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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss OWi 1037/98 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den erforderlichen Feststellungen bei einem qualifizierten Rotlichtverstoß und an die tatrichterliche Beweiswürdigung bei einer gezielten Rotlichtüberwachung

Senat: 4

Gegenstand: OWi

Stichworte: Rotlichtverstoß, Darlegung der Rotlichtdauer, Fahrverbot, keine Zeitmessung, Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, Beweiswürdigung

Normen: 37 StVO, StVG 25, StPO 261

Beschluss: Bußgeldsache gegen M.H.,
wegen Zuwiderhandlung gegen § 37 StVO.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdinghausen vom 25. Mai 1998 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 01.10.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Lüdinghausen zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen einer "fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 24 StVG, 37 Abs. 2, 49 StVO" zu einer Geldbuße von 250,00 DM verurteilt und ihr für die Dauer eines Monats untersagt, Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.

Hierzu hat es folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
"Am 06.01.1998 gegen 19.00 Uhr befuhr die Betroffene mit dem PKW VW, mit dem amtlichen Kennzeichen MS - AS 189 die Wolfsberger Straße. An der Kreuzung mit der Straße Disselhook beobachtete sie das Rotlicht der dort befindlichen Lichtzeichenanlage nicht. Ohne ihr Fahrzeug anzuhalten, überquerte sie den Kreuzungsbereich.

Der Vorfall ereignete sich innerhalb der geschlossenen Ortschaft. Die höchstzulässige Geschwindigkeit betrug 50 km/h. Als die Ampel für die Betroffene nach einer drei Sekunden dauernden Gelbphase auf Rotlicht umschaltete, befand sich das Fahrzeug noch ca. 20 m vor der Haltelinie."

Die Betroffene hat den Rotlichtverstoß an der Lichtzeichenanlage eingeräumt. Sie hat sich aber dahin eingelassen, beim Umschlagen der Lichtzeichenanlage auf rot deutlich weniger als 20 m von der Haltelinie entfernt gewesen zu sein.

In der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht dazu folgendes ausgeführt:
"Das Gericht hält diese Darstellung der Betroffenen aufgrund der Bekundungen der Zeugin K. für widerlegt. Die Zeugin K. überwachte damals die Ampelanlage gezielt auf Rotlichtverstöße. Sie hatte sich vor dem Kiosk auf dem Parkplatz neben der Kreuzung etwa 30 m vor dem hier in Frage stehenden Ampelmast so postiert, dass sie frei von Sichthindernissen den sich der Kreuzung nähernden Verkehr beobachten konnte. Die Zeugin K. hält es für ausgeschlossen, dass ihr hinsichtlich der Feststellung der Entfernung des Fahrzeugs von der Haltelinie, als das Umschalten auf Rotlicht erfolgte, ein Irrtum unterlaufen ist. Sie hatte sich damals genau die Stelle gemerkt, an der sich das Fahrzeug befand, als das Rotlicht erschien.

Die Zeugin hat ruhig und sachlich ausgesagt. Das Gericht hat keine Zweifel an der Richtigkeit ihrer Bekundungen."

Das Amtsgericht hat das Geschehen als fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit der Betroffenen nach § 37 Abs. 2 StVO gewertet und deshalb gegen sie auf eine Geldbuße in Höhe von 250,00 DM erkannt. Zur Verhängung des Fahrverbots hat das Amtsgericht folgendes ausgeführt:

"Angesichts der Entfernung, in der sich die Betroffene mit ihrem Fahrzeug noch vor der Ampelanlage befand, als diese auf Rot umschaltete, ist ihr Fehlverhalten als grobe Verletzung der Pflichten zu bewerten, die sie als Führerin eines Kraftfahrzeugs trafen. Die in Frage stehende Kreuzung befindet sich am Rande des Stadtzentrums von Lüdinghausen. Um 19.00 Uhr an einem Werktag herrscht dort noch reger Verkehr. Die Möglichkeit einer Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer war deshalb nicht gering. Unter diesen Umständen erschien es als notwendig, die Betroffene durch Anordnung eines Fahrverbotes eindringlich anzuhalten, in Zukunft die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers strikt einzuhalten (§ 25 Abs. 1 StVG)."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Die bisher getroffenen Feststellungen und Beweiserwägungen tragen nicht die Verurteilung der Betroffenen wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO i.V.m. lfd. Nr. 34.2 BKatV).

Abgesehen davon, dass das Amtsgericht nicht konkret festgestellt hat, dass die Betroffene die Haltelinie zu einem Zeitpunkt überfuhr, als die für sie maßgebliche Rotlichtphase bereits länger als eine Sekunde aufleuchtete, ist dem Urteil dieser Umstand auch nicht mittelbar zu entnehmen. Hierzu fehlt es an Angaben darüber, mit welcher Geschwindigkeit sich die Betroffene der Ampelanlage genähert hat. Festgestellt ist lediglich, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit dort (innerorts) 50 km/h beträgt und dass sich das Fahrzeug der Betroffenen noch ca. 20 m vor der Haltelinie befunden hat, als die Lichtzeichenanlage auf Rotlicht umgeschaltet hatte. Daraus lässt sich aber noch nicht herleiten, dass die Rotlichtphase schon länger als eine Sekunde angedauert hatte, als die Betroffene die Haltelinie der Ampelanlage passierte. Wenn sie mit einer höheren als der zulässigen Geschwindigkeit fuhr oder in Anbetracht des Phasenwechsels ihr Fahrzeug in der Annäherung an die Lichtzeichenanlage beschleunigte, kann die zum Durchfahren der ca. 20 m erforderliche Zeitspanne auch unter oder bei 1 Sekunde gelegen haben.

Darüberhinaus ist das angefochtene Urteil auch insoweit lückenhaft, als es die Erörterung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin K. betrifft.

Der Tatrichter hat jedes Beweismittel in seinem Wert selbst frei würdigen. Er ist dabei nicht an Beweisregeln oder an sonstige Richtlinien gebunden, die ihm vorschreiben, unter welchen Voraussetzungen er eine Tatsache für bewiesen oder nicht bewiesen zu halten oder welchen Wert er einem Beweismittel beizumessen hat. Diesen Wert im konkreten Fall festzustellen, ist aber seine ureigene, typische Aufgabe (vgl. KK-Hürxtal, 3. Aufl.(1993), § 261 StPO Rdnr. 28, 29 m. w. N.).

Die dem Tatrichter eingeräumte Freiheit bedeutet indes nicht, dass er seine Befugnis willkürlich ausüben darf. Seine Schlußfolgerungen tatsächlicher Art brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie denkgesetzlich oder nach der Lebenserfahrung möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. KK-Hürxtal, § 261 StPO Rdnr. 3 m. w. N.). Sie dürfen sich aber nicht so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernen, dass sie letztlich bloße Vermutungen sind, die nicht mehr als einen Verdacht begründen (vgl. BGH NStZ 1981, 33; KK-Hürxtal, a.a.O., § 261 StPO Rdnr. 45).

Gegen diese aufgezeigten Grundsätze verstoßen die Ausführungen des Amtsgerichts, weil die tatrichterliche Überzeugungsbildung nicht hinreichend dargelegt ist. Sie ist wesentlich auf die subjektive Einschätzung der Zeugin gegründet, sie halte es für ausgeschlossen, dass ihr hinsichtlich der Feststellung der Entfernung des Fahrzeugs von der Haltelinie, als das Umschalten auf Rotlicht erfolgte, ein Irrtum unterlaufen ist, sie habe sich damals genau die Stelle gemerkt, an der sich das Fahrzeug bei Rotlichtbeginn befand. Zur Frage der Verläßlichkeit dieser Einschätzung der Zeugin findet sich lediglich die Erwägung, dass sie freie Sicht auf den sich der Kreuzung nähernden Verkehr gehabt und ruhig und sachlich ausgesagt habe. Das reicht jedoch hier nicht aus. Vielmehr hätte es weiterer Feststellungen dazu bedurft, ob und ggf. welche Orientierungshilfen der Zeugin zur Fixierung der "gemerkten" Stelle zur Verfügung standen, ob sie die Entfernung dieser Stelle bis zur Haltelinie anschließend gemessen oder geschätzt hat und ob sie - letzterenfalls - in solchen Schätzungen geübt ist und ggf. Orientierungs- bzw. Schätzhilfen zur Verfügung hatte. Entsprechendes gilt für die Würdigung einer etwaigen Angabe der Zeugin zu der von der Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit.

Es ist anerkannt, dass solchen Schätzungen durch Zeugen wegen ihrer Fehlerquellen mit besonderer Vorsicht zu begegnen ist (vgl. BGH VM 1963, 25). Der Tatrichter muss ihren Beweiswert deshalb besonders kritisch prüfen und in den Urteilsgründen nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen er im konkreten Fall der Zeugenaussage gefolgt ist und wie er den methodischen Unsicherheiten ggf. durch Anerkennung eines Toleranzwertes, getragen hat.
Hinsichtlich der Ermittlung der Fahrgeschwindigkeit der Betroffenen mag der Tatrichter davon ausgehen dürfen, dass geschulte und erfahrene Polizeibeamte bei gezielter Verkehrsüberwachung in der Lage sind, Fahrgeschwindigkeiten beweisverwertbar zu schätzen (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 34. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 63 m.w.N.); die Verläßlichkeit der Schätzungen ist aber fraglich, wenn der Polizeibeamte diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass es hier nicht etwa um die Feststellung einer erheblichen, "augenfälligen" Geschwindigkeitsüberschreitung geht, es kommt vielmehr - im Hinblick auf eine anzustellende Weg-Zeit-Rechnung - auf die Abschätzung der Möglichkeit einer Abweichung von der "Normal"-Geschwindigkeit in einem u.U. recht engen Rahmen an. Gesichtspunkte, die die Fehlerquellen der solchermaßen zu beurteilenden einzelnen Schätzung (etwa durch einen Toleranzabzug bei der beobachteten Rotlichtstrecke und einen Toleranzzuschlag bei der der Betroffenen beigemessenen Geschwindigkeit) ausräumen könnten, muss das Amtsgericht darlegen. Dabei wird es auch auf die Überprüfung der Beobachtungssituation ankommen. Zudem dürfte eine nachprüfbare Weg-Zeit-Rechnung anzustellen sein.

Sollte das Amtsgericht in der neuen Hauptverhandlung abermals einen qualifizierten Rotlichtverstoß feststellen können und sollte es deswegen ein Fahrverbot verhängen wollen, wird es die insoweit von der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zu beachten haben (vgl. BGHSt 38, 125; OLG Hamm, VRS 90, 392 f., BGH NJW 1997, 3252 f., u. v. a.).


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