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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 1174/98 OLG Hamm

Leitsatz: Unzureichende Feststellungen bezüglich des Vorsatzes zu einer Trunkenheitsfahrt bei hoher BAK.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Trunkenheit im Verkehr, Vorsatz bei hoher Blutalkoholkonzentration

Normen: StGB 316 Abs. 1

Fundstelle: NZV 1999, 92

Beschluss: Strafsache gegen A.S.,
wegen Trunkenheit im Verkehr.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Coesfeld vom 16. Juli 1998 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.10.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Coesfeld zurückverwiesen.

Gründe:
I. Das Amtsgericht hat gegen den Angeklagten mit Urteil vom 16. Juli 1998 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je DM 70 verhängt. Gleichzeitig hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Zum Schuldspruch hat das Amtsgericht im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
"Am 11.06.1998 gegen 4.35 Uhr befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw VW, amtliches Kennzeichen "COE-SX 33", die Kreisstraße 46 aus Richtung Coesfeld kommend in Richtung Gescher.

Er kam von einem Parkplatz, auf dem ein Festzelt für ein Landjugendfest aufgebaut worden war. Einer Polizeistreife, zu der der Zeuge Sieber gehörte, fiel das Fahrzeug des Angeklagten dadurch auf, dass es auf die K 46 auffuhr, ohne die Beleuchtung eingeschaltet zu haben. Die Polizeibeamten nahmen die Verfolgung des Angeklagten auf und stellten fest, dass er in so starken Schlangenlinien fuhr, dass er die gesamte Fahrbahnbreite der 4,6 m breiten Straße in Anspruch nahm. Er pendelte ständig zwischen dem rechten und linken Fahrbahnrand. Nach ca. 200 m durchfuhr der Angeklagte eine Rechtskurve. Er fuhr einfach geradeaus und drohte, nach links von der Fahrbahn abzukommen. Erst im letzten Augenblick riß er das Steuer nach rechts und folgte dem weiteren Straßenverlauf .... Nach einer weiteren Fahrtstrecke von ca. 200 m prallte der Angeklagte gegen einen am rechten Fahrbahnrand stehenden Straßenbaum.... Die ihm um 5.36 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,15 ."

Zum Vorsatz des Angeklagten, der seine Fahrereigenschaft nicht bestritten sowie Angaben zu seinen Verletzungen und zur Schadenshöhe gemacht, im Übrigen jedoch die Einlassung, insbesondere zu seinem Trinkverhalten, verweigert hat, hat das Amtsgericht u.a. ausgeführt:
"dass der Angeklagte den Tatbestand des § 316 StGB erfüllt hat, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Nach Überzeugung des Gerichts hat der Angeklagte vorsätzlich gehandelt:
Die ihm um 5.36 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,15 . Das Körpergewicht des Angeklagten betrug zum damaligen Zeitpunkt 100 kg. Daraus errechnet sich nach der Widmarkschen Formel ohne Berücksichtigung des zwischenzeitlich erfolgten Abbaus und ohne Berücksichtigung eines eventuellen Resorptionsdefizites eine Trinkmenge von 150 g reinen Alkohols. Dies entspricht beispielsweise einer Menge von 18 Glas Bier a 0,2 l bzw. 0,5 l Doppelkorn. Die festgestellte Blutalkoholkonzentration von 2,15 und die daraus abzuleitende Menge des vom Angeklagten genossenen Alkohols rechtfertigen den Schluss, dass er zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt hat, vgl. OLG Düsseldorf in NZV 1994, S. 367. Um eine Blutalkoholkonzentration von 2,15 zu erreichen, muss der Angeklagte riesige Mengen Alkohol getrunken haben, wie vorstehend an Beispielsfällen erläutert worden ist. Angesichts dieser Tatsache kann dem Angeklagten seine Fahrunsicherheit nicht verborgen geblieben sein.
dass der Angeklagte seine alkoholbedingte Fahrunsicherheit auch wahrgenommen hat, ergibt sich aus seiner Fahrweise: Nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen Sieber ist der Angeklagte in so starken Schlangenlinien gefahren, dass er die gesamte Fahrbahnbreite der K 46 in Anspruch genommen hat. Er ist ständig vom rechten zum linken Fahrbahnrand und wieder zurück zur rechten Straßenseite gefahren. Er hat also erhebliche Lenkradkorrekturen vorgenommen, weil er bemerkt hat, dass er vielfach auf die linke Fahrbahnhälfte geraten ist. Auch beim Durchfahren der Rechtskurve hat er im letzten Augenblick gemerkt, dass er nach links von der Fahrbahn abzukommen drohte. Er hat dann ebenfalls eine Lenkradkorrektur vorgenommen. Dies kann dem Angeklagten unmöglich verborgen geblieben sein.
Angesichts der Tatsache, dass sich der Angeklagte zur Frage der Alkoholgewöhnung und seines Trinkverhaltens vor Fahrtantritt nicht geäußert hat, konnten entsprechende Feststellungen nicht getroffen werden. Sie sind schlechterdings bei einem schweigenden Angeklagten unmöglich."
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten, form- und fristgerecht eingelegten (Sprung-)Revision, mit der seine Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr angreift.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat einen Antrag nicht gestellt.

II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Zu Recht macht der Verteidiger in der Revisionsbegründung geltend, dass die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen die Verurteilung wegen vorsätzlicher Trunkenheit nicht tragen.

1. Eine Bestrafung wegen vorsätzlichen Vergehens nach § 316 StGB setzt voraus, dass der Fahrzeugführer seine rauschbedingte Fahruntüchtigkeit kennt oder zumindest mit ihr rechnet und sie billigend in Kauf nimmt, gleichwohl aber am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt (vgl. OLG Hamm NZV 1998, 291 f. m.w.N. - ständige Senatsrspr.). Die Feststellung der Kenntnis der Fahruntüchtigkeit als innerer Tatsache hat der Tatrichter auf der Grundlage des Ergebnisses der Hauptverhandlung und unter Heranziehung und Würdigung aller Umstände zu treffen. Wenn der Angeklagte - wie hier - zu den insoweit erheblichen Tatsachen von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, kann der Schluss auf die innere Tatseite nur aus Beweiszeichen abgeleitet werden, wobei der Schuldbeweis und damit der Beweis der Schuldform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) nur erbracht ist, wenn auch alle gleich nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten geprüft worden sind.

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

2. Es ist - entgegen den Ausführungen in der Revisionsbegründung - allerdings nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht im Rahmen seiner das Tatbestandmerkmal der alkoholbedingten Fahrunsicherheit des Angeklagten betreffenden Erwägungen von dem in der Blutprobe festgestellten Alkoholgehalt von 2,15 ausgegangen ist. In diesem Zusammenhang ist nämlich - anders als bei der Frage der Schuldfähigkeit, deren intellektuelles Element der Einsichtsfähigkeit auch für die Möglichkeit kritischer Selbsteinschätzung bedeutsam sein kann, - zugunsten des Angeklagten von dem Mindestwert auszugehen. Diesem entspricht jedenfalls dann der Wert der Blutalkoholkonzentration in der Blutprobe, wenn der Zeitpunkt des Resorptionsabschlusses nicht feststeht und zwischen Tatzeit und Zeitpunkt der Blutentnahme nicht mehr als zwei Stunden liegen (vgl. BGH NJW 1974, 246; Hentschel/Born, Trunkenheit. im Straßenverkehr, 7. Aufl. (1996), Rdnr.93 ff.). Auch die auf der festgestellten Blutalkoholkonzentration basierende Berechnung der konsumierten Alkoholmenge in Anwendung der Widmark-Formel weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Der Tatrichter hat jedoch sodann an die Blutalkoholkonzentration von 2,15 und an die
Gesamtmenge des vom Angeklagten genossenen Alkohols von 150 Gramm die Schlußfolgerung geknüpft, dieser habe zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, weil ihm angesichts der "riesigen" Menge des konsumierten Alkohols seine Fahrunsicherheit nicht verborgen geblieben sein könne. Damit stellt das Amtsgericht für seine Überzeugungsbildung zum Vorsatz zwar nicht allein auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit ab, sondern bezieht zusätzlich die Trinkmenge in seine Betrachtung ein. Der allgemeine Erfahrungssatz, den das Gericht hierauf aufbaut, wonach jedem auch trinkgewohnten Autofahrer bei einem Konsum einer solchen Trinkmenge die Möglichkeit seiner Fahrunsicherheit im konkreten Fall bei Fahrtantritt bewusst sei und er dies in Kauf nehme, wenn er gleichwohl einen Pkw im öffentlichen Straßenverkehr führe, besteht jedoch nicht. Mit fortschreitender Alkoholisierung nimmt nämlich die Kritik- und Erkenntnisfähigkeit ab, so dass gerade hohe Blutalkoholkonzentrationen eine Kritiklosigkeit zur Folge haben, die den tatsächlich fahruntüchtigen Täter glauben lässt, noch fahrtüchtig zu sein (vgl. OLG Hamm NZV 1998, 291, 292 m.w.N.; Hentschel/Born, a.a.O., Rdnr. 346 m.w.N.). Insoweit hätte die Möglichkeit einer etwaigen bewußten Fahrlässigkeit des Angeklagten bei der Beurteilung seiner Fahrsicherheit ausgeschlossen werden müssen.

Nichts anderes ergeben die tragenden Gründe der Entscheidung des OLG Düsseldorf (NZV 1994, 367), auf die das Amtsgericht Bezug nimmt. In dem dort zugrundeliegenden Fall hat der Strafrichter nicht nur Feststellungen zum Blutalkoholgehalt und zur konsumierten Alkoholmenge getroffen, sondern auch zu den Umständen der der Fahrt mit einem Mofa unmittelbar vorausgegangenen Alkoholaufnahme und zu den wiederholten einschlägigen strafrechtlichen Vorerfahrungen des Angeklagten.

Soweit das Amtsgericht darüber hinaus die Fahrweise des Angeklagten in Schlangenlinien mit der Lenkradkorrektur beim Durchfahren der Rechtskurve als Beweiszeichen dafür angesehen hat, dass der Angeklagte seine Fahrunsicherheit wahrgenommen habe, ist diese Schlußfolgerung nicht frei von rechtlichen Bedenken. Zwar geht das Gericht nun davon aus, dass er die Auffälligkeiten in seiner Fahrweise bemerkt hat. Das versteht sich indes nicht von selbst, weil die Wahrnehmungsfähigkeit gerade erheblich alkoholisierter Fahrzeugführer regelmäßig deutlich gestört ist. Angesichts der insoweit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse genügt der Satz: "Dies kann dem Angeklagten unmöglich verborgen geblieben sein" als Grundlage für den vom Tatrichter gezogenen Schluss nicht. Im übrigen würde die Tatsache, dass sich der Fahrzeugführer eines alkoholbedingten Fahrfehlers bewusst wird, nicht zur Feststellung vorsätzlichen Handelns bezüglich der Fahrunsicherheit bei Fahrtantritt führen (vgl. OLG Zweibrücken ZfS 1990, 33).

Das Urteil beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Es war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Coesfeld zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Das nunmehr entscheidende Tatgericht hat auch über die Kosten der Revision zu befinden, da deren Erfolg im Sinne des § 473 StPO noch nicht feststeht.


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