Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. 6 - 70/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Zum besonderen Umfang des Verfahrens im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO und zur Berücksichtigung von zwischen Antragstellung und Beiordnung erbrachter Tätigkeiten des Rechtsanwalts
Senat: 2
Gegenstand: Pauschvergütung
Stichworte: besonderer Umfang, Berücksichtigung von zwischen Antragstellung und Beiordnung erbrachter Tätigkeiten, Hauptverhandlungsdauer, Gespräche mit dem Mandanten
Normen: BRAGO 99, BRAGO 102, BRAGO97
Beschluss: Strafsache gegen M.M. wegen Vergewaltigung u.a. hier: Pauschvergütung für den als Vertreter der Nebenklägerin bestellten Rechtsanwalt).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts K. aus A. vom 17. August 1999 auf Bewilligung einer Pauschvergütung für die Vertretung der Nebenklägerin hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.06.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Gründe:
I.
Dem früheren Angeklagten wurde von der Staatsanwaltschaft Münster eine zum Nachteil der aus Thailand stammenden Nebenklägerin begangene Vergewaltigung vorgeworfen. Der Antragsteller, der seit dem 3. Mai 1999 für die Nebenklägerin als Wahlanwalt tätig gewesen ist, ist der Nebenklägerin auf seinen Antrag vom 7. Juni 1999 am 6. Juli 1999 als Beistand gemäß § 397 a Abs. 1 StPO beigeordnet worden.
Der Antragsteller hat nach seinen Angaben am 21. Juni, 28. Juni, 5. Juli und 6. August 1999 vier jeweils 45 Minuten dauernde Besprechungen mit seiner Mandantin geführt. Er hat außerdem an der Hauptverhandlung vor der Strafkammer des Landgerichts teilgenommen. Diese hat am 9. August 1999 von 9.00 bis 13.45 Uhr und am 11. August 1999 von 9.00 Uhr bis 15.30 Uhr gedauert. In der Beweisaufnahme wurden vier Zeugen vernommen.
Der Antragsteller, dessen gesetzliche Gebühren 1.100 DM betragen, hat die Gewährung einer angemessenen Pauschvergütung beantragt. Der Vertreter der Staatskasse hat der Bewilligung einer Pauschvergütung widersprochen. Er sieht das Verfahren weder als "besonders schwierig" noch als "besonders umfangreich" an.
II.
Dem Antragsteller war - entgegen der Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse - gemäß §§ 99 Abs. 1, 102 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.
1. Der Senat schließt sich der Auffassung des Vertreters der Staatskasse allerdings insoweit an, als das Verfahren nicht als "besonders schwierig" im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO anzusehen ist. Das entspricht der Stellungnahme des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Gerichts, von der abzuweichen vorliegend keine Gründe erkennbar sind; insbesondere gibt auch der Umstand, dass es sich bei der Mandantin um eine Ausländerin gehandelt hat, keinen Anlass von dieser Einschätzung abzuweichen (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit der Einschätzung des Vorsitzenden siehe Senat in AnwBl. 1998, 416 = AGS 1998, 104 = ZAP EN-Nr. 609/98).
2. Das Verfahren war aber entgegen der Auffassung des Vertreters der Staatskasse schon im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO "besonders umfangreich". Besonders umfangreich ist eine Strafsache nach ständiger Rechtsprechung des Senats, die der einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Literatur entspricht (vgl. z.B. OLG Koblenz NStZ 1988, 371; siehe auch Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 13. Aufl., 1999, § 99 Rn. 3), wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer "normalen" Sache zu erbringen hat. Vergleichsmaßstab sind dabei nur gleichartige Verfahren (OLG Koblenz Rpfleger 1985, 508; OLG München JurBüro 1976, 638 = MDR 1976, 689), vorliegend also Verfahren vor der Strafkammer (vgl. auch Senat in NStZ-RR 1998, 254 = StraFo 1998, 321, 356 = AGS 1998, 140 = StV 1998, 619 und die weiteren Nachweise aus der Rechtsprechung des Senats bei ; zuletzt auch Senat in 2 (s) Sbd - 40/2000).
Legt man diesen Maßstab hier zugrunde hat es sich schon um ein "besonders umfangreiches" Verfahren gehandelt.
Der Umfang der Akten ist mit rund 250 Blatt für ein Verfahren vor der großen Strafkammer zwar noch nicht komplex. Der Antragsteller hat aber an zwei Hauptverhandlungsterminen teilgenommen, von denen der erste rund 4 Stunden 45 Minuten und der zweite 6 Stunden 30 Minuten gedauert hat. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungen lag bei 5 Stunden 38 Minuten, was nach Auffassung des Senats schon im überdurchschnittlichen Bereich liegt.
Ob dieser Umstand allein geeignet gewesen wäre, das vorliegende Verfahren schon als "besonders umfangreich" anzusehen, kann dahinstehen. Denn den besonderen, zum "besonderen Umfang" führenden, Charakter erhält das Verfahren durch die über die Tätigkeit des Antragstellers in den Hauptverhandlungen hinausgehenden Tätigkeiten. Insoweit sind entgegen der Auffassung des Vertreters der Staatskasse alle nach dem Beiordnungsantrag vom 7. Juni 1999 vom Antragsteller mit seiner Mandantin geführten Besprechungen zu berücksichtigen. Zwar ist der Antragsteller seiner Mandantin erst am 6. Juli 1999 als Beistand beigeordnet worden, so dass, worauf der Vertreter der Staatskasse insoweit zutreffend hinweist, die bis dahin als Wahlverteidiger erbrachten Tätigkeiten grundsätzlich nicht bei der Bewilligung einer Pauschvergütung zu berücksichtigen sind (vgl. dazu u.a. Senat in AnwBl. 1998, 219 = AGS 1997, 138). Der Senat hat jedoch bereits wiederholt entschieden, dass das nicht der Fall ist, wenn der Rechtsanwalt früher hätte beigeordnet werden können; ein insoweit festzustellendes Versäumnis der Justizbehörden kann nicht zu seinen Lasten gehen (vgl. dazu grundlegend Senat in StV 1997, 426 = StraFo 1997, 159 = NStZ-RR 1997, 223 = JurBüro 1997, 362 = AGS 1999, 28; zustimmend Marberth StraFo 1997, 225, 229). Er ist dann so zu stellen, als ob er rechtzeitig beigeordnet worden wäre. Da vorliegend keine Gründe ersichtlich sind, warum der Antragsteller nicht unmittelbar nach seinem Antrag vom 7. Juni 1999, der am gleichen Tag beim Landgericht eingegangen ist, sondern erst mit der Eröffnung des Verfahrens am 6. Juli 1999 beigeordnet worden ist, sind alle vier am 21. und 28. Juni, am 5. Juli und am 6. August 1999 geführten Besprechungen mit der Mandantin bei der Bewilligung der Pauschvergütung zu berücksichtigen. Diese überschreiten mit einer Länge von jeweils 45 Minuten auch den üblichen Aufwand des Antragstellers und sind daher nicht durch die gesetzlichen Gebühren abgegolten. Sie werden im Übrigen auch nicht durch andere Umstände kompensiert, da auch die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungen im überdurchschnittlichen Bereich anzusiedeln ist.
3. Bei der somit nach allem zu bewilligenden Pauschvergütung hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Dabei waren die überdurchschnittlichen Tätigkeiten des Antragstellers in der Hauptverhandlung sowie die geführten Besprechungen von Belang. Da bereits aus anderen Gründen eine Pauschvergütung zu bewilligen war, konnten auch die Fahrtzeiten des Antragstellers, dessen Kanzlei ihren Sitz in A. hat, zum Landgericht nach Münster berücksichtigt werden (vgl. dazu Senat in StraFo 1999, 143 = wistra 1999, 156). Nach allem erschien eine Pauschvergütung etwa in Höhe der einem Wahlanwalt zustehenden Mittelgebühr als angemessen, aber auch ausreichend, um die von dem Antragsteller für seine Mandantin erbrachten Tätigkeiten abzugelten. Der Senat hat daher auf die bewilligte Pauschvergütung von 1.600 DM erkannt.
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