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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 1073/98 OLG Hamm

Leitsatz: Der Tatrichter ist nicht verpflichtet, Angaben des Angeklagten als unwiderlegt hinzunehmen, für die es keine unmittelbaren Beweise gibt. Die Einlassung des Angeklagten kann indes aber nur dann als widerlegt angesehen werden, wenn dem Tatrichter neben der Einlassung des Angeklagten noch weitere gewichtige Beweismittel zur Verfügung stehen, aufgrund derer dann im Rahmen der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung sämtlicher erhobenen Beweise die Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen werden kann.

Senat: 3

Gegenstand: Rebision

Stichworte: Beweiswürdigung, Einlassung, Hinnehmen der Einlassung als unwiderlegt, weitere Beweismittel

Normen: StPO 261

Beschluss: Strafsache gegen R.B.,
wegen Unterschlagung.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 05.06.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.10.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:
I. Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Strafrichters beim Amtsgericht Gelsenkirchen vom 10.02.1998, durch das der Angeklagte wegen Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,- DM verurteilt worden ist, mit der Maßgabe verworfen, dass die vom Amtsgericht gleichfalls angeordnete Einziehung der unter Nr. 179/97 der StA Essen asservierten Fahrradflickdose nebst Inhalt entfällt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese ebenso form- und fristgerecht mit der Rüge der Verletzung des materiellen Rechts unter näheren Ausführungen begründet.

II. Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur inneren Tatseite hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Nach dem Inhalt der Urteilsgründe stellt sich nämlich die Überzeugung der Kammer davon, dass der Angeklagte um den Inhalt der von ihn in Besitz genommenen Fahrradflickdose wußte, als bloße Annahme oder Vermutung dar, die letztlich nicht mehr als einen entsprechenden Verdacht gegen den Angeklagten zu begründen vermag.

Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils war der Angeklagte am 23.01.1997 gegen 23.40 Uhr im Besitz einer Fahrradflickdose, die zahlreiche gültige Stadtsiegel, TÜV- und ASU-Plaketten enthielt, wobei die Kammer nicht festzustellen vermochte, auf welche Weise der Angeklagte in den Besitz dieser Gegenstände gelangt war. Die Kammer hat jedoch die Überzeugung gewonnen, dass der Angeklagte um den Inhalt der Fahrradflickdose wußte und die Siegel und Plaketten deshalb nicht bei den zuständigen Stellen abgeliefert hatte, weil er diese Dinge für sich nutzbar machen wollte. Der Angeklagte hatte sich demgegenüber eingelassen, er habe die Dose etwa 2 Wochen vor dem 23.01.1997 auf der Straße gefunden, sie aber nicht geöffnet sondern lediglich hin- und hergeschüttelt. Dabei habe er festgestellt, dass die Dose Gegenstände enthielt, bei denen es sich nach seiner Vorstellung aufgrund des sich auf der Dose befindlichen Etiketts um Fahrradflickzeug handelte, das er für sich habe verwenden wollen, weil er ein Mofa besitze, mit dem er gelegentlich fahre. Diese Einlassung hat die Kammer mit folgenden Erwägungen als widerlegt angesehen:

"Der Tatrichter darf Angaben des Angeklagten, deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen und seiner Entscheidung zugrunde legen, wenn für deren Richtigkeit keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen (vgl. BGHStT 34, 29, 34; Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 22. April 1997 - 4 StR 133/97 -; Hürksthal in KK-StPO 3. Auflage, § 261 Rn. 56 a.E.). Der Wahrheitsgehalt der Angaben des Angeklagten ist schon deshalb Zweifeln ausgesetzt, weil es nach der Lebenserfahrung fern liegt, dass jemand eine Dose findet, überprüft, ob sie Gegenstände beinhaltet, die Dose aber nicht öffnet, um deren genauen Inhalt festzustellen. Gerade wenn das Etikett einer Dose auf Fahrradflickzeug, also auf als geringwertig einzustufende Sachen als Inhalt hindeutet, liegt es nahe, den Inhalt zu überprüfen. Derartige Maßnahmen sind schon deshalb veranlaßt, um die hinreichende Grundlage für die Bewertung zu haben, ob es überhaupt nutzbringend ist, sich der Dose zu bemächtigen. Dies gilt um so mehr, wenn der Finder nach dem Etikett auf der Dose den Inhalt als für sich verwendbar einstuft. Hierbei hat die Kammer bedacht, dass der Angeklagte nach dem persönlichen Eindruck, den sie von ihm gewonnen hat, eine eher einfach strukturierte Persönlichkeit ist. Zu den hier in Rede stehenden Überlegungen war er aber durchaus in der Lage, zumal er sich gerade auf technischem Gebiet als versiert gezeigt hat.

Der Einlassung des Angeklagten steht ferner entgegen, dass er die Dose mit dem Flickzeug entweder in der Seitentasche seiner Hose oder aber im Handschuhfach des Fahrzeuges, zu dem er Zugang hatte, aufbewahrte. Er hat sich dahin eingelassen, er habe die Dose für den Fall, dass sein Mofa einen Defekt hat, verwenden wollen. Es widerspricht der Lebenserfahrung, dass jemand, der eine derartige Verwendung ins Auge gefaßt hat, die Dose weit ab von seinem Mofa aufbewahrt. Sinnvoll wäre es dagegen gewesen, die Dose am Mofa selbst, nämlich in der dafür vorgesehenen Haltebox, unterzubringen."

Zutreffend ist der Ansatz der Kammer, dass der Tatrichter nicht verpflichtet ist, Angaben des Angeklagten als unwiderlegt hinzunehmen, für die es keine unmittelbaren Beweise gibt; die Zurückweisung einer Einlassung erfordert nicht, dass sich ihr Gegenteil positiv feststellen lässt (BGHR StPO § 261 Einlassung 5 - Urteil vom 26.05.1993 -; Einlassung 6 - Urteil vom 16.08.1995 -; Überzeugungsbildung 20 - Urteil vom 09.12.1992, je m.w.N.).
Die Einlassung des Angeklagten kann indes - und dies hat das Landgericht verkannt - aber ungeachtet des vorgenannten Grundsatzes nur dann als widerlegt angesehen werden, wenn dem Tatrichter neben der Einlassung des Angeklagten noch weitere gewichtige Beweismittel zur Verfügung stehen, aufgrund derer dann im Rahmen der gebotenen umfassenden Gesamtwürdigung sämtlicher erhobenen Beweise die Einlassung des Angeklagten als widerlegt angesehen werden kann (BGH, a.a.O.). Dabei kann der Tatrichter insbesondere auch äußere Umstände zur Beurteilung der subjektiven Seite mit heranziehen und die Angaben des Angeklagten hierdurch als widerlegt ansehen, ohne dass es für das Gegenteil der Angaben des Angeklagten unmittelbare Beweise gibt (BGH, a.a.O.).

Solche weiteren Beweismittel standen der Kammer im vorliegenden Fall indes nach dem Inhalt der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht zur Verfügung. Die Kammer hat ihre Überzeugung von der Schuld des Angeklagten im Hinblick auf die innere Tatseite allein aus den von ihr angeführten Sätzen der Lebenserfahrung gewonnen. Dies mag nicht generell unzulässig sein, sofern sich für die Schlußfolgerungen der Kammer objektive Grundlagen finden lassen, die ihrer Überzeugungsbildung zugrundeliegen. Diese Grundlagen müssen aber so beschaffen sein, dass sie aus rationalen Gründen den Schluss erlauben, dass das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Da dies der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich ist, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und dass die vom Tatrichter gezogenen Schlußfolgerungen nicht etwa nur eine Annahme sind oder sich als bloße Vermutung erweisen, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermögen (BGH, StV 1995, 453; StV 1993, 510, 511, je m.w.N.; vgl. auch Herdegen, StV 1992, 527, 533 f).
Solche objektiven Grundlagen der von ihr gewonnenen Überzeugung von der Schuld des Angeklagten auch im Hinblick auf die innere Tatseite lassen die Ausführungen der Kammer jedoch vermissen. Dementsprechend formuliert die Kammer selbst allein in der Weise, dass der Wahrheitsgehalt der Angaben des Angeklagten "Zweifeln" ausgesetzt sei, dass es nach der Lebenserfahrung fernliegen, dass der Angeklagte die Dose nicht geöffnet habe, vielmehr gerade angesichts des Etiketts der Dose "naheliege", den Inhalt zu überprüfen. Die Kammer argumentiert hier bereits nach ihrer eigenen Wortwahl nur mit Vermutungen i.S. eines mehr oder weniger ausgeprägten Verdachtsgrades gegen den Angeklagten, ohne dass sich hieraus aus rationalen Gründen der Schluss ergibt, dass das von ihr festgestellte Geschehen mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Soweit die Kammer darüber hinaus Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten aus dem Aufbewahrungsort der fraglichen Dose zieht, hat sie einerseits nicht einmal aufgeklärt, ob sich an dem Mofa des Angeklagten überhaupt die von ihr angesprochene Haltebox befand, so dass hier bereits die tatsächlichen Grundlagen des von der Kammer angeführten Indizes nicht feststehen. Darüber hinaus bleibt nach den Feststellungen der Kammer die Möglichkeit, dass sich die betreffende Dose in der Hose des Angeklagten befand; in diesem Falle hätte der Angeklagte aber auch dann jederzeitigen Zugriff auf die Dose gehabt, wenn er mit dem Mofa gefahren wäre, so dass die Kammer hier im Ergebnis auch die Aussagekraft des von ihr herangezogenen Indizes überbewertet (vgl. BGH, StV 1995, 453).

Hätte sich in der fraglichen Dose entsprechend der Einlassung des Angeklagten nur Fahrradflickzeug, mithin eine geringwertige Sache, deren Wert sicherlich mit deutlich unter 10,- DM zu veranschlagen gewesen wäre, befunden, so hätte der Angeklagte die Dose gemäß § 965 Abs. 2 BGB zunächst verwahren (§ 966 Abs. 1 BGB) dürfen, um dann nach Ablauf von 6 Monaten ohne Rückmeldung seitens des Verlierers der Dose daran Eigentum zu erwerben. Auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten entfällt damit die zum Tatbestand der Unterschlagung gemäß § 246 Abs. 1 StGB erforderliche rechtswidrige Zueignung.


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