Aktenzeichen: 2 Ws 262/99 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung, neue Straftat, noch nicht rechtskräftig verurteilt
Normen: StGB 56 f
Beschluss: Strafsache gegen H.G.,
wegen Betruges und gewerbsmäßigen Verleitens zu Börsenspekulationsgeschäften, (hier: Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB).
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 23. August 1999 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 13. August 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.09.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung aus dem Urteil des Landgerichts Bochum vom 5. März 1997 wird abgelehnt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich seiner eigenen notwendigen Auslagen trägt der Verurteilte.
Gründe:
Durch Urteil der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 5. März 1997, rechtskräftig seit demselben Tage, wurde der Verurteilte wegen Betruges in Tateinheit mit gewerbsmäßigem Verleiten zu Börsenspekulationsgeschäften in 71 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt. Diese Strafe verbüßt er derzeit in der Justizvollzugsanstalt Bochum. Zwei Drittel der Strafe waren am 12. August 1999 verbüßt; das Strafende ist auf den 12. Juni 2001 vorgemerkt.
Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer nach mündlicher Anhörung des Verurteilten die Vollstreckung des mit Ablauf des 27. August 1999 noch nicht verbüßten Restes der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem genannten Urteil zur Bewährung ausgesetzt.
Ihre Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer darauf gestützt, dass der Verurteilte nicht vorbestraft sei und demgemäss erstmals Freiheitsstrafe verbüße, sich inzwischen seit über dreieinhalb Jahren ununterbrochen in Haft befinde und durch die bisherige Vollstreckung ersichtlich beeindruckt sei. Auch sei sein Vollzugsverhalten stets beanstandungsfrei gewesen, wobei er seine Arbeit im Bereich der anstaltseigenen Druckerei zur vollsten Zufriedenheit aller Beteiligten erledigt habe. Er sei seit Anfang des Jahres dem offenen Vollzug gleichgestellt, habe die ihm gewährten Lockerungen nicht missbraucht und sei aus Beurlaubungen und von Ausgängen immer ordnungsgemäß zurückgekehrt. Er unterhalte intensiven Kontakt zu seiner Lebensgefährtin und den beiden Kindern und kehre zu ihnen in geordnete Verhältnisse zurück. Zudem habe er eine Arbeitsstelle in seinem erlernten Beruf als Gas- und Wasserinstallateur bereits in Aussicht.
Im übrigen wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, ist zulässig und im Ergebnis begründet.
Nach Auffassung des Senats kann es nämlich unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit - zumindest gegenwärtig - nicht verantwortet werden, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen. Der Verurteilte hat nämlich zur Überzeugung des Senats während der laufenden Strafvollstreckung mehrere Straftaten begangen. In dem Strafverfahren gegen seine Lebensgefährtin R.v.B. wegen Betruges bzw. Beihilfe zur Untreue und anderem (35 Js 668/96) hat er sowohl in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht Recklinghausen am 1. September 1997 sowie in der Hauptverhandlung vor der Berufungsstrafkammer des Landgerichts Bochum am 18. November 1998 einen Meineid geleistet sowie am 1. September 1997 zuvor den damaligen weiteren Zeugen S. zum Meineid angestiftet. Diesem Verhalten hat die Strafvollstreckungskammer nicht das erforderliche Gewicht beigemessen. Zwar ist der Beschwerdegegner wegen der genannten Taten noch nicht verurteilt worden. Das mit der Aussetzungsfrage gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB befasste Gerichte ist aber nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 1. Februar 1991 in 2 Ws 571/90 und vom 13. Dezember 1991 in 2 Ws 433/91 = NStZ 1992, 350) berechtigt und verpflichtet, über die Frage, ob der Verurteilte weitere, noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Straftaten begangen hat, nach Abschluss der von ihm gegebenenfalls für erforderlich gehaltenen Ermittlungen eigenverantwortlich zu entscheiden. Dem steht die für den Beschwerdegegner bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens sprechende Unschuldsvermutung nicht entgegen, da dieser keine absolute Ausstrahlungswirkung zukommt, sie sich vielmehr auf das Verfahren beschränkt, in dem der Strafvorwurf nach den dafür geltenden Regeln zu klären ist und deshalb die Feststellung strafbarer Handlungen in anderen Verfahren - wie dem vorliegenden über die Strafaussetzung zur Bewährung - nicht hindert (vgl. die o. g. Senatsbeschlüsse; BVerfG NStZ 1991, 30; OLG Düsseldorf StV 1992, 287).
In ihrer sofortigen Beschwerde hat die Staatsanwaltschaft Bochum unter anderem folgendes ausgeführt:
"Die Strafvollstreckungskammer stützt ihre Entscheidung einseitig auf den in der vorangegangenen Anhörung des Verurteilten gewonnenen Eindruck sowie dessen angeblich beanstandungsfreies Verhalten während des Strafvollzuges. Sie lässt dabei außer Acht, dass aus Sicht der Vollstreckungsbehörde das Verhalten des Verurteilten in der Strafhaft keineswegs beanstandungsfrei war. Er ist nämlich hinreichend verdächtig, während dieser Zeit nicht nur mehrfach vor Gericht selbst falsch uneidlich ausgesagt zu haben, sondern auch noch einen ehemaligen Mittäter zu einem Meineid durch Drohung mit Gewalt angestiftet zu haben (zu vgl. Anklageschrift Bl. 79 ff. VH). Das Amtsgericht - Schöffengericht - in Recklinghausen hat wegen dieser Straftaten das Hauptverfahren gegen ihn eröffnet. Der vorgesehene Hauptverhandlungstermin am 16.07.1999 hat nur deshalb nicht stattgefunden, weil der Angeschuldigte G. die Ladung eines angeblichen Entlastungszeugen - eines Betäubungsmittelkonsumenten ohne festen Wohnsitz - beantragt hat.
Von entscheidender Bedeutung ist darüber hinaus die Tatsache, dass die neuerlichen Straftaten des Verurteilten im Zusammenhang mit seiner Verurteilung in der vorliegenden Sache stehen. Motiv seines Handelns war es nämlich, das mit nachweislich veruntreutem Geld mitfinanzierte Haus in Recklinghausen, L.straße 30, zu erhalten. Auf die Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Bochum vom 20. November 1998 - 24 Ns II 166/97 - (Bl. 122 ff. VH) wird in- soweit Bezug genommen."
Der Senat vermag aus diesen zutreffenden Erwägungen demgegenüber den zum Teil beachtlichen Gründen im Schriftsatz des Verteidigers vom 17. September 1999, mit denen er der Beschwerde der Staatsanwaltschaft entgegentritt, letztlich nicht zu folgen. Der Senat hat sich nämlich seine Überzeugung von der Begehung der neuen Straftaten nicht nur aus dem Akteninhalt des zur Zeit noch vor dem Schöffengericht Recklinghausen anhängigen Verfahrens verschafft, sondern sich darüber hinaus seine Meinung aus den gegen Frau v.B. ergangenen Urteilen in erster und zweiter Instanz und der darin enthaltenen Beweiswürdigung des Schöffengerichts und der Strafkammer, die ebenfalls von der Unrichtigkeit der Aussage des Verurteilten überzeugt waren, bilden können. Dabei haben diese Gerichte auch einen umfassenden persönlichen Eindruck von der Person des Verurteilten gewinnen und diesen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen können.
Dieser Umstand ermöglicht es dem Senat vorliegend daher auch entgegen dem von der Strafvollstreckungskammer wiedergegebenen persönlichen Eindruck des Verurteilten aufgrund der dort erfolgten Anhörung abzuweichen. Zwar ist diesem persönlichen Eindruck nach ständiger Rechtsprechung des Senats besonderes Gewicht beizumessen doch steht dem vorliegend ein in einem justizförmigen Verfahren gewonnener persönlicher Eindruck anderer Spruchkörper derartig entgegen, dass hier ohne grundsätzliche Abweichung von der anderenfalls aufrechtzuerhaltenden Rechtsprechung des Senats im gewissen Umfang Abstriche zu machen sind.
Aufgrund des Gewichts der neuen Straftaten, die sich im Hinblick auf das wiederum verschleiernde Verhalten in die Reihe der Straftaten des vorliegenden Verfahrens einordnen lassen und die Persönlichkeit des Verurteilten kennzeichnen, erscheint letztlich das Erprobungsrisiko in einer Weise erhöht, dass es derzeit nicht eingegangen werden kann. Dem Umstand, dass das Ende des neuen Ermittlungsverfahrens noch nicht abgesehen werden kann, kommt demgegenüber keine maßgebliche Bedeutung zu.
Auch die Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt, der seine positive Prognose lediglich aus vollzuglicher Sicht begründet und abgegeben hat, lässt eine dem Verurteilten günstigere Entscheidung nicht geboten erscheinen.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und die bedingte Entlassung des Verurteilten abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 465 und 473 StPO.
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