Aktenzeichen: 2 Ws 187/99 OLG Hamm
Leitsatz: Dem Umstand, dass es sich bei dem vom Beschuldigten bezeichneten Rechtsanwalt um den Anwalt seines Vertrauens handelt, kommt bei der Auswahl des Pflichtverteidigers in der Regel besondere Bedeutung zu, so dass in diesen Fällen von der Regel des § 142 Abs. 1 S. 1 StPO abgewichen werden kann.
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Pflichtverteidiger, Anwalt des Vertrauens, Auswahl, Entpflichtung, wichtiger Grund
Normen: StPO 142, StPO 143
Fundstelle: ZAP EN-Nr. 635/99; NStZ 1999, 531; StV 1999, 587
Beschluss: Strafsache gegen O. u.a. wegen erpresserischen Menschenraubs (hier: Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung des Rechtsanwalts M.).
Auf die Beschwerde des Angeschuldigten K. vom 18. Mai 1999 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 8. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 8. März 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21.06.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Dem Angeschuldigten K. wird Rechtsanwalt M. aus Gelsenkirchen als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
Mit der Zustellung der Anklageschrift vom 18. Januar 1999, mit welcher dem Angeschuldigten K. sowie fünf weiteren Angeschuldigten ein am 6. Mai 1997 begangener erpresserischer Menschenraub zur Last gelegt wird, richtete der Vorsitzende der Strafkammer des Landgerichts Bochum mit Verfügung vom 29. Januar 1999 ein Schreiben an den Angeschuldigten mit der Aufforderung, binnen einer Woche zu den Gerichtsakten mitzuteilen, von welchem Rechtsanwalt er verteidigt werden wolle, andernfalls werde ihm seitens des Gerichts ein Verteidiger beigeordnet. Nachdem sich der Angeschuldigte, dem die Anklageschrift mit dem Anschreiben des Vorsitzenden am 9. Februar 1999 zugestellt worden war, nicht gemeldet hatte, ordnete ihm der Vorsitzende der Strafkammer nach Ablauf der Frist mit Verfügung vom 19. Februar 1999 Rechtsanwalt S. d.J. aus Bochum bei.
Mit Schriftsatz vom 5. März 1999 meldete sich sodann Rechtsanwalt M. aus Gelsenkirchen unter Beifügung einer Vollmacht des Angeschuldigten vom 4. März 1999 und bat um Entpflichtung des inzwischen beigeordneten Pflichtverteidigers sowie um seine eigene Beiordnung; für den Fall der Beiordnung kündigte er an, das Wahlmandat niederzulegen. Zur Begründung führte er aus, der Angeschuldigte habe sich bis in die 8. Kalenderwoche - diese endete am Sonntag, dem 28. Februar 1999 - in Thüringen aufgehalten und danach erst das Schreiben vom 9. Februar 1999 sowie die inzwischen erfolgte Beiordnung des Rechtsanwalts S. d.J. zur Kenntnis nehmen können. Es bestehe zu Rechtsanwalt M. auch ein besonderes Vertrauensverhältnis, da dieser für den - bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getretenen - Angeschuldigten schon in anderen Verfahren tätig gewesen sei.
Mit Beschluss vom 8. März 1999 hat der Vorsitzende der Strafkammer die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. d.J. sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt M. abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, der Angeschuldigte habe die ihm gesetzte Frist zur Benennung eines Rechtsanwalts verstreichen lassen und hätte für den Fall längerer Abwesenheit dafür Sorge tragen müssen, dass ihn die Post rechtzeitig erreiche. Er habe nach seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 7. Mai 1997 nämlich gewusst, dass gegen ihn ein Ermittlungsverfahren anhängig sei.
Auf die mit dem Beschluss verbundene Anfrage des Strafkammervorsitzenden hat Rechtsanwalt M. mit Schriftsatz vom 16. März 1998 mitgeteilt, dass er den Angeklagten als Wahlverteidiger vertrete.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat sodann mit Beschluss vom 23. März 1999 die Bestellung des Rechtsanwalts S. d.J., der am 16. März 1999 die Akten nach Einsichtnahme wieder zurückgesandt hatte, gemäß § 143 StPO zurückgenommen.
Mit seiner durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt M., der erneut klargestellt hat, dass er für den Fall der Beiordnung das Wahlmandat niederlege, eingelegten Beschwerde wendet sich der Angeschuldigte gegen den Beschluss vom 8. März 1999, soweit die Beiordnung von Rechtsanwalt M. abgelehnt worden ist. Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde mit Verfügung vom 19. Mai 1999 nicht abgeholfen.
Die von Rechtsanwalt M. ersichtlich für den Angeschuldigten eingelegte Beschwerde ist zulässig (vgl. Senatsbeschluss vom 23. November 1989 in 2 Ws 626/89 = NStZ 1990, 143 = MDR 1990, 461; ferner Beschlüsse des hiesigen 3. Strafsenats in StV 1990, 395; 1989, 242 und 1987, 478). Die von der Generalstaatsanwaltschaft für die Gegenmeinung angeführte Entscheidung des OLG Düsseldorf in StV 1997, 576 betrifft den hier nicht - mehr - vorliegenden Fall der Ablehnung der Rücknahme der bisher weiter bestehenden anderweitigen Pflichtverteidigerbestellung. Ob der vom OLG Düsseldorf vertretenen Rechtsansicht im übrigen beizutreten ist, kann deshalb hier dahinstehen.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Zwar kommt die Auswechslung eines Pflichtverteidigers grundsätzlich nicht allein deshalb in Frage, weil der Mandant das wünscht, sondern nur dann, wenn dieser darlegt und glaubhaft macht oder sonst ersichtlich ist, dass hierfür ein wichtiger Grund vorliegt, insbesondere das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Verteidiger ohne Verschulden des Mandanten ernsthaft gestört ist. Darüber hinaus wäre eine Pflichtverteidigerbestellung entgegen § 143 StPO auch dann aufrechtzuerhalten, wenn der Angeschuldigte zwar einen anderen Verteidiger bevollmächtigt, jedoch zu befürchten ist, dass dieser Wahlverteidiger sein Mandat alsbald niederlegen wird, um den bisherigen Pflichtverteidiger rechtsmissbräuchlich aus dem Amt zu verdrängen (vgl. KG NStZ 1993, 201; OLG Koblenz, MDR 1986, 604). In einem solchen Falle wäre dann in der Regel auch der frühere Pflichtverteidiger nach seiner Abbestellung wieder erneut zu bestellen (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1982, 298).
So liegt der Fall angesichts seiner Besonderheiten hier jedoch nicht.
Zwar soll gemäß § 142 Abs. 1 S. 1 StPO der Verteidiger möglichst aus der Zahl der bei dem zuständigen Gericht zugelassenen Rechtsanwälte ausgewählt werden. Diese Regel ist jedoch nicht uneingeschränkt anzuwenden. Nach § 142 Abs. 1 S. 3 StPO soll einem Angeschuldigten möglichst der von ihm als der Anwalt seines Vertrauens bezeichnete Rechtsanwalt als Verteidiger beigeordnet werden. Diesem Umstand kommt in der Regel besondere Bedeutung zu (vgl. BGH StV 1997, 564; OLG Hamm StV 1989, 242 und 1987, 478). Im vorliegenden Fall kann um so eher aus diesem Gesichtspunkt von der Regel des § 142 Abs. 1 S. 1 StPO abgewichen werden, als der vom Angeschuldigten bezeichnete Rechtsanwalt M. in Gelsenkirchen, einer Nachbarstadt von Bochum, dem Sitz des erkennenden Gerichtes, niedergelassen ist und der Angeschuldigte zudem in Essen, also neben den Städten Gelsenkirchen und Bochum, wohnt. Es ist deshalb auch nicht zu erwarten, dass durch seine Beiordnung ins Gewicht fallende Mehrkosten für die Staatskasse entstehen, zumal mit Rechtsanwalt S. d.J. bis zu dessen Entpflichtung eine Kontaktaufnahme mit dem Angeschuldigten offensichtlich nicht stattgefunden hatte (vgl. auch OLG Nürnberg NStZ 1997, 51). Demgemäss war dem mitgeteilten Vertrauensverhältnis, das zwischen dem Angeschuldigten und dem von ihm benannten Rechtsanwalt M. besteht, so großes Gewicht beizumessen, dass hier die Beiordnung dieses Rechtsanwalts geboten ist.
Dem Angeschuldigten kann nämlich hier nicht entgegengehalten werden, er müsse deswegen die Beiordnung eines von ihm nicht benannten Rechtsanwalts hinnehmen, weil er nicht fristgemäß einen Anwalt seines Vertrauens bezeichnet habe. Nachdem der Angeschuldigte im Mai 1997 unmittelbar nach der ihm zur Last gelegten Tat verantwortlich vernommen worden war und er sodann - soweit dies den vorliegenden Akten entnommen werden kann - über mehr als eineinhalb Jahre nichts von der Sache gehört hat, kann es ihm nicht zum Nachteil gereichen, dass er für rund drei Wochen nicht an seinem Wohnort anwesend war und in dieser Zeit keine Vorsorge dafür getroffen hatte, dass ihn dort eingehende Post unverzüglich erreicht. Da er sich nach seiner Rückkehr und Kenntnis von dem an ihn gerichteten Schreiben unverzüglich an Rechtsanwalt M. gewandt hat, kann dessen Verhalten vorliegend auch nicht als rechtsmissbräuchliches Hineindrängen in ein anderes Mandatsverhältnis mit den oben aufgezeigten Rechtsfolgen angesehen werden, zumal dem inzwischen beigeordneten Pflichtverteidiger bis zu diesem Zeitpunkt weder die Akten bekannt waren noch irgendein Kontakt zum Angeschuldigten hergestellt war.
Der angefochtene Beschluss war daher im angefochtenen Umfang mit der sich aus entsprechender Anwendung der §§ 473, 467 StPO ergebenden Kostenfolge aufzuheben und Rechtsanwalt M. dem Angeschuldigten als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO beizuordnen.
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