Aktenzeichen: 1 Ws 58/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Hat der Richter, der nun in einer Strafvollstreckungssache zuständig ist, in demselben Verfahren als Beamter der Staatsanwaltschaft gegen den Verurteilten die Anklage erhoben, ist er in der Strafvollstreckungssache gemäß § 22 Nr. 4 StPO ausgeschlossen.
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Ausschluss eines Richters, dieselbe Sache, Beamter der Staatsanwaltschaft
Normen: StPO 22
Beschluss: Strafvollstreckungssache gegen A.K. wegen Diebstahls u.a. (hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Versagung der bedingten Entlassung).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 14. Februar 2000 gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 3. Februar 2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09.03.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über
die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe :
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu dem Rechtsmittel des Verurteilten u.a. wie folgt Stellung genommen:
"Die gem. § 57 StGB, § 454 Abs. 2 StPO statthafte und fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache auch einen vorläufigen Erfolg.
Der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 03.02.2000 ist aufzuheben, weil die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war. Die Anklageerhebung vom 10.11.1997 stellt eine Tätigkeit im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO dar. Sinn und Zweck der Vorschrift liegen darin, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens dadurch zu wahren, dass der Anschein eines Verdachts der Parteilichkeit eines Richters vermieden wird (BGHSt 9, 193, 195). Die Vorschrift schließt deshalb Personen von der Ausübung des Richteramtes aus, bei denen infolge ihrer in derselben Sache früher entfalteten Tätigkeit auch nur der Schein der Voreingenommenheit aufkommen kann. Dabei ist unerheblich, ob die Tätigkeit förmlicher oder sachlicher Art, für das Verfahren wesentlich oder unbedeutend war. Maßgebend ist, ob der Richter zuvor als Beamter der Staatsanwaltschaft irgend etwas zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Beeinflussung des Ganges des Verfahrens getan hat. Unter Sache im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO ist auch das gesamte Verfahren zu verstehen, das die strafrechtliche Verfolgung einer bestimmten Straftat zum Gegenstand hat. Darunter fällt nicht nur das Ermittlungs- und Hauptverfahren, sondern einbezogen sind auch alle späteren Verfahrensabschnitte einschließlich der Wiederaufnahme und der Strafvollstreckung (BayObLG, StV 1988, 241 m.w.N.; abgedruckt auch in NStZ 1988, 286).
Hier hatte die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer über die weitere Vollstreckung einer Gesamtstrafe zu befinden, deren Bestandteil auch jene Strafe ist, die in dem früheren Verfahren, in dem sie Anklageverfasserin gewesen war, verhängt worden war. Damit hatte hier die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer mittelbar auch über die weitere Vollstreckung einer Strafe zu beschließen, an deren Zustandekommen sie als Staatsanwältin mitgewirkt hatte. Sie hatte somit einen wesentlichen Anteil an dem Zustandekommen der zur Zeit vollstreckten Freiheitsstrafe (zu vgl. für einen ähnlich gelagerten Fall OLG Stuttgart, GA 1989, 37 f).
Da also die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer bereits in derselben Sache als Staatsanwältin tätig geworden war, ist sie nach § 22 Nr. 4 StPO zwingend von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen. Es ist deshalb unbeachtlich, dass sie sich nicht befangen fühlt. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben.
Da der angefochtene Beschluss an einem schwerwiegenden verfahrensrechtlichen Mangel leidet, der in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt werden kann, ist die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Es wird daher Aufgabe des nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Siegen berufenen Vertreters von Richterin am Landgericht M.H. sein, den Verurteilten anzuhören und zu entscheiden."
Dem tritt der Senat uneingeschränkt bei.
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