Aktenzeichen: 2 Ss 1597/97 OLG Hamm
Leitsatz: Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen, wenn sich der Angeklagte auf Notwehr beruft (hier: Schlag mit einem Glas ins Gesicht nach Versetzen einer Ohrfeige).
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Sprungrevision, Notwehr, gefährliche Körperverletzung, Darlegungsumfang
Normen: StGB 32
Fundstelle: StraFo 1998, 165
Beschluss: Strafsache gegen A.R.,
wegen gefährlicher Körperverletzung.
Auf die (Sprung-)Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 7. August 1997 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22.01.1998 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht hat die Angeklagte am 7. August 1997 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50,- DM verurteilt.
Hiergegen richtet sich die zulässige (Sprung-)Revision der Angeklagten, die, mit näherer Begründung, die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat einen, zumindest vorläufigen, Erfolg.
Die Urteilsgründe sind lückenhaft, so dass die mit der Revision geltend gemachte Beschwer, die Verkennung einer Notwehrlage gemäß § 32 StGB, vom Revisionsgericht nicht nachgeprüft werden kann (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 267 Rdnr. 42 und § 337 Rdnr. 21, jeweils m.w.N.).
Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:
"Am 11. Januar 1996 gegen 05:10 Uhr hielt sich die Angeklagte in der Diskothek "Orpheum" an der Rheinischen Straße in Dortmund auf. Sie wurde dort von dem Zeugen W. mit Mineralwasser bespritzt. Obwohl sie ihn aufforderte, dies zu unterlassen, setzte der Zeuge W. sein Treiben fort. Die Angeklagte nahm daraufhin ihr Glas mit "Campari" und schüttete den Inhalt in die Richtung des Zeugen W., traf dabei jedoch den Zeugen K.
Der Zeuge W. versetzte der Angeklagten daraufhin eine Ohrfeige. Jetzt nahm die Angeklagte ein anderes Glas von der Theke und schlug es dem Zeugen W. mit voller Wucht ins Gesicht. Der Zeuge erlitt dadurch eine quer verlaufende Schnittwunde im Bereich der Nasenwurzel von 1,5 cm Länge sowie tiefe, verzweigte Schnittwunden im Bereich der rechten Nasenseite, des rechten Nasenflügels und der rechten Wange und ferner einen Bluterguss im Bereich des rechten Augenober- und Unterlides. Durch die eingedrungenen Glassplitter bildeten sich im Verlauf eitrige Läsionen, die bis heute nicht vollständig verheilt sind. Der Zeuge war wegen der Verletzungen 14 Tage lang krankgeschrieben.
.....
Zugunsten der Angeklagten wird als wahr unterstellt, dass sie erst zugeschlagen hat, als der Zeuge W. in einer drohenden Körperhaltung und mit geäußerten Drohungen auf sie zukam."
Diesen Sachverhalt hat das Amtsgerichts als gefährliche Körperverletzung gewürdigt und zudem ausgeführt:
"Auch nach ihrer Einlassung stand ihr kein Notwehrrecht im Sinne des § 32 StGB zu.
Die vorgeworfene Handlung war weder erforderlich noch geboten, da sie, die Angeklagte, in der vollbesetzten Diskothek Hilfe herbeiholen bzw. ausweichen konnte."
Diese Ausführungen bieten keine tragfähige Grundlage für die Prüfung der Frage, ob sich die Angeklagte auf Notwehr gemäß § 32 StGB oder entschuldigende Notwehrüberschreitung gemäß § 33 StGB berufen kann.
Es fehlt jegliche Mitteilung der Einlassung der Angeklagten, der Angaben der vernommenen Zeugen und eine nachvollziehbare und eingehende Würdigung der erhobenen Beweise (vgl. BGH, StV 1984, 64).
Die nur knappen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen schließen jedenfalls eine Notwehrlage i.S.d. § 32 StGB nicht von vornherein aus.
Als der Zeuge W. "in einer drohenden Körperhaltung und mit geäußerten Drohungen", zu deren Inhalt keine Feststellungen getroffen worden sind - mit der Revisionsbegründung wird vorgetragen, der Zeuge W. habe geäußert "Du bist tot, du bist tot" - auf die Angeklagte zuging, musste diese von einem - möglicherweise lebensbedrohlichen - gegenwärtigen Angriff auf ihre körperliche Integrität ausgehen.
Das Maß der danach erforderlichen Verteidigung wird durch die gesamten Umstände bestimmt, insbesondere durch die Stärke und Gefährlichkeit des Angriffs sowie durch die Verteidigungsmöglichkeiten des bzw. der Angegriffenen (vgl. BGH, NJW 1995, 973). Die Ausführungen hierzu, nach der die Handlung der Angeklagten weder erforderlich noch geboten gewesen sei, da die Angeklagte in der vollbesetzten Diskothek Hilfe herbeiholen bzw. hätte ausweichen können, sind ohne weiteres nicht nachvollziehbar.
Es sind keine Feststellungen dazu getroffen worden, dass überhaupt eingriffsbereite Dritte zur Unterstützung der Angeklagten anwesend waren. Das Verhalten der Personen in der Nähe der Auseinandersetzung spricht vielmehr gegen eine Hilfsbereitschaft, denn die Ohrfeige des Zeugen W. hatte den Urteilsgründen zufolge offenbar nicht zu einer Intervention anderer Gäste geführt. Darüber hinaus dürfte zweifelhaft sein, ob sich die Angeklagte auf eine solche Verteidigung verweisen lassen muß (vgl. BGH, NJW 1980, 2263) .
Ob die Angeklagte in der vollbesetzten Diskothek dem Angriff des Zeugen W. wegen der räumlichen Enge Oberhaupt rechtzeitig hätte ausweichen können, ist ebenfalls unklar. Es wäre ihr, die zuvor von dem Zeugen W. durch das Bespritzen mit dem Mineralwasser provoziert und sodann geohrfeigt und damit rechtswidrig angegriffen wurde, zudem nicht zuzumuten gewesen, unter Preisgabe ihrer Ehre oder anderer berechtigter Belange die Flucht zu ergreifen (vgl. BGH, a.a.O.).
Die weitere Frage, ob der Schlag mit dem Glas in das Gesicht des Zeugen W., der erhebliche Verletzungen erlitten hat, i.S.d. § 32 Abs. 2 StGB erforderlich war, ist ebenfalls vor dem Hintergrund der gesamten Umstände zu beurteilen, wobei insbesondere die Kräfteverhältnisse der angreifenden sowie der angegriffenen Person und die Intensität und Gefährlichkeit des Angriffs eine maßgebliche Rolle spielen. Auch insoweit lässt das angefochtene Urteil nachvollziehbare Feststellungen vermissen.
Selbst wenn das Amtsgericht zu den Einzelheiten des inneren und äußeren Geschehens sichere Feststellungen nicht hätte treffen können, so hätte sich dies nicht zu Lasten der Angeklagten auswirken dürfen (vgl. BGH, NJW 1995, 973; BGH, NStZ 1983, 453). Sollte im übrigen der Schlag mit dem Glas nicht mehr als die erforderliche Verteidigung angesehen werden können, so wäre zu prüfen gewesen, ob der Angeklagten ein Irrtum über erhebliche Tatumstände unterlaufen ist. Konnte sie aufgrund dessen von der Erforderlichkeit dieser Abwehrhandlung ausgehen, würde der Körperverletzungsvorsatz, unbeschadet einer eventuellen Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung, entfallen. Auch hierzu verhält sich das Urteil ebenso wenig wie zu einem möglichen Verbotsirrtum (vgl. dazu Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 32 Rdnr. 27).
Die aufgezeigten schwerwiegenden Begründungsmängel führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
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