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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss OWi 978/98 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme von Vorsatz bei einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung

Senat: 3

Gegenstand: OWi

Stichworte: erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung, Annahme von Vorsatz, Fahrlässigkeit, Bestand des Fahrverbots trotz Änderung der Schuldform

Beschluss: Bußgeldsache gegen V.S.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 3. Juni 1998 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 24. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richterinnen am Oberlandesgericht und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen einstimmig beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Betroffene wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße von 300,00 DM verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt wird.

Die Kosten des Rechtsmittels fallen dem Betroffenen zur Last.

Gründe:
I. Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Minden vom 03.06.1998 wegen einer vorsätzlichen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 3 Abs. 3 Nr. 2 c, 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 300,00 DM verurteilt. Außerdem wurde gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Nach den getroffenen Feststellungen überschritt der Betroffene am 14.11.1997 außerhalb geschlossener Ortschaften auf der B 482 mit dem von ihm gesteuerten PKW Mercedes Benz die durch beidseitig aufgestellte und von weitem gut erkennbare Zeichen 274 auf 70 km/h begrenzte zulässige Höchstgeschwindigkeit um 59 km/h. Die Geschwindigkeitsmessung wurde mit einem stationären Überwachungsgerät des Typs Traffiphot-S durchgeführt. Nach den Urteilsgründen nahm der Betroffene die Überschreitung der außerorts grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h in Kauf und hätte bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass er die durch Verkehrszeichen 274 auf 70 km/h reduzierte Höchstgeschwindigkeit überschritt und sein Fahrverhalten durch Herabsenkung der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit auch darauf einstellen können und müssen.

Der Amtsrichter hat die Auffassung vertreten, dass der Betroffene zumindest im Hinblick auf die Überschreitung der außerorts grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 29 km/h mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Zur Begründung hat der Amtsrichter auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 11.09.1997, veröffentlicht in NJW 1997, Seite 3252 ff., verwiesen und außerdem ausgeführt, bei einer derartig eklatanten Überschreitung der grundsätzlich außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit, die auch dem Betroffenen bekannt sei, ergebe sich für einen erfahrenen Kraftfahrzeugführer nach der Überzeugung des Gerichts ohne weiteres aus dem rascheren Vorbeiziehen der äußeren Straßenbegrenzungsmerkmale sowie anderer Verkehrsteilnehmer, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritten sei. Der Betroffene habe daher diese Geschwindigkeitsüberschreitung zumindest billigend in Kauf genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit der dieser die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II. Die Rechtsbeschwerde führt lediglich zu einer Abänderung des Schuldausspruches dahingehend, dass gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 7, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 300,00 DM und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt werden. Im übrigen war die Rechtsbeschwerde entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Verfahrensverstöße, die sich auf den Schuldausspruch ausgewirkt haben könnten, hat der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.

Die auf die von ihm erhobene Sachrüge vorgenommene Überprüfung des angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht hat einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen nur insoweit ergeben, als das Amtsgericht von einer vorsätzlichen Überschreitung der auf öffentlichen Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften geltenden Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 c StVO durch den Betroffenen ausgegangen ist. Die von dem Amtsgericht festgestellte Überschreitung der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 29 km/h rechtfertigt für sich alleine noch nicht den Vorwurf eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen. Eine Geschwindigkeit, mit der der Fahrer eines Kraftfahrzeuges derart erheblich von der ihm bekannten zulässigen Höchstgeschwindigkeit abweicht, dass deren Überschreitung einem durchschnittlichen Kraftfahrer nicht hätte verborgen bleiben können, kann zwar ein gewichtiges Indiz für ein vorsätzliches Handeln darstellen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung in dem hier festgestellten Umfang von 29 km/h lässt einen solchen Rückschluß allerdings noch nicht zu. Eine andere Beurteilung ist auch nicht aufgrund der von dem Amtsgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 11.09.1997 (NJW 1997, 3252 ff.) gegeben. In dieser Entscheidung heißt es zwar, wer als Führer eines Pkws außerhalb geschlossener Ortschaften (ausgenommen auf Autobahnen) schneller als 100 km/h fahre, werde die Ordnungswidrigkeit im allgemeinen vorsätzlich begehen, jedenfalls aber grob pflichtwidrig (Seite 3253). Dieser Satz bezieht sich aber ersichtlich auf die Überschreitung der in § 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO bestimmten absoluten Höchstgeschwindigkeit in denjenigen Fällen, in denen die Tabellen 1 und 1 a zur Bußgeldkatalogverordnung ein Fahrverbot vorsehen, was aber nach der hier anzuwendenden Tabelle 1 a erst bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts von 41 km/h der Fall ist. Dieser Zusammenhang ergibt sich aus dem dem oben zitierten Satz vorangehenden Text der Entscheidung des Bundesgerichtshofes unter dem Gliederungspunkt III. 3., b), aa) (NJW 1997, 3253). Zur Annahme eines vorsätzlichen Handelns des Betroffenen genügt auch nicht die Begründung des Amtsgerichts, für einen erfahrenen Kraftfahrzeugführer wie den Betroffenen habe sich ohne weiteres aus dem rascheren Vorbeiziehen der äußeren Straßenbegrenzungsmerkmale sowie anderer Verkehrsteilnehmer ergeben, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritten sei. Denn diese Schlußfolgerung würde zumindest voraussetzen, dass zum Zeitpunkt der Tatbegehung tatsächlich ausreichend Verkehr herrschte und dass die Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen so lange angedauert hat, dass diesem ein rascheres Vorbeiziehen an anderen Verkehrsteilnehmern oder an äußeren Straßenbegrenzungsmerkmalen hätte auffallen müssen. Feststellungen dazu enthält das angefochtene Urteil jedoch nicht.

Der Schuldausspruch kann daher, soweit dem Betroffenen damit ein vorsätzliches Handeln zur Last gelegt wird, keinen Bestand haben. Vielmehr ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen von einer fahrlässigen Überschreitung der durch Zeichen 274 angeordneten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h in Höhe von 59 km/h auszugehen. Weitere Feststellungen, die im Falle einer erneuten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht zu einer Verurteilung des Betroffenen wegen vorsätzlichen Handelns führen könnten, hält der Senat für ausgeschlossen. Er hat daher von der Möglichkeit des § 79 Abs. 6 OWiG Gebrauch gemacht und eine entsprechende Schuldspruchänderung vorgenommen.

Einer Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches bedurfte es trotz der Schuldspruchänderung nicht. Vielmehr konnte es bei dem amtsgerichtlichen Rechtsfolgenausspruch verbleiben. Der Amtsrichter hat nämlich trotz der von ihm angenommenen vorsätzlichen Handlungsweise des Betroffenen gegen diesen lediglich diejenigen Regelrechtsfolgen verhängt, die nach Nr. 5.3.5 der Tabelle 1 a Ziffer c des Anhangs zu Nr. 5 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV für eine fahrlässige Geschwindigkeitsüberschreitung von 59 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften vorgesehen sind, nämlich eine Geldbuße in Höhe von 300,00 DM sowie ein Fahrverbot von einem Monat. Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen weist der amtsgerichtliche Rechtsfolgenausspruch nicht auf. Soweit der Betroffene einen Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO mit der Begründung geltend macht, das Amtsgericht sei aufgrund seiner richterlichen Aufklärungspflicht gehalten gewesen, auch ohne Beweisantrag die Höhe seines Nettoeinkommens zu ermitteln, dieser Verstoß habe sich zu seinen Lasten bei der Verhängung des Fahrverbotes ausgewirkt, ist diese Rüge bereits unzulässig, da sie nicht in der gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 gebotenen Form erhoben worden ist. Es fehlen nämlich Ausführungen dazu, aufgrund welcher Tatsachen sich der Tatrichter zu einer weiteren Beweiserhebung hätte gedrängt sehen müssen. Auch aus den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass für das Amtsgericht Anlass bestand, das Nettoeinkommen des Betroffenen näher zu ermitteln, so dass sich auch ein Begründungsmangel und damit ein sachlich-rechtlicher Rechtsfehler hinsichtlich des Ausspruches über die Verhängung des Fahrverbotes nicht feststellen lässt. Insoweit kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 31.08.1998 verwiesen werden.

Nach der Überzeugung des Senates kann es ausgeschlossen werden, dass der Amtsrichter bei Zugrundelegung einer nur fahrlässigen Handlungsweise des Betroffenen gegen diesen mildere als die tatsächlich angeordneten Rechtsfolgen verhängen würde. Das Amtsgericht hat nämlich ausdrücklich ausgeführt, dass die verhängte Regelgeldbuße von 300,00 DM nach der Bußgeldkatalogverordnung schon bei einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung von 59 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften vorgesehen ist und deshalb an sich zu Lasten des Betroffenen zu berücksichtigen sei, dass dieser in Abweichung von den Regelsätzen der Bußgeldkatalogverordnung vorsätzlich gehandelt hat. Letztlich hat es aber mit Rücksicht auf das gleichzeitig angeordnete Fahrverbot ausnahmsweise die Verhängung der für die fahrlässige Begehungsweise festgesetzten Regelgeldbuße von 300,00 DM für tat- und schuldangemessen gehalten, so dass sich die Annahme einer vorsätzlichen Handlungsweise des Betroffenen bei der Bußgeldzumessung zu Lasten des Betroffenen nicht ausgewirkt hat. Ebenso kann ausgeschlossen werden, dass das Amtsgericht von der Anordnung des Regelfahrverbotes im vorliegenden Falle absehen würde, wenn dem Betroffenen lediglich ein fahrlässiger Geschwindigkeitsverstoß zur Last zu legen ist. Denn der Amtsrichter hat ein geringes Handlungsunrecht, das ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen könnte, unter näheren Ausführungen mit der Begründung verneint, dass für das Übersehen der sichtbar beiderseits der Fahrbahn aufgestellten Verkehrszeichen 274 im Bereich der Tatörtlichkeit mehr als ein nur kurzer Moment der Unaufmerksamkeit erforderlich gewesen sei und daher nach der Überzeugung des Gerichtes bereits nicht mehr von einem milderen Grad der Fahrlässigkeit hinsichtlich der Nichtwahrnehmung der Verkehrszeichen und in bezug auf den Verkehrsverstoß auszugehen sei. Lediglich zusätzlich hat das Amtsgericht außerdem ausgeführt, dass das bedingt vorsätzliche Handeln des Betroffenen hinsichtlich der Überschreitung der außerorts grundsätzlich zulässigen Höchstgeschwindigkeit der Annahme eines geringeren Handlungsunrechtes hinsichtlich der gesamten Tat entgegenstehe. Auch bei der Prüfung der Frage, ob eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände gegeben seien, die ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen könnten, hat das Amtsgericht in erster Linie darauf abgestellt, dass die Tatsachen, dass der Betroffene geständig war und sich einsichtig gezeigt hat, weder für sich genommen noch im Zusammenhang mit dessen beruflicher Beeinträchtigung bei der Verhängung eines Fahrverbotes ausreichen, um von dessen Anordnung abzusehen. Lediglich ergänzend hat der Amtsrichter darauf hingewiesen, dass insoweit im Rahmen der Gesamtabwägung insbesondere auch einzustellen gewesen sei, dass der Betroffene im vorliegenden Fall teilweise bedingt vorsätzlich gehandelt habe.

Das angefochtene Urteil war daher lediglich im Ausspruch hinsichtlich der Schuldform abzuändern. Im übrigen war die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Die Kosten des Rechtsmittels waren dem Betroffenen aufzuerlegen, da der Erfolg der Rechtsbeschwerde insgesamt nur als gering anzusehen ist (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 und 4 StPO).


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