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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Bl 2/98

Leitsatz: Ein erweiterter Haftbefehl darf dem Beschuldigten nicht nur durch Übersendung zur Kenntnis gebracht werden. Vielmehr ist in analoger Anwendung des § 115 StPO (auch) der erweiterte Haftbefehl dem Beschuldigten zu verkünden. Wird der erweiterte Haftbefehl nicht verkündet, kann er bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nicht berücksichtigt werden.

Senat: 2

Gegenstand: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht

Stichworte: Verkündung, erweiterter Haftbefehl, Gegenstand der Haftprüfung

Normen: StPO 121, StPO115

Fundstelle: ZAP EN-Nr. 183/98; StV 1998, 273; wistra 1998, 158

Beschluss: Strafsache gegen A.R. wegen Steuerhinterziehung u.a. (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht)

Auf die Vorlage der (Zweit-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22.01.1998 durch die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Beschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

G r ü n d e:
I.
Der Beschuldigte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme am 11. Juli 1997 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hagen vom 8. Juli 1997 (77 Gs 906/97) seit diesem Tag in Untersuchungshaft.

Der Haftbefehl des Amtsgerichts vom 8. Juli 1997 legt dem Beschuldigten u.a. zur Last, in der Zeit vom 31. Juli 1991 bis zum 10. Juni 1997 in 31 Fällen Umsatzsteuerhinterziehung begangen zu haben. Der Beschuldigte soll einen Großteil des für den Betrieb seiner Gaststätten erforderlichen Getränkeeinkaufs bar getätigt und den Wareneinkauf nicht verbucht haben. Die dann mit diesem Wareneinkauf erzielten Einnahmen soll er dann nicht versteuert haben, wodurch es zu einer Steuerverkürzung von rund 730.00 DM gekommen sein soll.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ist inzwischen durch das Amtsgericht am 23. Dezember 1997 ein neuer Haftbefehl erlassen worden (67 Gs 1840/97). In diesem Haftbefehl wird dem Beschuldigten nunmehr zusätzlich auch der Bareinkauf von für die Küche benötigten Waren, deren Nichtverbuchung und die Nichtversteuerung der erzielten Einnahmen zur Last gelegt. Der Gesamtbetrag der Steuerverkürzung soll sich nunmehr auf rund 2,8 Mio DM belaufen.

Das Amtsgericht hat in seiner Verfügung vom 23. Dezember 1997 die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und dem Senat die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

II.
Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Beschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen.

1. Dabei beschränkt sich die dem Senat obliegende Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO auf die Frage, ob wegen des im Haftbefehl des AG Hagen vom 11. Juli 1997 umschriebenen Vorwurfs der Steuerhinterziehung, der auch Gegenstand des Haftbefehls vom 23. Dezember 1997 ist, die Voraussetzungen für ein Fortdauer der Untersuchungshaft vorliegen. Die Berücksichtigung des Haftbefehls vom 23. Dezember 1997 ist nämlich ausgeschlossen. Insoweit hat der Senat in der Vergangenheit bereits wiederholt entschieden, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur ein Haftbefehl berücksichtigt werden darf, hinsichtlich dessen Voraussetzungen der Beschuldigte bei der Haftbefehlseröffnung und vor einer weiteren Haftentscheidung substantiiert über den gegen ihn erhobenen Vorwurf, die Beweislage und die Haftgründe in Kenntnis gesetzt worden ist (vgl. u.a. Senat in StV 1995, 200 unter Hinweis auf BVerfG NStZ 1994, 551). Daran wird festgehalten.

Somit kam vorliegend die Berücksichtigung des Haftbefehls vom 23. Dezember 1997 nicht in Betracht. Denn dem Beschuldigten ist dieser - erweiterte - Haftbefehl bislang nicht im Sinn des § 115 StPO verkündet worden. Der Amtsrichter hat lediglich die Zustellung des Haftbefehls vom 23. Dezember 1997 verfügt und die Auffassung vertreten: Eine Verkündung von Haftbefehlen gegen Beschuldigte, die bereits auf Grund anderer Entscheidungen Insassen von Vollzugsanstalten sind, sei nicht erforderlich. Es genüge die Zustellung. § 115 a Abs. 1 StPO gelte nicht, da solche Beschuldigte schon begrifflich nicht "auf Grund eines Haftbefehls ergriffen" werden.

Diese Ansicht ist nach Auffassung des Senats unzutreffend. Der Senat hat bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass ein erweiterter Haftbefehl dem Beschuldigten nicht nur durch Übersendung zur Kenntnis gebracht werden kann, sondern - wovon auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeht - § 115 StPO entsprechend anzuwenden ist und (auch) der erweiterte Haftbefehl dem Beschuldigten verkündet werden muß (vgl. u.a. Senat in 2 BL 108/96). Diese Auffassung entspricht der ständigen Rechtsprechung aller Strafsenate des OLG Hamm und auch der in der Literatur vertretenen Meinung (vgl. u.a. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 115 StPO Rn. 11 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Auch daran ist festzuhalten. Bei dem erweiterten und ergänzten Haftbefehl handelt es sich in der Sache um einen neuen Haftbefehl. Deshalb muß der Beschuldigte sich im Rahmen des sich für ihn aus Art. 103 GG ergebenden Anspruchs auf rechtliches Gehör, der durch § 115 StPO konkretisiert wird, zu dem erweiterten und ergänzten Haftbefehl gegenüber dem für die Anhörung nach § 115 StPO zuständigen Haftrichter äußern können (so schon OLG Hamm JMBl. NW 1979, 191 f.). Dem Anspruch auf rechtliches Gehör wird nicht dadurch genügt, wovon aber offenbar das Amtsgericht in seiner Verfügung vom 23. Dezember 1997 ausgeht, dass der Beschuldigte sich ggf. gegenüber dem Bediensteten der Justizvollzugsanstalt bei Verlesung des erweiterten Haftbefehls äußern kann. Es handelt sich, worauf abschließend hinzuweisen ist, nicht um einen Fall des § 115 a StPO.

2. Es besteht gegen den Beschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm im Haftbefehl vom 8. Juli 1997 zur Last gelegten Taten Der Tatverdacht gegen den Beschuldigten ergibt sich aus den von der Steuerfahndung und der Staatsanwaltschaft durchgeführten Ermittlungen, insbesondere aus der Auswertung der bei den Lieferanten durchgeführten Ermittlungen. Diese sind von der Staatsanwaltschaft bei Beantragung des Haftbefehls zutreffend gewürdigt worden. Dieser Würdigung tritt der Senat bei und nimmt auf sie, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, Bezug.

Als Haftgrund ist der des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO gegeben; dahinstehen kann, ob auch der vom Amtsgericht angenommene Haftgrund der Verdunkelungsgefahr gegeben ist. Der Beschuldigte hat wegen der ihm zur Last gelegten Taten mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Diese hohe Straferwartung stellt erfahrungsgemäß einen nicht unerheblichen Fluchtanreiz dar, der vorliegend durch andere Umstände nicht gemildert wird. Der Beschuldigte ist ledig. Im Hinblick auf die Höhe der dem Beschuldigten zur Last gelegten Steuerhinterziehung mit einem vorliegend zu berücksichtigenden Gesamtbetrag von "nur" rund 730.00 DM bietet schon die daraus für den Beschuldigten zu erwartende Freiheitsstrafe einen erheblichen Fluchtanreiz. Der Beschuldigte muß auch, wenn er sich in sein Heimatland Italien absetzen würde, nicht - da er Italiener ist - mit einer Auslieferung rechnen. Der bestehende Fluchtanreiz wird nach Auffassung des Senats auch nicht dadurch gemildert, dass der Beschuldigte in der Bundesrepublik Grundbesitz erworben hat. Abgesehen davon, dass dieser bereits erheblich belastet ist, muß er insoweit mit weiteren Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamtes rechnen. Diese werden es dem Beschuldigten auf Dauer unmöglich machen, im Inland einer legalen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Nach allem ist der Senat daher davon überzeugt, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren durch Flucht entziehen würde, wenn er auf freien Fuß käme.

Demgemäss war der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO zu erreichen. Insbesondere konnte der bestehende Fluchtanreiz nicht durch eine Kaution ausgeräumt oder gemildert werden.

Es steht die bisher gegen den Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls gegeben, da wichtige Gründe ein Urteil bislang noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigen. Nach der vorläufigen Festnahme des Beschuldigten sind die Ermittlungen der Steuerfahndung zügig geführt worden. Bereits am 22. Juli 1997 ist bei mehreren Banken, mit denen der Beschuldigte Geschäftskontakte hat, durchsucht worden. Daran haben sich dann in der folgenden Zeit die Vernehmungen von Lieferanten bzw. deren Angestellten angeschlossen, die zur Abklärung des Umfangs der dem Beschuldigten zu machenden Vorwürfe erforderlich waren. Inzwischen ist die Steuerfahndung mit der Erstellung des Abschlußberichts befasst, der noch in diesem Monat vorgelegt werden soll. Die Staatsanwaltschaft beabsichtigt danach, umgehend Anklage zu erheben.

Nach allem sind damit vermeidbare Fehler und Versäumnisse der Justizbehörden nicht festzustellen, vielmehr haben wichtige Gründe i.S. des § 121 Abs. 1 StPO, nämlich der Umfang der Ermittlungen, den Erlass eines Urteils bisher noch nicht zugelassen, so dass der sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebende Beschleunigungsgrundsatz ausreichend berücksichtigt ist.

III. Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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