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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 VAs 1/99 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Bei der der Vollstreckungsbehörde obliegenden Ermessensentscheidung, ob ein Überstellungsersuchen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IRG anzuregen ist, ist das Resozializierungsinteresse des Betroffenen gegen das öffentliche Interesse an der Durchsetzung aller Strafzwecke abzuwägen. Die Entscheidung muß dabei nachprüfbar erkennen lassen, dass die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und alle zu berücksichtigenden Belange des Betroffenen in die Abwägung einbezogen hat. Eines näheren Eingehens auf diese Belange bedarf es nur dann nicht, wenn der Betroffene selbst keine seiner Resozialisierung dienenden Umstände vorgetragen hat und solche auch sonst nicht ersichtlich sind.

2. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Vollstreckungsbehörde bei der Prüfung der Frage, ob die Überstellung eines Verurteilten in die Türkei zur weiteren Strafvollstreckung in Betracht kommt, die dort übliche Vollstreckungsdauer mit berücksichtigt. Das gilt insbesondere auch, wenn die bei der Bemessung der Mindestverbüßungsdauer einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur berücksichtigende "besondere Schwere der Schuld" (§ 57 a I Nr. 2 StGB) nach der türkischen Vollstreckungspraxis ohne Belang ist und der Verurteilte schon aus diesem Grund im Vergleich mit deutschen Straftätern in ungerechtfertigter Weise bevorzugt würde.

Senat: 1

Gegenstand: Justizverwaltungssache

Stichworte: Überstellung zur Strafvollstreckung, Vollstreckungsdauer, Ermessensentscheidung, Abwägung der beteiligten Interessen

Normen: IRG 71, StGB 57 a

Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend den Strafgefangenen B.A.,
wegen Mordes, (hier: Ersuchen um Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe in der Türkei).

Auf den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 31. August 1998 gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Wuppertal vom 13. Mai 1998 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 22. Juli 1998 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. März 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beschlossen:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet kostenpflichtig verworfen.

Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:
Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde vom Landgericht Wuppertal am 27. Mai 1993 wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit jeweils gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung mit Todesfolge, erpresserischem Menschenraub, schwerem Raub und schwerer räuberischer Erpressung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Betroffenen war in diesem Verfahren zur Last gelegt worden, in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1992 gemeinsam mit zwei türkischen Mittätern einen 71-jährigen wohlhabenden Rentner in einer Gaststätte in ihre Gewalt gebracht und sodann seines Bargeldes und seiner Auto- und Wohnungsschlüssel beraubt zu haben. Aus der Wohnung des Opfers wurden Elektrogeräte, Schecks, Scheckkarten, Sparbücher und die Kraftfahrzeugpapiere entwendet. Nachdem das Opfer gezwungen worden war, die Scheckformulare zu unterschreiben, tötete einer der Mittäter dem gemeinsamen Tatplan entsprechend das Opfer, indem er es erwürgte. Das Schwurgericht hat dazu ergänzend festgestellt, dass bei dem Betroffenen die besondere Schwere der Schuld zu bejahen sei.

Mit Schreiben vom 6. Januar 1997 hat der Betroffene einen Antrag auf Überstellung in die Türkei gestellt und dazu ausgeführt:

,,Hiermit beantrage ich, gemäß dem Transferübereinkommen zur weiteren Verbüßung der hier gegen mich verhängten Freiheitsstrafe in mein Heimatland Türkei überstellt zu werden."

Die Staatsanwaltschaft Wuppertal hat den Antrag abschlägig beschieden und dazu ausgeführt:

"Nach Abwägung Ihrer Belange, namentlich Ihres Resozialsierungsinteresses, und der dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke habe ich ein Ersuchen um Übernahme der weiteren Vollstreckung an die türkischen Behörden nicht angeregt. Denn die besondere Schwere Ihrer Schuld gebietet unter Hintanstellung Ihres Resozialisierungsinteresses eine Vollstreckungsdauer von deutlich über 15 Jahren. Eine Erklärung der türkischen Behörden über eine entsprechende Dauer der Vollstreckung im vorliegenden Fall war jedoch nicht zu erlangen."

Der Betroffene hat diese Entscheidung in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten und dazu ausgeführt, dass ,,sich alle sozialen Bindungen in der Türkei befinden". Er habe in der JVA Aachen keinen Anlass zur Beanstandung gegeben; auch müsse er damit rechnen, in der Türkei aufgrund der hier ergangenen Verurteilung eine Freiheitsstrafe von mindestens 16 Jahren und 2 Tage zu verbüßen. Damit werde dem Aspekt der schuldschwere ausreichend Rechnung getragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat den als Beschwerde anzusehenden Antrag des Betroffenen als unbegründet zurückgewiesen und dazu u.a. folgendes ausgeführt:

,,Bei meiner Entschließung habe ich die dem deutschen Strafrecht zugrundeliegenden Strafzwecke in Rechnung gestellt und gegenüber Ihren persönlichen Belangen; namentlich Ihrem Resozialisierungsinteresse abgewogen. Dabei habe ich insbesondere den Strafzweck der Generalprävention berücksichtigt, nachdem durch die Verbüßung eines großen Teils der Strafe potentielle Straftäter abgeschreckt und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts gewahrt werden sollen. In meine Ermessensentscheidung habe ich auch die Vollstreckungspraxis des Vollstreckungsstaates einbezogen.

In Anbetracht der erheblichen Schuld, die in der Verurteilung durch das Landgericht Wuppertal' vom 27. Mai 1993 zum Ausdruck gekommen, sowie in Ansehung der üblichen Praxis der Vollstreckung in der Türkei ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Wuppertal nicht zu beanstanden. Nach türkischem Recht ist die bedingte Entlassung eines zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe Verurteilten bereits nach Verbüßung von 16 Jahren und 2 Tagen Freiheitsstrafe bei guter Führung vorgesehen. Nach deutschem Recht jedoch ist in einem Fall wie dem Ihren, in dem die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57 a Abs. 1 Nr. 2 des Strafgesetzbuches durch das Urteil festgestellt worden ist, mit einer Vollstreckungsdauer von deutlich mehr als 15 Jahren zu rechnen. Eine Entlassung bereits nach 16 Jahren und 2 Tagen widerspräche den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Strafrecht verfolgten Zwecken und würde den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen.

Den mit der Strafvollstreckung nach deutschem Recht verfolgten Zwecken ist aus den aufgezeigten Gesichtspunkten der Vorrang vor Ihren persönlichen Belangen beizumessen, deren Beeinträchtigung sich als selbstverschuldete Folge schwerwiegender Straftaten darstellt."

Gegen diese Entschließungen richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG.

Der Antrag ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Die Zulässigkeit des Antrags ergibt sich aus §§ 23 ff EGGVG. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 18. Juni 1997 (NJW 1997, 5. 3013) festgestellt, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ersuchen um Übernahme der weiteren Vollstreckung nicht anzuregen, sich als Rechtsakt mit unmittelbarer Außenwirkung für den Betroffenen darstellt und sich damit auch auf das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse des Verurteilten auswirkt. Daraus folge zugleich, dass ein gerichtlicher Rechtsschutz, zu überprüfen, ob die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, nicht verwehrt werden darf (Art. 19 Abs. 4 GG). Mangels anderweitiger Rechtsbehelfsmöglichkeiten ist hierfür der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. Senatsbeschluss vom 29. Januar 1998 - 1 VAs 7/98 -; Senatsbeschluss vom 14. Juli 1998 - 1 VAs 31/98 -)

Daraus folgt, dass die staatsanwaltschaftlichen Entschließungen für den Betroffenen und das Gericht die Nachprüfung ermöglichen müssen, ob die Behörde das ihr zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat. Insbesondere muß erkennbar sein, dass die Staatsanwaltschaft den ihr eingeräumten Ermessensspielraum eingehalten und dabei von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und dass sie alle zu berücksichtigenden Umstände abgewogen und in ihrer Entschließung einbezogen hat. Diesen Anforderungen werden die Entschließungen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft jedenfalls im vorliegenden Fall noch gerecht, weil der Betroffene in seinem Antrag vom 6. Januar 1997.keine Gründe dafür vorgetragen hat, warum eine Strafverbüßung in der Türkei seine Resozialisierung besser gewährleisten könnte. Auch der Beschwerdebegründung sowie seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist dazu lediglich zu entnehmen, dass sich ,,alle sozialen Bindungen in der Türkei befinden." Um welche Bindungen es sich dabei handelt, wird von dem Betroffenen, der sich. seit 1975 in Deutschland befindet und in Wuppertal die Hauptschule besuchte, nicht vorgetragen. Hinzu kommt, dass nach dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt Aachen davon ausgegangen werden kann, dass sich die Familienangehörigen des Betroffenen in Deutschland befinden und nur im Falle seiner Überstellung in die Türkei zurückkehren würden. Auch aus diesem Grund ist nicht ersichtlich, warum die Resozialisierung des Betroffenen, der wegen seines langen Aufenthalts in Deutschland auch im Vollzug keinen besonderen Schwierigkeiten als Ausländer unterworfen ist, durch eine Überstellung in die Türkei gefördert werden könnte. Deshalb ist es im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise nicht zu beanstanden, dass die Staatsanwaltschaft auf die von dem Betroffenen behaupteten sozialen Bindungen in ihrer Abwägung nicht näher eingegangen ist.

Im übrigen hat die Generalstaatsanwaltschaft aber auch zu Recht darauf abgestellt, dass der Betroffene damit rechnen kann, im Falle seiner Überstellung bei guter Führung in der Türkei nur 16 Jahre und 2 Tage in der Strafhaft verbleiben zu müssen. Das Schwurgericht hat hingegen mit nachvollziehbaren Erwägungen die besondere Schwere der Schuld gemäß § 57 a Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht. Es erscheint unter diesen Umständen fernliegend, dass der Betroffene im Falle der Vollstreckung der Freiheitsstrafe in Deutschland bereits nach 16 Jahren wieder in die Freiheit entlassen würde. Daraus folgt, dass der Betroffene - würde man seinem Antrag entsprechen -, durch die Vollstreckung der Freiheitsstrafe in der Türkei eine Besserstellung erfahren würde, die ihn im Vergleich mit deutschen Straftätern, die ihre Strafe im Inland verbüßen müssen, in ungerechtfertigter Weise bevorzugen würde.

Die Nebenentscheidung folgt aus §§ 30 EGGVG, 20, 130 KostO.


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