Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 BL 239/98 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Frage, der Zulässigkeit der Kompensation einer Verfahrensverzögerung durch nachfolgende besonders beschleunigte Behandlung
r

Senat: 3

Gegenstand: BL6

Stichworte: wichtiger Grund, Kompensation, Fehler hat sich nicht ausgewirkt, BtM, Eröffnung, Fluchtgefahr, Strafgewalt, Verdunklungsgefahr, fehlende Verfahrensförderung, Verfahrensverzögerung, Verzögerung, Verweisung an das Landgericht durch Amtsgericht

Normen: StPO 112 Abs. 2 Nr. 2, StPO 112 Abs. 2 Nr. 3

Beschluss: Strafsache gegen U.G.,
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Kokain in teilweise nicht geringen Mengen,
(hier: Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung gemäß §§ 121, 122 StPO hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.09.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Angeklagten beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
Dem Angeklagten, der sich nach seiner Festnahme am 18.03.1998 seit dem 19.03.1998 zunächst aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 18.03.1998 - 9 Gs 973/98 - und derzeit aufgrund des diesen Haftbefehl ersetzenden Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 4. September 1998 - 10 Ls 36 Js 642/98 - G 12/98 in Untersuchungshaft befindet, wird mit dem letztgenannten Haftbefehl vorgeworfen, in Bielefeld in der Zeit von Ende 1996 bis Anfang März 1998 gemeinschaftlich mit seinem gesondert verfolgten Bruder Ugur G. in insgesamt 54 Fällen gewerbsmäßig mit Kokain Handel getrieben zu haben, wobei sich das Handeltreiben in 8 Fällen auf Kokain in nicht geringer Menge bezieht.

Mit diesem Vorwurf identisch ist die Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 25.06.1998, die das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zutreffend wiedergibt. Die Anklage ist dem Angeklagten zugestellt und mit Beschluss des Schöffengerichts Bielefeld vom 10.07.1998 zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Wegen der Einzelheiten der dem Angeklagten zur Last gelegten Tatvorwürfe sowie wegen des dringenden Tatverdachts wird auf das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen der Anklageschrift am 25.06.1998 Bezug genommen.

Gegen den Angeklagten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Der Angeklagte hat wegen der ihm hier zur Last gelegten Taten mit einer erheblichen Bestrafung zu rechnen, was erfahrungsgemäß einen starken Fluchtanreiz darstellt. Hinzu kommt, dass der einschlägig vorbestrafte Angeklagte zur Zeit noch unter Bewährung steht und mit dem Widerruf einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten wegen unerlaubter Einfuhr von Kokain zu rechnen hat. Diesem Fluchtanreiz stehen tragfähige soziale Bindungen des Angeklagten an die Bundesrepublik Deutschland nicht entgegen. Der Angeklagte hatte vor seiner Festnahme zwar eine Berufsausbildungsmaßnahme durchgeführt, seinen Lebensunterhalt aber offenbar aus dem Kokainhandel bestritten. Dieser Handel war zudem international mit Auslandsberührung vor allem in die Niederlande betrieben worden, so dass konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte sich dem Verfahren im Falle seiner Freilassung durch Flucht entweder in sein Heimatland oder in das benachbarte Ausland entziehen wird.

Darüber hinaus besteht gegen den Angeklagten auch der Haftgrund der Verdunklungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe b StPO. Der Angeklagte ist bereits an mehrere Zeugen in einer Weise herangetreten, die die Zeugen zu der Annahme veranlaßt hat, er wolle sie dazu bewegen, ihre ihn belastenden Aussagen zurückzuziehen. Tatsächlich haben auch einige Zeugen sich in dieser Weise verhalten, wobei anzunehmen ist, dass auch dies auf eine Einflußnahme durch den Angeklagten oder durch andere auf seine Veranlassung hin zurückzuführen ist.

Aus diesen Gründen scheiden auch mildere Maßnahmen im Sinne von § 116 StPO zur Sicherung des Verfahrens aus. Die bisher erlittene und die zu erwartende Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Verurteilungsfalle zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Es liegen hier noch die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO vor. Das Verfahren ist zwar nicht stets entsprechend dem in Haftsachen in besonderer Weise geltenden Beschleunigungsgebot gefördert worden, die teilweise unzureichende Verfahrensförderung hat sich im Ergebnis jedoch nicht zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt.

Das Verfahren ist durch die Ermittlungsbehörden zunächst zügig gefördert worden. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat nach umfangreichen Ermittlungen gegen eine Vielzahl von weiteren Tatbeteiligten aus dem diesem Verfahren zugrundeliegenden komplexen Gefüge des unerlaubten Handeltreibens mit Kokain durch den Angeklagten und seinen Bruder Ugur G. bereits unter dem 25.06.1998 Anklage erhoben. Dies ist vor dem Hintergrund, dass hier eine Vielzahl von einzelnen Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln aufzuklären war, dass dazu eine große Anzahl von Mitbeschuldigten und Zeugen vernommen werden und umfangreiche Protokolle der gegen den Angeklagten und seinen Bruder geführten Telefonüberwachung ausgewertet werden mußten, nicht zu beanstanden. Auch das Amtsgericht hat zunächst zeitnah mit Beschluss vom 10.07.1998 das Hauptverfahren eröffnet und Hauptverhandlungstermin auf den 04.09.1998 anberaumt. Fehlerhaft war dagegen die weitere Sachbehandlung durch das Schöffengericht, indem es bei jedenfalls zum Nachteil des Angeklagten unveränderter Sachlage die Sache im Termin vom 04.09.1998 mit der Begründung an die Strafkammer des Landgerichts Bielefeld gemäß § 270 StPO verwiesen hat, dass seine Strafgewalt voraussichtlich nicht ausreichen werde. Zwar ist nicht zu beanstanden, dass das Schöffengericht gleichzeitig unter Aktenvorlage an den Senat den Haftbefehl gegen den Angeklagten neu gefaßt und dem Angeklagten diesen Haftbefehl verkündet hat (vgl. OLG Karlsruhe, Die Justiz 1984, 429), da sich die Verfahrensakten noch beim Schöffengericht befanden, somit die Strafkammer mit der Sache noch nicht befaßt war, und es infolge des bevorstehenden Ablaufs der Frist des § 121 Abs. 1 StPO alsbald geboten war, nach § 122 Abs. 1 StPO zu verfahren. Das Schöffengericht durfte aber angesichts des Beschleunigungsgebotes jedenfalls zu diesem späten Zeitpunkt nicht mehr an die Strafkammer verweisen, wobei offenbleiben kann, ob die Verweisung in der Sache gerechtfertigt war, weil die Strafgewalt des Schöffengerichts tatsächlich hier nicht ausreichte. Grob fehlerhaft in dem Sinne, dass ein wichtiger Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß § 121 Abs. 1 StPO ausscheidet, ist nämlich sowohl die Anrufung eines unzuständigen Gerichtes - für den Fall, dass tatsächlich die Zuständigkeit der Strafkammer gegeben sein sollte - (vgl. BVerfG, StV 1992, 522; KG, StV 1983, 111; OLG Frankfurt, StV 1992, 124 und StV 1994, 328) als auch eine zögerliche oder fehlerhafte Unzuständigkeitserklärung durch das zunächst angerufene Gericht (OLG Frankfurt, StV 1994, 328; OLG Düsseldorf, StV 1992, 425; OLGSt § 121 Nr. 11; OLG Hamm, StV 1990, 168). Dasselbe gilt für eine unsorgfältige Terminsvorbereitung durch das Gericht, hier im Hinblick auf die Frage der ausreichenden Strafgewalt des Schöffengerichts und der damit verbundenen Verweisung gemäß § 270 StPO an die Strafkammer (vgl. OLG Düsseldorf, StV 1991, 222; OLG Frankfurt, StV 1985, 198; OLG Hamm, StV 1992, 385). Das Schöffengericht hätte vorliegend bereits im Rahmen seiner Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens am 10.07.1998 prüfen müssen, ob seine Strafgewalt ausreicht und hätte - verneinendenfalls sodann gemäß § 209 Abs. 2 StPO die Akten der Strafkammer zur Entscheidung über die Übernahme des Verfahrens vorlegen müssen (vgl.; OLG Frankfurt, StV 1994, 328).

Gleichwohl führt hier die fehlerhafte Verfahrensbehandlung durch das Schöffengericht nicht zur Aufhebung des Haftbefehls gemäß § 121 Abs. 1 StPO. Dabei ist sich der Senat des Umstandes bewusst, dass die zunächst erfolgte Anrufung eines unzuständigen Gerichtes in aller Regel eine zur Aufhebung des Haftbefehls gemäß § 121 Abs. 1 StPO führende Verletzung des Beschleunigungsgebotes darstellt (BVerfG, StV 1992, 522) und dass im Verfahren nach § 121 StPO den sich aus Art. 2 Abs. 2 S.2 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht schon dadurch genügt wird, dass das mit dieser Haftprüfung befaßte Gericht seine Entscheidung auf die hypothetische Überlegung stützt, auch bei zügiger Sachbehandlung wäre ein Urteil bis zum Haftprüfungstermin noch nicht ergangen (BVerfG, NStZ 1995, 459, 460). Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht es aber in der letztgenannten Entscheidung nicht generell abgelehnt, Haftfortdauer gemäß § 121 Abs. 1 StPO auch dann anordnen zu können, wenn trotz unzureichender Verfahrensförderung durch die Tatgerichte sich dieser Fehler im Ergebnis nicht zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt hat. Dies ist auch im Übrigen in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannt (BGHSt 38, 43, 46 f; OLG Düsseldorf, StV 1989, 113; OLG Bremen, StV 1992, 181, 182; KG, StV 1993, 203, 204; KK-Boujong, 3. Aufl., § 121 Rdnr. 22; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 121 Rdnr. 26; a.M.: SK-StPO-Paeffgen, § 121 Rdnr. 18; Paeffgen, NJW 1990, 537). Auch das OLG Frankfurt (NStZ-RR 1996, 268) hat die Möglichkeit, durch zügige Verfahrensförderung zuvor eingetretene Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot "heilen" zu können, nicht generell ausgeschlossen. In dem dort zu entscheidenden Fall war die durch die Anklageerhebung eingetretene Verzögerung durch die weitere Sachbehandlung seitens des Landgerichts nur zum Teil wieder wettgemacht worden, mithin nicht gänzlich.

Im vorliegenden Verfahren kann indes aufgrund der Erkenntnisse des Senats aus dem parallelen Haftprüfungsverfahren gemäß § 121 Abs. 1 StPO gegen den Bruder Ugur G.des Angeklagten - 3 BL 234/98 OLG Hamm - ausgeschlossen werden, dass die unzureichende Verfahrensförderung durch das Schöffengericht hier zu einer ins Gewicht fallenden Verfahrensverzögerung zum Nachteil des Angeklagten geführt hat. Gegen den gesondert verfolgten Ugur G. war unter dem 14.07.1998 - und damit knapp drei Wochen später als gegen den Angeklagten des vorliegenden Verfahrens - Anklage erhoben worden, und zwar sogleich zu der für beide Angeklagten zuständigen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld. Gegen Ugur G., dem über die gemeinsam mit dem Angeklagten begangenen Taten hinaus noch weitere 30 Taten zur Last gelegt werden, hat die Strafkammer mit Beschluss vom 31.08.1998 das Hauptverfahren eröffnet und Hauptverhandlungstermin auf den 23.11.1998 mit Folgeterminen anberaumt. Der Senat hat mit dem Vorsitzenden der zuständigen Strafkammer Rücksprache genommen, dem die Verfahrensakten dieses Verfahrens bereits vorliegen. Der Kammervorsitzende hat die vorliegende Sache bereits am 24.09.1998 terminiert, und zwar auf den 01.12.1998 mit Folgeterminen am 03.12. und am 04.12.1998. Dabei hatte die Kammer zunächst beabsichtigt, die Sache bereits am 18. und 20.11.1998, also zeitlich noch vor dem Verfahren gegen Ugur G., zu verhandeln. Dieser frühe Termin scheiterte allerdings an der Verhinderung des Verteidigers des Angeklagten, der frühestens an dem dann festgesetzten Hauptverhandlungstermin zur Verfügung steht. Bei dieser Sachlage kann eine erhebliche Verzögerung des Verfahrens durch die fehlerhafte Sachbehandlung seitens des Schöffengerichts ausgeschlossen werden. Angesichts der dem Senat bekannten erheblichen Belastung der zuständigen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld mit anderen Haftsachen spricht vielmehr alles dafür, dass die vorliegende Strafsache auch bei sofortiger Anklageerhebung zur Strafkammer - erst - zeitnah mit der Strafsache gegen Ugur G. in dem Zeitraum Mitte November bis Anfang Dezember 1998 hätte angesetzt und verhandelt werden können.

Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 StPO.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".