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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss 385/99 OLG Hamm

Leitsatz: Stützt der Tatrichter den Schuldspruch auf Sachverständigengut-achten, ist in den Urteilsgründen eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: lückenhafte Feststellungen, Sachverständigengutachten, Anknüpfungstatsachen

Normen: StPO 267

Beschluss: Strafsache gegen O.I.,
wegen vorsätzlicher Körperverletzung.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XXII. kleinen erweiterten Strafkammer des Landgerichts Essen vom 08.12.1998 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30.04.1999 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere erweiterte kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht Gelsenkirchen hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der in dem Verfahren 71 Js 27/95 StA Essen verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei weiteren Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht Essen die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 28.07.1998 verworfen.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision beantragt der Angeklagte, das angefochtene Urteil im Strafausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückzuverweisen. Der Angeklagte begründet die Revision mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts und greift mit näheren Ausführungen das angefochtene Urteil insoweit an, als die Strafkammer eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten verneint und ihn zur Zeit der ihm jeweils zur Last gelegten Taten als voll verantwortlich angesehen hat.

Diese Wertung der Strafkammer wird nach Ansicht der Revision von den insoweit getroffenen Feststellungen nicht getragen.

Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch sowie im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache an eine andere erweiterte kleine Strafkammer des Landgerichts Essen.

Die Gründe des angefochtenen Urteils ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob die Feststellung, der Angeklagte sei zu den Tatzeiten uneingeschränkt schuldfähig gewesen, rechtlich bedenkenfrei getroffen worden ist. Nach den Feststellungen des Landgerichts beging der Angeklagte die dem Berufungsurteil zugrunde liegenden drei Taten der vorsätzlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin K. im Oktober 1994 sowie Ende Februar 1998 und am 02.03.1998. Bei jeder dieser Gelegenheiten schlug der Angeklagte die Zeugin mehrfach kräftig mit der flachen Hand ins Gesicht, bei den Taten von Oktober 1994 und vom 02.03.1998 versetzte der Angeklagte der Zeugin darüber hinaus auch Faustschläge, bei der Tat vom 02.03.1998 auch in das Gesicht.

Zu der geistig-seelischen Befindlichkeit des Angeklagten zu den Tatzeiten hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

,,Seit dem Jahre 1993 trank der Angeklagte regelmäßig Alkohol und konsumierte Haschisch sowie Kokain, das ihm seine Freunde zur Verfügung stellten. Eine süchtige Abhängigkeit bestand jedoch nicht. Seinen Konsum hatte der Angeklagte stets unter Kontrolle. Er vermied es, in der Öffentlichkeit oder in seiner Familie aufzufallen. Auch zur Zeit der festgestellten Taten hatte der Angeklagte möglicherweise Alkohol oder Drogen zu sich genommen. Der übermäßige Konsum von Alkohol oder Drogen zur Tatzeit lässt sich jedoch ebenso wie eine dadurch bedingte erhebliche Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausschließen. Die festgestellten Taten stehen nicht im Zusammenhang mit übermäßigem Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln sondern sind aus der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten und der jeweiligen Situation zu erklären. Der Angeklagte neigt erziehungs- und persönlichkeitsbedingt zu situativ veranlassten aggressiven Ausbrüchen. Die Persönlichkeitsstörung hat allerdings nicht das Ausmaß einer schweren seelischen Abartigkeit. Strafrechtlich war der Angeklagte zur Zeit der ihm zur Last gelegten Taten voll verantwortlich. (...)

Die Feststellungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten folgen aus dem überzeugenden Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. K. und decken sich mit der glaubhaften Einlassung des Angeklagten. (...)"

Bei der Strafzumessung hat die Kammer sodann zugunsten des Angeklagten bewertet, dass er durch seine Krebserkrankung - der Angeklagte war nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer an Blasenkrebs erkrankt und musste im Jahre 1993 zweimal operiert werden und anschließend jeweils eine Kur antreten - einer starken psychischen Belastung ausgesetzt war, dass er zur Tatzeit möglicherweise Alkohol oder Drogen zu sich genommen hatte und zu situativ bedingten aggressiven Ausbrüchen neige.

Das angefochtene Urteil leidet unter dem Darstellungsmangel, dass die Wertung der Kammer, der Angeklagte sei zur Zeit der ihm zur Last gelegten Taten voll verantwortlich gewesen, nicht im Wege einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Beweisführung begründet worden ist.

Das Landgericht hat sich insoweit auf das überz6ugende Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. K. sowie auf die glaubhafte Einlassung des Angeklagten, die mit den getroffenen Feststellungen übereinstimmen gestützt.

Stützt der Tatrichter den Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten, ist in den Urteilsgründen eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich (BGH StPO, § 267 Abs. 1 S. 1, Beweisergebnis 2; Beschluss vom 08;04.1987; Senat, Beschluss vom 10.09.1998 - 3 Ss 820/98 OLG Hamm -; vgl. auch BGHR StPO, § 261 Sachverständiger 1 - Beschluss vom 02.10.1986). Es müssen die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Darlegungen im Urteil so wiedergegeben werden, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist, wobei sich der Umfang der Darlegungspflicht nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt, richtet (BGHR StPO, § 261 Sachverständiger 6, Beschluss vom 07.05.1996; Senat, a.a.O.). Die alleinige Mitteilung des Ergebnisses des Sachverständigengutachtens kann - je nach Lage des Einzelfalles - nur etwa dann ausreichen, wenn der Sachverständige bei der Begutachtung ein weithin standardisiertes Verfahren angewendet hat, es sich um einen renommierten Sachverständigen handelt und wenn von keiner Seite Einwände gegen die der Begutachtung zugrundeliegende Tatsachengrundlage und die Zuverlässigkeit der Begutachtung selbst erhoben werden (BGHR StPO, § 261 Sachverständiger 4, Urteil vom 29.09.1992; Senat, a.a.O.).

Die Kammer hat sich hier entgegen diesen Grundsätzen darauf beschränkt, allein das Ergebnis des sachverständigengutachtens Dr. K. mitzuteilen. Die Voraussetzungen, unter denen dies ausnahmsweise zur Beweisführung ausreicht, lagen hier erkennbar nicht vor. Es fehlt bereits an der Anwendung eines weithin standardisierten Verfahrens - etwa bei der Bestimmung des Blutalkoholwertes oder bei daktyloskopischen Gutachten -, vielmehr war Gegenstand des Gutachtens die Bewertung der geistig-seelischen Verfassung des Angeklagten, die sich aber einem standardisierten Verfahren entzieht. Die Kammer hätte daher zunächst mitteilen müssen, welche Feststellungen sie - etwa auf der Grundlage der von ihr angeführten Einlassung des Angeklagten - zu dem Alkohol- und Drogenkonsum des Angeklagten zu den Tatzeiten getroffen hatte. Darüber hinaus wäre eine in die Einzelheiten gehende Darstellung der von der Sachverständigen zur Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten bzw. zu der bei ihm offenbar festgestellten Persönlichkeitsstörung. erhobenen Befunde geboten gewesen. Auf dieser Grundlage hätte sodann erörtert werden müssen, welche Schlussfolgerungen die Sachverständige auf der Grundlage der so gewonnenen Anknüpfungs- und Befundtatsachen aus ihrer fachlichen Sicht gezogen hatte, und zwar insbesondere auch unter Berücksichtigung eines möglichen Zusammenwirkens von Alkohol- und Drogenkonsum einerseits und der bei dem Angeklagten festgestellten Persönlichkeitsstörung andererseits, und zwar jeweils bezogen auf die einzelnen Tatzeiten.

Der aufgezeigte Darstellungsmangel des angefochtenen Urteils erstreckt sich auf sämtliche drei Einzelstrafen sowie auf die beiden von der Strafkammer festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafen. Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.

Über den Darstellungsmangel hinsichtlich der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten hinaus vermag der Senat entgegen der Ansicht der Revision im Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils allerdings keine weiteren Rechtsfehler zu erkennen.


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