß gegen § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b StGB sowie als Beleidigung der beiden Zeugen gemäß § 185 StGB gewertet.

Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten. Sie erhebt die allgemeine Sachrüge sowie mit näheren Ausführungen die Rüge der Verletzung von Verfahrensrecht.

Das Rechtsmittel hat bereits mit der ordnungsgemäß erhobenen Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg.

Die Strafkammer hat - wie die Revision zutreffend ausführt die von dem Angeklagten beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte bei dem angeblichen Überholvorgang auf dem "Ochsenkopf" den Stiefel des Zeugen W. Oberhaupt nicht berührt haben kann, ohne dass es hier auch zu einer Berührung der Fahrzeuge selbst gekommen wäre, als völlig "ungeeignet',' abgelehnt und das damit begründet, der Zeuge habe sich mit seiner Maschine in einer Schrägstellung nach rechts befunden und die Fußspitze des Zeugen entsprechend seiner individuellen Gewohnheit seitlich herausgeragt. Diese Begründung kann die Ablehnung des Beweisantrages nicht tragen.

Zwar kann ein Sachverständiger ein im Sinne von § 244 Abs. 3 StPO völlig ungeeignetes Beweismittel sein, wenn es nach den Umständen des Einzelfalles nicht möglich ist, ihm tatsächliche Anknüpfungspunkte zu verschaffen, die er für die Erstattung eines Gutachtens benötigt (vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 244 Rdnr. 284 m.w.N.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., Rdnr. 59 a m.w.N.). Völlig ungeeignet ist ein Beweismittel aber lediglich dann, wenn auszuschließen ist, dass sich der Gutachter zur vorgelegten Beweisfrage sachlich überhaupt äußern kann (vgl. BGHSt 14, 339, 341). Die Möglichkeit einer sachdienlichen Äußerung des Gutachters ist jedoch schon für den Fall gegeben, dass eine Stellungnahme (zunächst nur) für die Feststellung von Anknüpfungstatsachen bedeutsam werden kann, zumal wenn diese auch indizielle Bedeutung für die aufgestellten Beweisbehauptungen haben (vgl. BGH, NStZ 1985, 562). Deshalb ist ein Sachverständiger bereits ein geeignetes Beweismittel, wenn vorhandene Anknüpfungstatsachen ihm Schlußfolgerungen ermöglichen können, die für sich allein die unter Beweis gestellte Behauptung lediglich wahrscheinlicher machen (vgl. BGH, Beschluss vom 15.06.1984 in 5 StR 359/84, zitiert bei BGH, NStZ 1985, 562).

Im vorliegenden Fall ist es keineswegs ausgeschlossen, dass sich ein Sachverständiger unter Berücksichtigung der bekannten Beschaffenheit der am Vorfall beteiligten Fahrzeuge sowie der von dem Zeugen W. behaupteten Sitzstellung und Fahrverhalten sich sachverständig dazu äußern konnte, ob im Hinblick auf die Beschaffenheit der Fahrzeuge eine Berührung der Fußspitze des Zeugen ohne eine Berührung auch der beiden Fahrzeuge möglich war oder ob dies technisch ausgeschlossen werden kann. Insoweit zielte der Beweisantrag darauf ab, die Richtigkeit der Aussage des Zeugen W. über den Anstoß zu überprüfen. Zu der aufgeworfenen Frage kann sich ein technischer Sachverständiger durchaus äußern. Auf dem aufgezeigten Verfahrensverstoß beruht das Urteil, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Sachverständige, wäre er von der Strafkammer gehört worden, zu dem von der Verteidigung erstrebten Beweisergebnis gekommen wäre.

Der Sache nach hat die Strafkammer den von der Verteidigung angebrachten Beweisantrag mit Erwägungen beantwortet, die auf eine Inanspruchnahme eigener Sachkunde hinweisen. Sie sind jedoch nicht geeignet, angesichts der übrigen Fassung des Ablehnungsbeschlusses die Auslegung zu rechtfertigen, die Kammer habe den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, dass sie selbst die erforderliche Sachkunde besitze (§ 244 Abs. 4 Satz 1 StPO).

Da bereits die erörterte Verfahrensrüge durchgreift und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, brauchte der Senat auf die weiter erhobene Verfahrensrüge sowie auf die Sachrüge nicht näher einzugehen.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei einem anderen Beweisergebnis die Glaubwürdigkeit des Zeugen oder die Glaubhaftigkeit seiner Aussage in Zweifel gezogen werden kann, hat der Senat das Urteil in vollem Umfang aufgehoben, damit in der neuen Hauptverhandlung das Tatgeschehen einschließlich der Umstände der Beleidigung umfassend geprüft werden kann.

Das angefochtene Urteil war daher mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Arnsberg zurückzuweisen.


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