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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 356/00 OLG Hamm

Leitsatz: Wenn der Angeklagte nur zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt wird, ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers jedenfalls dann erforderlich, wenn weitere schwere Folgen (hier: Widerruf mehrerer Strafaussetzungen) zu erwarten sind.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: notwendige Verteidigung, Pflichtverteidigung wegen Schwere der Tat, Straferwartung von mindestens einem Jahr, weitere schwere Folgen, Bewährungswiderruf

Normen: StPO 338 Nr. 5, StPO 140 Abs. 2 Satz 1

Beschluss: Strafsache gegen G.S.,
wegen Betruges.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Lippstadt vom 8. Februar 2000 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06.04.2000 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lippstadt zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

Im Hauptverhandlungstermin hat sich der Angeklagte selbst verteidigt. Er hatte weder einen Wahlverteidiger noch ist ihm ein Pflichtverteidiger bestellt worden.

Das gegen das Urteil rechtzeitig eingelegte Rechtsmittel ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist als Revision bezeichnet worden.

Diese hat mit der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO Erfolg. Denn die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht hat ohne Verteidiger stattgefunden, obwohl hier die Bestellung eines Pflichtverteidigers wegen der Schwere der Tat gemäß § 140 Abs. 2 S. 1 StPO geboten war.

Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Nach heute überwiegender und zutreffender Auffassung wird jedenfalls bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO bejaht (vgl. hierzu OLG Hamm NStZ-RR 1997, 78; OLG Frankfurt StV 1995, 628; BayObLG NJW 1995, 2738).

Hier ist der Angeklagte durch das angefochtene Urteil zwar (nur) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden. Die Verurteilung war jedoch mit absehbaren schwerwiegenden weiteren Folgen verbunden, die neben der Straferwartung ebenfalls bei der Beurteilung der Schwere der Tat zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Hamm Beschluss vom 23. März 1999 - 5 Ss 223/99 -; BayObLG a.a.O.). Als deren Folge drohte der Widerruf von zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen aus drei weiteren Strafverfahren. Der Angeklagte ist nämlich durch Urteil des Schöffengerichts Essen vom 9. November 1993 (AZ.: 39 Ls 56 Js 72/93) wegen fortgesetzten Erwerbs von Heroin, Diebstahls und wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, deren Vollstreckung nach zweimaliger Verlängerung der Bewährungszeit bis zum 27. Juni 2000 zur Bewährung ausgesetzt ist. Darüber hinaus ist der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts Beckum vom 20. April 1998 (AZ.: 4 Ds 60 Js 1232/97) wegen Betruges in drei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und am 11. Mai 1999 durch Urteil des Amtsgerichts Soest (AZ.: 4 Ds 30 Js 1254/98) wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden; die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafen ist ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt worden. Unter Berücksichtigung der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Widerrufsentscheidungen bezüglich der vorgenannten Bewährungsstrafen ist es für den Angeklagten um einen Freiheitsentzug von mehr als drei Jahren gegangen. Damit ist die Grenze der Straferwartung, bei der in der Regel Anlass besteht, einen Fall der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO zu bejahen, bei weitem überschritten gewesen, so dass trotz der zahlreichen strafrechtlichen Vorbelastungen und der daraus resultierenden forensischen Erfahrung des Angeklagten die Bestellung eines Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO zwingend geboten gewesen ist.

Da der Verstoß gegen § 140 Abs. 2 StPO einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO darstellt, war das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lippstadt zurückzuverweisen.


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