Aktenzeichen: 2 BL 316/98 OLG Hamm
Leitsatz: Zum wichtigen Grund bei vorübergehender starker Belastung des Gerichts
Gericht: OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: BL6
Stichworte: bestreitende Angeschuldigte, Diebstahl, Umfang, vorübergehende starke Belastung, langer Zeitraum zwischen Anklageerhebung und Hauptverhandlung
Normen: StPO 121
Beschluss: Strafsache gegen Z.J.,
wegen Diebstahls (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht)
Auf die Vorlage der (Zweit-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.01.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht und nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, der Angeschuldigten und ihrer Verteidiger beschlossen:
Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.
Gründe:
I. Die Angeschuldigte befindet sich nach ihrer vorläufigen Festnahme am 26. Juni 1998 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 27. Juni 1998 (9 Gs 10/98) seit diesem Tag in Untersuchungshaft.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts legt der Angeschuldigten zur Last, mit ihren mitangeklagten Kindern am 16. bzw. 26. Juni 1998 drei Diebstahlstaten begangen zu haben. In der inzwischen erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 2. Dezember 1998 werden der Angeschuldigten darüber hinaus weitere, insgesamt jetzt 32, Diebstahlstaten zur Last gelegt. Insoweit ist der Haftbefehl inzwischen durch Beschluss der 1. großen Jugendkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum vom 11. Dezember 1998 angepaßt worden, so dass nach ständiger Rechtsprechung des Senats für das Haftprüfungsverfahren nun auch vom Vorwurf der Anklage vom 9. Dezember 1998 ausgegangen werden kann (vgl. u.a. Senat in StV 1995, 200; zuletzt Senat in StV 1998, 273 = wistra 1998, 158). Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des der Angeschuldigten im einzelnen zur Last gelegten Tatgeschehens, wird auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 27. Juni 1998 sowie auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 2. Dezember 1998 Bezug genommen.
Das Landgericht hat in seinem Beschluss vom 9. Dezember 1998 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und die Akten dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt.
II. Die Fortdauer der Untersuchungshaft der Angeschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen.
Es besteht gegen die Angeschuldigte dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihr im Haftbefehl vom 27. Juni/9. Dezember 1998 zur Last gelegten Taten, die auch Gegenstand der Anklage vom 2. Dezember 1998 sind. Der Tatverdacht gegen die Angeschuldigte ergibt sich insbesondere aus den von den Ermittlungsbehörden durchgeführten Schmuckvorlagen des im Besitz der Angeschuldigten vorgefundenen, aus Diebstahlstaten stammenden Schmucks. Die Angaben der insoweit gehörten Zeugen hat die Staatsanwaltschaft im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage vom 2. Dezember 1998 zutreffend gewürdigt. Dieser Würdigung tritt der Senat bei und nimmt auf sie, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, Bezug.
Als Haftgrund ist der des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben. Die Angeschuldigte hat wegen der ihr zur Last gelegten Taten mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Diese hohe Straferwartung stellt erfahrungsgemäß einen nicht unerheblichen Fluchtanreiz dar, der vorliegend durch andere Umstände nicht gemildert wird. Die Angeschuldigte ist Ausländerin, ihr Ehemann lebt in den Niederlanden. Sie verfügt in der Bundesrepublik Deutschland über keinen festen Wohnsitz mehr. Ihre mitangeklagten Kinder haben sich bereits abgesetzt. Nach allem ist der Senat daher davon überzeugt, dass sich die Angeschuldigte dem Verfahren durch Flucht entziehen würde, wenn sie auf freien Fuß käme.
Demgemäss war der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO zu erreichen. Insbesondere konnte der bestehende Fluchtanreiz nicht durch eine Kaution ausgeräumt oder gemildert werden.
Es steht die bisher gegen die Angeschuldigte vollzogene Untersuchungshaft auch nicht
außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe.
Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls gegeben, da wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Nach der vorläufigen Festnahme der Angeschuldigten sind zunächst die schwierigen Ermittlungen gegen die bestreitende Angeschuldigte durch die Zeugenvernehmungen/Schmuckvorlagen zügig weiter geführt worden. Die umfangreichen Schmuckvorlagen waren am 30. Oktober 1998 abgeschlossen. Die Polizei hat dann unter dem 8. November 1998 ihren Abschlußbericht erstellt und die Ermittlungsvorgänge der Staatsanwaltschaft vorgelegt. Nach Gewährung von abschließender Akteneinsicht an die Verteidiger der Angeschuldigten hat die Staatsanwaltschaft unter dem 2. Dezember 1998 Anklage bei der 1. Auswärtigen Strafkammer des Recklinghausen des Landgerichts Bochum erhoben. Bei dieser befindet sich das Verfahren derzeit im Eröffnungsverfahren. Nach telefonischer Auskunft des Vorsitzenden der 1. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum ist mit einem Beginn der Hauptverhandlung nach den Osterferien 1999, also ab Mitte April 1999 zu rechnen.
Dieser Verfahrensablauf ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Schuldhafte, verfahrensverzögernde Versäumnisse der Justizbehörden während des Ermittlungsverfahrens sind nicht festzustellen. Auch der - voraussehbare - verhältnismäßig lange Zeitraum zwischen dem Eingang der Akten beim Landgericht und dem Beginn der Hauptverhandlung führt vorliegend noch nicht zu einer Aufhebung des Haftbefehls. Dieser lange Zeitraum beruht nämlich, wie die telefonische Anfrage des Senats ergeben hat, auf einer vorübergehenden starken Belastung der 1. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum mit älteren Haftsachen. So sind bis zum vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung im vorliegenden Verfahren noch die älteren Haftsachen 21 KLs 3 Js 590/98 I 44/98 (Hauptverhandlung vom 19. bis 22. Januar 1999), 21 Ns 2 Js 36/98 (Hauptverhandlung am 29. Januar 1999), 21 KLs 36 Js 182/98 I 41/98 (Hauptverhandlung vom 3. Februar bis 9. März 1999), 21 KLs 35 Js 412/98 I 51/98 (Hauptverhandlung 17. bis 25. März 1999) und das Verfahren 21 KLs 46 Js 12/98 I 27/98 (Hauptverhandlung 30. und 31. März 1999) terminiert. Das ist nicht zu beanstanden. Dabei geht der Senat allerdings davon aus, dass die erkennbare starke Belastung der 1. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum nur vorübergehend ist und deshalb derzeit hingenommen werden kann. Der Senat geht weiter davon aus, dass die Hauptverhandlung - wie vorgesehen - etwa Mitte April 1999 beginnt. Ein späterer Beginn dürfte unter angemessener Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, des Tatvorwurfs und der dann bereits verstrichenen Zeit im Hinblick auf den sich Art. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruch der noch nicht verurteilten Angeschuldigten auch kaum hinnehmbar sein.
Nach allem sind vermeidbare Fehler und Versäumnisse der Justizbehörden nicht festzustellen, vielmehr haben wichtige Gründe im Sinn des § 121 Abs. 1 StPO den Erlass eines Urteils bisher noch nicht zugelassen, so dass der sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebende Beschleunigungsgrundsatz noch ausreichend berücksichtigt ist.
Ergänzend merkt der Senat an: Sollte die derzeit offensichtlich starke Belastung der 1. auswärtigen Strafkammer Recklinghausen des Landgerichts Bochum weiter in gleichem Maße anhalten, wird die Strafkammer beim Präsidium des Landgerichts geeignete Entlastungsmaßnahmen beantragen müssen. Eine Frist von vier Monaten zwischen Eingang der Anklage und Beginn der Hauptverhandlung ist auf Dauer in der Regel nicht hinnehmbar.
Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.
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