Aktenzeichen: 3 Ss 1095/98 OLG Hamm
Leitsatz: Die zur Erfüllung des Tatbestandes des räuberischen Diebstahls erforderliche Gewahrsamsbehauptungsabsicht kann nicht ohne weiteres nur deshalb angenommen werden, weil der Täter unter Mitnahme der Beute geflohen ist.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: Erhalt der Sachen, räuberischer Diebstahl, Gewahrsamsbehauptung, Strafverfolgung
Normen: StGB 252 StGB, GVG 189
Beschluss: Strafsache gegen F.A.,
wegen räuberischen Diebstahls.
Auf die Sprung-Revision des Angeklagten gegen das Urteil Amtsgerichts Essen vom 25.06.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.10.1998 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zuqrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Nach den zugrundeliegenden Feststellungen suchte der Angeklagte am 20.08.1997 zusammen mit zwei anderen Personen die TIP-Filiale auf der Kupferdreher Straße in Essen auf. Während er und seine Begleiter im Kassendurchgang standen, nahmen sie mehrere Schachteln Zigaretten aus dem dortigen Ständer an sich. Um wieviel Schachteln es sich genau handelte und wer von ihnen diese einsteckte, ist nicht beobachtet worden. Die Zeugin S.S., die die Wegnahme wahrgenommen hatte, wies die Kassiererin auf den Diebstahl hin. Die Begleiter des Angeklagten verließen vor ihm das Geschäft. Noch ehe der Angeklagte das Geschäft verlassen konnte, lief die Zeugin S.S hinter ihm her und versuchte, ihn festzuhalten. Sie ergriff ihn mit beiden Händen an einem Arm und hielt ihn kurze Zeit fest. Dabei fielen aus seiner Jacke einige Schachteln Zigaretten sowie auch Süßigkeiten zu Boden. Der Angeklagte wehrte sich gegen den Zugriff und bog dabei leicht einen der Zeugin um, so dass er davonlaufen konnte.
Nach den Urteilsfeststellungen hat sich der Angeklagte zur Sache nicht einlassen. Zur rechtlichen Würdigung führt die Kammer aus:
"Der Angeklagte hat sich demnach eines räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB schuldig gemacht. Das Losreißen von der Zeugin, auch wenn es unter geringem Kraftaufwand geschehen ist, muss als Gewaltanwendung gewertet werden. Dieser Vorgang, für den der Angeklagte keine Erklärung abgegeben hat, bedeutet auch, dass der Angeklagte mit den gestohlenen Zigaretten davonlaufen wollte."
Gegen dieses Urteil wendet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Sprungrevision des Angeklagten mit der Sachrüge sowie mit der Verfahrensrüge der Verletzung des § 189 GVG. Zur Begründung der Verfahrensrüge führt die Revision aus, dass der Dolmetscher ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 25.06.1998 weder einen Eid geleistet noch sich auf einen etwaigen zuvor geleisteten Eid berufen habe. Auch im Laufe der weiteren Hauptverhandlung sei weder nach § 189 Abs. 1 GVG noch nach Abs. 2 dieser Vorschrift verfahren worden. Angesichts der Tatsache, dass dem Dolmetscher die Bedeutung und Tragweite seiner Verpflichtung in keiner Weise erläutert worden sei, könne nicht ausgeschlossen werden, dass fehlerhaft übersetzt worden sei, worauf das Urteil beruhen könne.
II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat bereits mit der Sachrüge einen vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen.
Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen nämlich nicht die Verurteilung wegen räuberischen Diebstahls gemäß § 252 StGB.
Nach § 252 StGB wird wegen räuberischen Diebstahls gleich einem Räuber bestraft, wer nach Vollendung eines Diebstahls, d. h. nach dem Bruch fremden und der Begründung neuen Gewahrsams an der gestohlenen Sache, Gewalt gegen eine Person anwendet, um sich im Besitz der Sache zu erhalten, sofern er dies zu einem Zeitpunkt tut, in dem er auf frischer Tat betroffen wird. Hieraus folgt, dass die bloße Absicht des Täters, sich die Diebesbeute zu erhalten, zur Erfüllung des Tatbestandes des § 252 StGB nicht genügt, dazu vielmehr erforderlich ist, dass gerade auch die Gewaltanwendung von der Absicht getragen sein muss, eine Gewahrsamsentziehung zu verhindern, da anderenfalls nicht gerechtfertigt ist, die Tat ihrem Unrechtsgehalt nach einem Raub gleichzustellen (BGHSt 9, 162, 163 f.). Allerdings braucht die Absicht, sich im Besitze des gestohlenen Gutes zu erhalten, nicht der einzige Beweggrund für die Gewaltanwendung zu sein. Es genügt, wenn sie einer unter mehreren Beweggründen ist. Letzteres kann u. a. dann der Fall sein, wenn der Täter mit der Gewaltanwendung zunächst seine Festnahme verhindern will, gleichzeitig aber befürchtet, im Falle dieser Festnahme werde ihm die Diebesbeute ohne weiteres wieder abgenommen und er dies verhindern möchte (BGHSt 13, 64, 65; BGH NJW 1968, 2386, 2387; BGH NStZ 1984, 454, 455; BGH StV 1987, 196, 197; BGH StV 1987, 534, 535; BGH MDR 1987, 94; OLG Zweibrücken JR 1991, 383, 384; OLG Zweibrücken StV 1994, 545, 546). Dagegen scheidet eine Bestrafung wegen räuberischen Diebstahls dann aus, wenn es dem Täter allein darum geht, sich der Strafverfolgung zu entziehen (BGH NStZ 1984, 454, 455; BGH MDR 1987, 154; OLG Zweibrücken, JR 1991, 383, 384; OLG Zweibrücken, StV 1994, 545, 546), und er entweder bei der Flucht den Gewahrsam an den Beutestücken bereits - durch Herausgabe oder Wegwerfen - aufgibt (BGH NJW 1968, 2386, 2387) oder aber den Gewahrsam gar nicht gefährdet sieht (BGHSt 9, 162, 163, 13, 64, 65; StV 1987, 196, 197) oder aber die Beutestücke zwar mitnimmt, dies aber ohne das Bewußtsein der Gewahrsamssicherung ausschließlich zum Zwecke der Beweismittelbeseitigung tut (BGH StV 1987, 534, 535; BGH MDR 1987, 154) .
Diesen besonderen Anforderungen an die subjektive Tatseite des räuberischen Diebstahls genügt eine insoweit nur formelhafte und unvollständige Beweiswürdigung nicht (BGH MDR 1987, 94; OLG Zweibrücken JR 1991, 383, 384).
Insbesondere kann die Gewahrsamsbehauptungsabsicht nicht ohne weiteres nur deshalb angenommen werden, weil der Angeklagte unter Mitnahme der Beute geflohen ist (OLG Zweibrücken, JR 1991, 383, 384). Dies hat das Amtsgericht hier aber offenbar verkannt. Es hat zur inneren Tatseite nämlich lediglich festgestellt, "dass der Angeklagte mit den gestohlenen Zigaretten davonlaufen wollte". Dagegen fehlen die erforderlichen weiteren Feststellungen dazu, ob der Angeklagte zumindest auch deshalb mit den gestohlenen Zigaretten davonlaufen wollte, um den Gewahrsam an den Zigaretten zu behaupten, oder ob diese Absicht zum Zeitpunkt der Gewaltanwendung durch die Fluchtabsicht des Angeklagten bereits vollständig verdrängt war. Dann würde nämlich, da der Tatbestand des räuberischen Diebstahls hinsichtlich der Beutesicherung Absicht im Sinne zielgerichteten Willens voraussetzt (Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl., § 252 Rdnr. 7) und bloße Wissentlichkeit hinsichtlich der gleichzeitig mit der Flucht erfolgenden Gewahrsamsbehauptung nicht ausreicht (OLG Zweibrücken, JR 1991, 383, 384; Schönke/SchröderCramer, a.a.O., § 15 Rdnr. 65, 68) eine Bestrafung des Angeklagten nach § 252 StGB ausscheiden. Zudem kommt hier noch hinzu, dass der Angeklagte nach den Feststellungen des Amtsgerichts möglicherweise sämtliche zuvor entwendeten Zigarettenschachteln bereits vor der Gewaltanwendung, nämlich bereits zu dem Zeitpunkt, als ihn die Zeugin S.S. mit beiden Händen an einem Arm ergriff und kurze Zeit festhielt, verloren hatte. Nach den ausdrücklichen Feststellungen des Amtsgerichts erfolgte die Gewaltanwendung gegen die Zeugin erst nach dem Zeitpunkt, zu dem einige Schachteln Zigaretten aus der Jacke des Angeklagten auf den Boden gefallen waren. Da das Amtsgericht nicht feststellen konnte, wie viele Schachteln Zigaretten der Angeklagte entwendet hatte, mußte es auf der Grundlage seiner Feststellungen davon ausgehen, dass der Angeklagte sämtliche Schachteln bereits während des Festhaltevorgangs verloren hatte. Weil nach den Feststellungen des Amtsgerichts auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Angeklagte den Verlust der Beute nicht bemerkt hatte, würde es nicht nur fernliegen, sondern geradezu ausgeschlossen sein, dass er die sich anschließende Gewaltanwendung dann noch zumindest auch zum Zwecke der Gewahrsamssicherung ausübte. Andererseits erscheinen hierzu noch nähere Feststellung möglich, die der Senat als Revisionsgericht nicht treffen kann, so dass die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückzuverweisen war.
Da bereits die Sachrüge der Revision zu einem vorläufigen vollen Erfolg verholfen hatte, kam es auf die Verfahrensrüge nicht mehr an. Diese wäre im Übrigen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hier nicht in zulässiger Weise erhoben worden, da sie nicht darlegt, dass der Dolmetscher auch tatsächlich tätig geworden ist (BGH (bei Kusch), NStZ 1994, 26).
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