Aktenzeichen: 1 Ss 1198/98 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Allein aus einer hohhen Blutalkoholkonzentration darf nicht auf eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt geschlossen werden.
2. Bei einer Blutalkoholkonzentration von merh als 2,00 o/oo ist regelmäßig die Erörterung der Schuldfähigkeit erforderlich.
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: fahrlässige Körperverletzung, Schuldfähigkeit bei 2,29 o/oo Blutalkoholkonzentration, Straßenverkehrsgefährdung, vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr
Normen: StGB 21, StGB 315 c
Beschluss: Strafsache gegen den C.K.,
wegen fahrlässiger Körperverletzung u. a..
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 22. April 1998 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13.10.1998 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs durch vorsätzliche Trunkenheit im Straßenverkehr in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 60,00 Tagessätzen zu je 60,00 DM verurteilt. Zugleich wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Wiedererteilung von noch zehn Monaten festgesetzt.
Nach den dabei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte im September 1997 mit einer Blutalkoholkonzentration von 2,29 0/00 in Recklinghausen ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt und infolge seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit einen Unfall verursacht, bei dem eine Person erheblich verletzt wurde und außerdem beträchtlicher Fremdschaden entstand.
Soweit dem Angeklagten, der sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen hat, vorgeworfen wird, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt zu haben, obwohl er sich seiner alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit bewusst gewesen sei, hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
"Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Sachverhalt so ohne jeden vernünftigen Zweifel festgestellt ist. Bei dieser Sachlage ist das Gericht der Auffassung, dass sich der Angeklagte der vorsätzlichen Trunkenheit im Straßenverkehr und der dann folgenden fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung strafbar gemacht hat. Zunächst einmal weist der Blutalkoholgehalt des Angeklagten darauf hin, dass der Fahrtantritt durchaus in dem Bewußtsein geschah, dass er nicht mehr fahrtüchtig sein würde. Wer so weit die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit überschreitet, der ist entweder in hohem Maße Alkohol gewöhnt, dann hätte er erkennen müssen, wie groß die Menge des von ihm aufgenommenen Alkohols ist, oder aber er ist bereits so betrunken, dass er seine Situation nicht mehr einschätzen kann. Das letztere ist jedoch nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung auszuschließen. Es ist feststellbar, dass der Angeklagte sowohl gegenüber den Polizeibeamten als auch gegenüber den Zeugen O. und A. nicht den Eindruck gemacht hat, als sei er sinnlos betrunken. Er hat vielmehr einen durchaus vernünftigen Eindruck gemacht, sein Bewußtsein schien klar zu sein, auch wenn die Zeugen O. und A. bekundet haben, dass er wie unter einem Schock gestanden habe. Keiner der Zeugen hat alkoholbedingte Ausfallerscheinungen festgestellt, insbesondere keinen schleppenden Gang oder einen torkelnden Gang, oder eine lallende Sprache. Für das an Alkohol in starkem Maße gewohnt sein des Angeklagten spricht auch, dass er im Hauptverhandlungstermin eine Bescheinigung eines Trainingsseminars für alkoholauffällige Verkehrsteilnehmer vorgelegt hat, an der er nach dieser Bescheinigung seit dem 16.03.1998 teilnimmt. Sollte es sich bei dem Angeklagten um einen alkoholungewohnten Einmaltäter handeln, so wäre eine solche Trainingsmaßnahme sicherlich nicht notwendig gewesen, vielmehr wären die Sozialpädagogen, die sich mit einer solchen Trainingsmaßnahme befassen, der Auffassung gewesen, dass allein ein verantwortungsbewußterer Umgang ohne entsprechende Trainingsmaßnahmen den Angeklagten würden von weiteren strafbaren Handlungen abhalten können. Insgesamt ist das Gericht der Auffassung, dass somit eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt stattgefunden hat, auch wenn hier Trinkverlauf und Trinkdauer nicht fest gestellt werden konnten, da der Angeklagte diese durch seine Nichteinlassung verhindert hat."
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten, mit der unter näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird, hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung an die Vorinstanz.
Das Amtsgericht hat im wesentlichen aus der Höhe der Blutalkoholkonzentration und nicht feststellbarer alkoholbedingter Ausfallerscheinungen geschlossen, dass der Angeklagte an den Genuß erheblicher Mengen Alkohol gewöhnt ist und deshalb seine Fahruntüchtigkeit hätte erkennen können. Dafür spreche auch die im Hauptverhandlungstermin vorgelegte Bescheinigung über die Teilnahme an einem Trainingsseminar für alkoholauffällige Verkehrsteilnehmer. Da der Angeklagte sich zur Sache im Übrigen nicht eingelassen hat, konnte das Amtsgericht Feststellungen zum Trinkverlauf und Trinkdauer nicht treffen.
Dabei hat das Amtsgericht verkannt, dass es keinen Erfahrungssatz gibt, wonach jeder Kraftfahrzeugführer ab einer bestimmten Blutalkoholkonzentration seine Fahruntüchtigkeit erkennt; vielmehr können gerade hohe Blutalkoholwerte dazu führen, dass eine spürbare Verminderung der Leistungsfähigkeit nicht mehr wahrgenommen wird. Die Frage, ob Art und Umfang des Alkoholgenusses den Schluss zulassen, der Täter habe seine Fahruntüchtigkeit erkannt oder wenigstens mit ihr gerechnet und sie in Kauf genommen, kann daher nicht allgemein, sondern nur unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch der Persönlichkeit des Täters, seine Alkoholgewöhnung, des Grades seiner Intelligenz und Selbstkritik sowie der Art der Alkoholaufnahme beantwortet werden (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23. Januar 1996 - 1 Ss 1519/95; Beschluss vom 4. Dezember 1990 - 3 Ss 1200/90; OLG Hamm VRS 48, 275; VRS 54, 44).
Angesichts des Umstandes, dass sich der Angeklagte bislang zur Sache nicht eingelassen hat, reichen die bisherigen Feststellungen für eine vorsätzliche Begehungsweise nicht aus. Allein das Fehlen alkoholbedingter Ausfallerscheinungen und die Teilnahme an einem Trainingsseminar für alkoholauffällige Verkehrsteilnehmer stellen keine ausreichenden Anknüpfungspunkte für eine vorsätzliche Begehungsweise dar.
Bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 2 o/oo mußte sich das Amtsgericht auch mit der Frage befassen, ob die Voraussetzungen für eine Strafmilderung nach § 21, 49 Abs. 1 StGB vorliegen.
Will das Amtsgericht dennoch von der vollen Schuldfähigkeit ausgehen, so bedarf es einer eingehenden Würdigung des Sachverhaltes (vgl. BGH StV 1989, 14). Selbst wenn bei einem Vergehen nach § 315 c oder § 316 StGB eine Strafmilderung die Ausnahme und nicht die Regel ist (OLG Hamm, VM 1984, 86), muss sich aus dem tatrichterlichen Urteil doch ergeben, dass der Richter geprüft hat, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen und Anlass zur Strafmilderung bieten. Das ist nicht von vornherein auszuschließen, wenn etwa der Tatentschluß erst im Zustand der Fahruntüchtigkeit gefaßt wird.
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